§ 13. ( Der Beweis, dass Personen denken, die, ohne zu träumen, schlafen, ist unmöglich. ) So erschüttert jedes schläfrige Nicken die Lehre, dass die Seele immer denkt, wenigstens kann man Die, welche einmal, ohne zu träumen, schlafen, nie überzeugen, dass ihr Denken während vielleicht vier Stunden geschäftig gewesen ist, ohne dass sie es gewusst haben. Selbst wenn man sie mitten in dieser schlafenden Betrachtung aufweckt, können sie darüber keine Auskunft geben.
§ 14. ( Träume, derer man sich nicht entsinnt, beweisen nichts .) Man erwidert vielleicht, dass die Seele selbst in dem gesundesten Schlafe denke; nur das Gedächtniss behalte es nicht. Indess ist es schwer zu begreifen, dass die Seele eines Schlafenden in diesem Augenblick denkend thätig sein und in dem nächsten, wo er aufwacht, nicht das Geringste von dem Gedachten sich soll zurückrufen können; deshalb sind hierfür bessere Beweise nöthig, als blosse Behauptungen, wenn man es glauben soll. Denn wer kann wohl, blos weil es ihm gesagt worden, sich ohne Schwierigkeit vorstellen, dass die meisten Menschen täglich an vier Stunden während ihres Lebens etwas denken, dessen sie sich, wenn man sie selbst mitten in diesen Gedanken fragt, durchaus nicht entsinnen können? Die meisten Menschen werden, glaube ich, während eines grossen Theils ihres Schlafens nichts träumen. Ich habe einen Mann gekannt, der eine gelehrte Erziehung erhalten und kein schlechtes Gedächtniss hatte; dieser sagte mir, dass er nicht eher geträumt habe, als bis er das Fieber bekommen, von dem er erst neuerlich genesen war; also hat er bis zu dem 25. oder 26sten Jahre seines Lebens nicht geträumt. Ich glaube, es giebt mehr solcher Beispiele, und Jedermann wird Bekannte haben, die ihm Beispiele dafür beibringen können, dass Menschen die Nächte meistentheils ohne Träume verbringen.
§ 15. ( Nach dieser Annahme müssten die Gedanken eines schlafenden Mannes die vernünftigsten sein .) Ein häufiges Denken, ohne auch nur einen Augenblick darum zu wissen, ist eine sehr ungewöhnliche Art zu denken; in solchem Zustande ist die Seele wenig oder gar nicht besser als ein. Spiegel, der fortwährend mannichfache Bilder oder Vorstellungen empfängt, aber nicht behält. Sie verschwinden und verlöschen, ohne eine Spur zu hinterlassen; der Spiegel ist nicht besser für solche Bilder, wie die Seele für solche Gedanken. Man erwidert vielleicht, »dass bei einem wachenden Menschen die Stofftheilchen beim Denken benutzt und gebraucht werden, und das das Gedächtniss von diesen Gedanken, von den Eindrücken auf das Gehirn und von den Spuren, die das Denken dort zurückgelassen habe, komme; dagegen denke bei dem nicht bewussten Denken eines schlafenden Menschen die Seele für sich, ohne die Organe des Körpers zu benutzen, und deshalb träten diese Gedanken nicht in das Gedächtniss.« – Ich will dagegen nicht die Widersinnigkeit nochmals geltend machen, dass mit dieser Annahme der Mensch in zwei Personen aufgelöst wird; allein wenn die Seele ohne Hülfe ihres Körpers Vorstellungen aufnehmen und betrachten kann, so kann man doch auch annehmen, dass sie dieselben ohne Hülfe des Körpern behalten kann; sonst hätte die Seele für sich und die blossen Geister nur wenig Vortheil von ihrem Denken. Wenn der Seele das Gedächtniss für ihre Gedanken abgeht, wenn sie dieselben nicht für ihren Gebrauch aufbewahren und gelegentlich zurückrufen kann; wenn sie das Vergangene nicht überdenken und ihre früheren Erfahrungen, Ueberlegungen und Betrachtungen sich nicht zu Nutze machen kann, was hilft ihr da ihr Denken? Wenn man die Seele zu einem denkenden Wesen dieser Art macht, so ist sie um nichts besser, als wenn man sie nur zu den feinsten Theilen des Stoffes herabsetzt. Zeichen, auf Staub geschrieben, welche der nächste Windhauch verlöscht, oder Eindrücke auf einen Haufen Atome oder. Lebensgeister, sind dann ebenso nützlich und machen ihren Gegenstand ebenso edel, als Gedanken, die in der Seele bei dem Denken erlöschen, und die, einmal das dem Gesicht gekommen, für immer verschwunden sind und kein Gedächtniss von sich zurücklassen. Die Natur schafft keine ausgezeichneten Wesen blos zu niedrigen oder gar keinem Gebrauche, und man kann schwer begreifen, dass der allweise Schöpfer eine so wunderbare Kraft, wie das Denken, die der Vortrefflichkeit seines unbegreiflichen Wesens am nächsten kommt, geschaffen haben sollte, um so leer und nutzlos verwendet zu werden, dass sie wenigstens den vierten Theil ihres irdischen Daseins denken sollte, ohne sich desselben zu erinnern und ohne sich oder Anderen damit zu nützen oder irgend einem Theile der Schöpfung Vortheil zu bringen. Selbst die Bewegung des vernunft- und gefühllosen Stoffes in irgend einem Theile eines Weltalls wird nicht so nutzlos erschaffen und so ganz weggeworfen sein.
§ 16. ( Nach dieser Hypothese müsste die Seele Vorstellungen haben, die weder von der Sinnes-noch Selbst-wahrnehmung kämen; allein solche zeigen sich nicht .) Wir haben allerdings mitunter Vorstellungen während des Schlafes, die im Gedächtniss bleiben, allein wer mit Träumen bekannt ist, weiss, wie maasslos und unzusammenhängend sie in der Regel sind, und wie sie wenig der Vollkommenheit und Ordnung eines vernünftigen Wesens entsprechen. Ich möchte nun gern wissen, ob, wenn die Seele so für sich, als wäre sie vom Körper getrennt, denkt, sie dabei weniger vernünftig verfährt, als in Verbindung mit ihm? Sind ihre getrennten Gedanken weniger vernünftig, dann müssen meine Gegner anerkennen, dass die Seele ihr vollkommeneres und vernünftigeres Denken dem Körper verdankt; ist dies aber nicht der Fall, so ist es unbegreiflich, dass unsere Träume meist so sinnlich und unvernünftig sind, und dass die Seele von ihren vernünftigem Selbstgesprächen und Ueberlegungen nichts behalten sollte.
§ 17. (Wenn ich nicht weiss, ob ich denke, so kann es auch kein Anderer wissen .) Wenn man so zuversichtlich behauptet, dass die Seele immer denkt, so sollte man: doch sagen, welcher Art die Vorstellungen in der Seele eines Kindes sind, ehe sie, oder genau, wenn sie sich mit dem Körper verbindet, und ehe sie noch eine Wahrnehmung gehabt hat. Die Träume des Schlafenden sind, meines Erachtens, nur aus Vorstellungen des wachenden Menschen gebildet, obgleich verkehrt genug verbunden. Es wäre sonderbar, wenn die Seele eigene Vorstellungen hätte, die sie nicht aus der Sinnes- oder Selbstwahrnehmung abgeleitet hätte (wie es in solchem Falle sein müsste), und wenn sie dennoch von ihrem eigenen Denken (so ihr eigen, dass der Mensch. selbst nichts davon merkt) im Augenblick des Erwachens nichts zurückbehalten könnte, um den Menschen mit neuen Entdeckungen zu erfreuen. Wie erklärte es sich wohl, dass die Seele in ihrer Zurückgezogenheit auf sich selbst während des Schlafes viele Ständen denkt und doch niemals auf einen jener Gedanken trifft, der nicht der Wahrnehmung entlehnt ist, und dass sie nur solche sich bewahrt, die von dem Körper veranlasst sind und deshalb einem Geiste weniger angemessen sein können? Es wäre sonderbar, dass die Seele während des ganzen menschlichen Lebens niemals einen solchen rein angeborenen Gedanken und solche Vorstellungen zurückrufen könnte, die sie hatte, ehe sie Etwas von dem Körper borgte, und dass sie in das Wissen des wachenden Menschen nur Vorstellungen bringt, welche einen Beigeschmack vom Fasse haben und der Verbindung mit dem Körper offenbar entsprossen sind. Denkt die Seele immer und hatte sie ebenso Vorstellungen vor ihrer Verbindung mit dem Körper, und ehe sie Vorstellungen vom Körper erhielt, so muss man annehmen, dass sie während des Schlafens sich dieser angeborenen Vorstellungen erinnert. Während dieser Zeit, wo sie sich aus der Verbindung mit dem Körper zurückgezogen hat und sie bei sich selbst denkt, müssten die Gedanken, mit denen sie sich beschäftiget, wenigstens manchmal jene natürlichen und ihr entsprechenderen sein, die sie aus sich selbst nimmt und die nicht vom Körper und dessen Wirksamkeit abgeleitet sind. Allein da der wachende Mensch sich niemals solcher Gedanken erinnert, so müsste man danach auch annehmen, dass die Seele sich der Vorstellungen erinnert, ohne dass der Mensch es thut, oder dass das Gedächtniss sich nur auf solche Vorstellungen erstreckt, die von dem Körper oder von der Wirksamkeit der Seele auf den Körper abhängen.
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