§ 18. ( Woher weiss man, dass die Seele immer denkt? Wenn es kein selbstverständlicher Grundsatz ist, so bedarf er eines Beweises .) Ich möchte auch gern wissen, wie man, wenn man so zuversichtlich behauptet, die Seele, oder was dasselbe ist, der Mensch denke immer, zu dieser Kenntniss gelangt ist? ja, wie die Vertheidiger dieser Ansicht wissen, dass sie selbst denken, wenn sie dasselbe nicht bemerken. Ich fürchte, dafür fehlt der Beweis; ein Wissen, ohne dass man es bemerkt, scheint mir eine verworrene Vorstellung, die nur einer Hypothese zur Liebe angenommen ist, und die nicht zu den klaren Wahrheiten gehört, welche entweder selbstverständlich sind oder der allgemeinen Erfahrung wegen nicht abgeleugnet werden können. Das Aeusserste, was man sagen kann, ist, es sei möglich, dass die Seele immer denke, ohne die Gedanken immer im Gedächtniss zu behalten; ich sage dagegen, es ist ebenso möglich, dass die Seele nicht immer denkt, und viel wahrscheinlicher, dass sie manchmal nicht denkt, als dass sie oft und lange hintereinander denken sollte, ohne sich dessen selbst den Augenblick, nachdem sie gedacht, bewusst zu sein.
§ 19. ( Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Mensch mit Denken beschäftigt wäre und doch den nächsten Augenblick es nicht mehr wüsste .) Lässt man die Seele denken, und den Menschen es nicht wissen, so macht man, wie gesagt, aus einem Menschen zwei Personen, und wenn man die Art, wie man sich dabei ausdruckt, genau betrachtet, so sollte man meinen, es sei wirklich so gemeint. Denn Alle, die sagen, dass die Seele immer denke, sagen, soviel ich mich entsinne, niemals, dass der Mensch immer denke. Kann nun die Seele denken, und der Mensch nicht? oder ein Mensch denken und sich dessen nicht bewusstsein? Man würde dies bei Andern für leeres Gerede halten. Zu sagen: Der Mensch denkt immer, aber ist sich dessen nicht immer bewusst, heisst ebenso viel, als sein Körper ist ausgedehnt, hat aber keine Theile; denn es ist ebenso unverständlich, zu sagen, ein ausgedehnter Körper hat keine Theile, als ein Wesen denkt, ohne es zu wissen, und ohne zu bemerken, dass es denkt. Man kann dann ebenso gut zur Aufrechthaltung solcher Hypothesen sagen, dass ein Mensch immer hungert, aber dies nicht immer empfindet, obgleich der Hunger gerade so in diesem Gefühle besteht, wie das Denken in dem Bewusstsein, dass man denkt. Sagt man, ein Mensch sei sich seines Denkens immer bewusst, so frage ich, woher man dies weiss? Bewusstsein ist die Wahrnehmung dessen, was in der eignen Seele vorgeht. Kann nun ein Anderer behaupten, dass ich von Etwas das Bewusstsein habe, wenn ich selbst es nicht bemerke. Niemandes Wissen kann hier über seine Erfahrung hinausgehen. Man wecke einen Menschen aus seinem tiefen Schlafe und frage ihn, was er eben jetzt gedacht habe. Sollte dieser selbst von nichts, was er gedacht hatte, wissen, so muss der Andere in merkwürdiger Weise Gedanken errathen können, wenn er ihm versichern kann, dass er dennoch gedacht habe; vielleicht könnte er ihn noch eher versichern, dass er nicht geschlafen habe. Dergleichen geht über Philosophie, und nur die Offenbarung kann einen Andern die Gedanken in meiner Seele erkennen lassen, wo ich selbst keine bemerke. Man muss ein durchdringendes Gesicht haben, wenn man sicher sehen kann, dass ich denke, während ich selbst es nicht bemerken kann, und erkläre, dass ich nicht denke. Dabei kann man auch wieder sehen, dass Hunde und Elephanten nicht denken, wenn sie alle möglichen Kennzeichen desselben zeigen, und nur nicht sagen können, dass sie denken. Dergleichen dürfte selbst die Rosenkreuzer überbieten, da man noch leichter sich selbst für Andere unsichtbar, als Anderer Gedanken sich selbst sichtbar machen kann, die ihnen selbst nicht sichtbar sind. Indess braucht man nur die Seele als ein Wesen, was immer denkt, zu definiren und die Sache ist abgemacht. Soll diese Definition gelten, so weiss ich nicht, wie manche Menschen sich vor dem Zweifel schützen wollen, dass sie überhaupt keine Seele haben, da sie sehen, dass sie einen guten Theil ihres Lebens ohne Denken verbringen. Keine mir bekannte Definition, keine Annahme irgend einer Sekte vermag eine beständige Erfahrung zu widerlegen; nur die Sucht, mehr zu wissen, als man wahrnimmt, veranlasst so viel nutzlosen Streit und so viel Lärm in der Welt.
§ 20. ( Nur aus der Sinnes- und Selbstwahrnehmung kommen alle Vorstellungen, wie sich bei Kindern klar zeigt .) Ich kann daher nicht annehmen, das die Seele denkt, ehe die Sinne sie mit Vorstellungen versehen haben, über welche sie denken kann; je mehr diese zunehmen und sich ausdehnen, desto mehr gelangt die Seele durch Uebung zur Steigerung ihres Denkvermögens, theils in dessen einzelnen Richtungen, theils in Verbindung derselben und im Nachdenken über die eignen Thätigkeiten. Die Seele vermehrt so sowohl ihren Vorrath, wie die Leichtigkeit im Erinnern, bildlichem Vorstellen, Begründen und andere Arten des Denkens.
§ 21. Wer sich durch Erfahrung und Beobachtung unterrichten lässt und seine eignen Hypothesen nicht zu Naturgesetzen erhebt, wird bei einem neugebornen Kinde wenig finden, was auf eine, an vieles Denken gewöhnte Seele deutete, und noch weniger, was von Nachdenken zeugte. Demnach ist es schwer glaublich, dass die vernünftige Seele so viel denken und doch so wenig vernünftig denken sollte. Wenn man sieht, wie neugeborne Kinder den grössten Theil der Zeit verschlafen, und nur wachen, wenn der Hunger nach der Brust verlangt oder ein Schmerz (die lästigste aller Empfindungen), oder sonst ein heftiger Eindruck auf den Körper die Seele zum Wahrnehmen und Aufmerken nöthigt, so wird man vielleicht die Annahme begründet finden, dass die Frucht im Mutterleibe nicht viel von dem Zustand einer Pflanze abweicht, und dass sie den grössten Theil ihrer Zeit ohne Wahrnehmung und Gedanken verbringt und wenig an einem Orte thut, wo sie nicht nach Nahrung zu suchen braucht und von einer immer gleich zarten und gleich temperirten Flüssigkeit umgäben ist; wo den Augen das Licht fehlt, die verschlossenen Ohren für Töne wenig empfänglich sind, und wo wenig oder gar kein Wechsel in den Gegenständen stattfindet, der die Sinne anregen könnte.
§ 22. Folgt man einem Kinde von seiner Geburt ab, und beobachtet man die Veränderungen, die die Zeit hervorbringt, so findet man, dass, je mehr die Seele durch die Sinne mit Vorstellungen versorgt wird, es mehr und mehr erwacht, und das es mehr denkt, je mehr es Stoff dafür hat. Nach einiger Zeit lernt es die Gegenstände kennen, die, weil es mit ihnen am vertrautesten ist, die dauerndsten Eindrücke auf es gemacht haben. So lernt es allmählig die Personen kennen, mit denen es täglich verkehrt, und unterscheidet sie von Fremden; dies sind die Beispiele und die Folgen davon, dass es die von den Sinnen ihm zugeführten Vorstellungen festhalten und unterscheiden lernt. So kann man beobachten, wie die Seele allmählig darin fortschreitet und geübter wird, diese Vorstellungen zu erwecken, zu verbinden, zu trennen, die Gründe aufzusuchen und über Alles dies nachzudenken, wie ich später weiter ausführen werde.
§ 23. Fragt man also, wann ein Mensch mit seinem Vorstellen beginne, so wird die richtige Antwort sein, dann, wenn er die ersten Wahrnehmungen macht. Da keine Vorstellungen sich in der Seele zeigen, ehe die Sinne solche eingeführt haben, so verstehe ich, wie die Vorstellungen des Verstandes gleichzeitig sind mit der Sinneswahrnehmung, d.h. mit einem solchen Eindruck oder Bewegung an einem Theile des Körpers, welche eine Vorstellung in dem Verstande herbeiführt. Mit diesen Eindrücken, die unsere Sinne von äusseren Gegenständen erleiden, scheint die Seele sich zu beschäftigen und die Thätigkeiten zu üben, die man Vorstellen, Erinnern, Betrachten, Begründen u.s.w. nennt.
§ 24. ( Der Ursprung all unsers Wissens .) Mit der Zeit beginnt die Seele, auf ihr eignes Thun in Betreff der durch die Sinne gewonnenen Vorstellungen zu achten; dadurch sammelt sie eine neue Art von Vorstellungen, die ich die Vorstellungen aus der Selbstwahrnehmung nenne. Somit sind es die Eindrücke auf unsere Sinne durch äussere Gegenstände, welche der Seele äusserlich sind, und die eignen Thätigkeiten, die von innern, der Seele selbst angehörigen Kräften ausgehen, und die, wenn an sich selbst betrachtet, ebenfalls zu Gegenständen der Betrachtung werden, die, wie gesagt, der Ursprung all unsres Wissens sind. Das erste Vermögen des menschlichen Verstandes ist daher die Empfänglichkeit der Seele für Eindrücke, die ihr entweder durch die Sinne von äussern Gegenständen oder durch ihre eigne Thätigkeit, wenn sie darauf sich richtet, zugehen. Dies sind für den Menschen die ersten Schritte zur Erkenntniss der Dinge und die Grundlage für alle Begriffe, die wir auf natürlichem Wege in dieser Welt erlangen können. Alle jene erhabenen Gedanken, die über die Wolken aufsteigen und den Himmel selbst erreichen, haben hier ihren Ursprung und ihren Boden; in all den weiten Räumen, in denen die Seele wandert, in den hochstrebenden Gedankenbauten, zu denen sie sich aufschwingt, bringt sie nicht das kleinste Stück über jene Vorstellungen hinzu, die ihr die Sinne oder die innere Wahrnehmung für ihr Denken geboten haben.
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