§ 15. Wie konnten Die, welche hunderte von Göttern anerkannten und verehrten, eine wahre und erträgliche Vorstellung von ihm haben? Jeder über den Einen hinausgehende Gott zeigte ihre Unkenntniss seiner, und dass ihr Gottes-Begriff, dem die Einzelheit, Unendlichkeit und Ewigkeit fehlte, kein wahrer sei. Nimmt man die groben Vorstellungen der Körperlichkeit hinzu, in denen ihre Götter dargestellt und gemalt wurden, die Liebschaften, Heirathen, Verbindungen, Gelage, Streitigkeiten und anderen niedern Züge ihrer Götter, so kann man doch nicht annehmen, dass die heidnische Welt, d.h. der grösste Theil der Menschheit eine Vorstellung von Gott habe und gehabt habe, die Gott selbst, um sie vor jedem Fehlgriff zu schützen, ihnen eingeprägt. Wenn jene so viel benutzte allgemeine Uebereinstimmung irgend das Angeborensein einer Vorstellung bewiese, so wäre es nur die, dass Gott den Seelen aller Menschen, welche dieselbe Sprache sprechen, den Namen, aber nicht die Vorstellung von sich eingeprägt habe, da das Volk zwar in dem Namen übereinstimmt, aber die verschiedensten Vorstellungen damit verknüpft. Wenn man sagt, dass die vielen Götter, welche die Heiden verehrten, nur bildliche Formen seien, um die verschiedenen Eigenschaften oder die verschiedenen Richtungen der Vorsehung dieses unbegreiflichen Wesens zu bezeichnen, so will ich hier nicht untersuchen, was sie ursprünglich gewesen sein mögen; aber Niemand kann behaupten, dass diese Götter von der grossen Menge in diesem Sinne aufgefasst wurden. Wer in der Reise des Bischofs von Berytus Kap. 13 liest (ohne anderer Zeugnisse zu gedenken), wird finden, dass die Siamesischen Gottesgelehrten ausdrücklich eine Menge von Göttern anerkennen, oder dass, wie Abbé von Choisy in seinem Reisebericht über Siam S. 107-177 bemerkt, sie eigentlich gar keinen Gott anerkennen. Sagt man, dass die Weisen aller Völker zu dem wahren Begriffe von Gottes Einheit und Unendlichkeit gelangt seien, so gebe ich dies zu; aber dann bleibt von der allgemeinen Uebereinstimmung in der Sache nur die im Namen übrig; da dieser weisen Männer nur wenige, vielleicht nur einer auf Tausend kommen, so ist diese Allgemeinheit sehr klein; zweitens beweist dieser Umstand deutlich, dass die wahren und besten Begriffe über Gott den Menschen nicht eingeprägt werden, sondern durch Ueberlegung und Nachdenken, und durch den rechten Gebrauch ihrer Vermögen sowohl über Gott wie über andere Dinge gewonnen worden sind. Der träge und unbedachtsame Theil der Menschen, welcher die grösste Zahl ausmacht, nahm dann diese Begriffe durch Zufall oder durch die allgemeine Ueberlieferung und die Meinung der Menge an, ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Wäre es ein Beweis für das Angeborensein des Gottes-Begriffs, dass alle weisen Menschen ihn haben, so muss auch die Tugend für angeboren gelten, da auch diese alle weisen Männer gehabt haben.
§ 16. So verhielt es sich offenbar mit allen heidnischen Völkern; aber auch bei den Juden, Christen und Mohamedanern die nur einen Gott anerkennen, hat diese Lehre und die Sorgfalt, mit der man bei diesen Völkern den wahren Begriff Gottes durch Lehre zu verbreiten gesucht hat, nicht vermocht, dass alle Menschen dieselben und wahren Begriffe von ihm haben. Selbst unter uns werden sich, wenn man sucht, Viele finden, welche sich Gott in der Gestalt eines im Himmel sitzenden Mannes vorstellen und manche andere verkehrte und unpassende Vorstellungen von ihm haben. Unter Christen wie unter Türken haben ganze Sekten gemeint und ernstlich behauptet, dass die Gottheit einen Körper von menschlicher Gestalt habe; und wenn auch unter uns Wenige diesen, der Menschengestalt entnommenen Begriffen anhängen (obgleich ich Manche der Art getroffen habe), so wird man doch, wenn man sich Mühe giebt, unter den unwissenden und ununterrichteten Christen viele finden, welche derselben Meinung sind. Man spreche nur mit Landleuten jeden Alters und mit den jungen Leuten aus allen Ständen; sie führen zwar den Namen Gottes viel im Munde, aber sie knüpfen an diesen Namen so sonderbare, seltsame und erbärmliche Vorstellungen, dass man kaum glauben kann, ein vernünftiger Mann habe sie unterrichtet; noch weniger kann man es für ein Zeichen nehmen, was Gottes Finger selbst ihnen eingeschrieben hat. Wenn es der Güte Gottes widerspräche, dass er uns eine Seele gegeben, die mit dieser Vorstellung von ihm nicht versehen sei, so würde es seiner Güte auch widersprechen, dass er uns nackt in die Welt gesetzt hat, und dass wir keine Kunst und Fertigkeit mit auf die Welt gebracht haben. Es genügt, dass wir mit dem Vermögen dazu ausgestattet sind, und wenn wir die Vorstellung von Gott nicht haben, so liegt es nicht an Gottes Güte, sondern an unserm fehlenden Fleisse und Nachdenken. Es ist so gewiss, dass Gott ist, als dass die gegenüberliegenden Winkel zweier sich schneidenden geraden Linien gleich sind. Kein vernünftiges Wesen, was sich die Mühe nimmt, die Wahrheit dieser Sätze aufrichtig zu prüfen, kann ihnen seine Beistimmung versagen, obgleich unzweifelhaft Viele beide Sätze oder einen von beiden nicht kennen, weil sie ihre Gedanken nicht in dieser Richtung angestrengt haben. Will dies Jemand allgemeine Uebereinstimmung nennen (eine dann sehr weit gehende Auslegung), so erkenne ich eine solche gern an, aber eine solche beweist dann ebenso wenig das Angeborensein der Vorstellung Gottes, wie das der Vorstellungen der Engel.
§ 17. ( Ist die Gottes-Vorstellung nicht angeboren, so kann es auch keine andere sein .) Wenn sonach die Kenntniss Gottes, obgleich die menschliche Vernunft sie noch am natürlichsten gewinnen kann, doch nicht angeboren ist, wie aus dem Bisherigen sich klar ergeben haben dürfte, so wird kaum irgend eine andere Vorstellung einen Anspruch darauf machen können. Denn hätte Gott irgend einen Eindruck oder Schriftzug der menschlichen Seele mitgegeben, so würde es sicherlich die klare und einstimmige Vorstellung seiner selbst gewesen sein, soweit nämlich unsere schwachen Vermögen ein so unbegreifliches und unendliches Wesen erfassen können. Wenn aber die Seele dieser für sie wichtigsten Vorstellung ermangelt, so spricht dies stark gegen angeborne Vorstellungen überhaupt; ich wenigstens kann keine andere mehr dazu geeignete finden und würde mich freuen, wenn sie mir gezeigt werden könnte.
§ 18. (Die Vorstellung der Substanz ist nicht angeboren .) Es giebt noch eine andere Vorstellung, deren Besitz für die Menschen von allgemeinem Nutzen sein würde, da Alle davon reden, als besässen sie dieselbe. Es ist die Vorstellung der Substanz , die man weder durch Sinnes- noch innere Wahrnehmung erlangen kann. Wollte die Natur uns mit Vorstellungen versorgen, so hätten es wohl vor Allem solche sein müssen, die wir uns durch unsere eigenen Kräfte nicht verschaffen können; allein, wir sehen im Gegentheil, dass, weil wir diese Vorstellung nicht auf dem Wege gewinnen können, auf dem wir unsere Vorstellungen überhaupt erlangen, wir auch keine klare Vorstellung von jener haben. Das Wort Substanz bezeichnet deshalb Nichts, sondern ist nur die schwankende Annahme von etwas Unbekanntem, d.h. ein Etwas, das wir uns nicht klar und deutlich vorstellen können, und was wir nur als das Unterliegende oder als den Träger der bekannten Vorstellungen auffassen.
§ 19. ( Kein Satz kann angeboren sein, weil kein Begriff angeboren ist .) Was man auch immer über angeborne theorethische und praktische Grundsätze sagen mag, so kann doch Jemand mit demselben Rechte behaupten, er habe 100 Pfund Sterling in seiner Tasche, und dabei bestreiten, dass er Pfennige, Schillinge, Kronen oder andere Geldsorten, aus denen jene Summe besteht, darin habe, wie Jene annehmen, dass gewisse Sätze angeboren seien, während doch die Vorstellungen, aus denen sie bestehen, keineswegs als angeborne gelten können. Die allgemeine Annahme und Zustimmung ist durchaus kein Beweis, dass die Vorstellungen solcher Sätze angeboren sind, denn in vielen Fällen wird, gleichviel wie die Vorstellungen dahin gelangt sind, die Zustimmung nothwendig Worten folgen, welche das Zusammenstimmen solcher Vorstellungen oder das Gegentheil ausdrücken. Jeder, der eine wahre Vorstellung von Gott und von Verehrung hat, wird dem Satze zustimmen, dass Gott zu verehren sei, sobald er in einer ihm verständlichen Sprache ausgesprochen wird. Jeder vernünftige Mann, der ihn heute noch nicht kennt, wird morgen ihm bereitwillig zustimmen, und doch kann man wohl annehmen, dass Millionen von Menschen die eine oder beide dieser Vorstellungen heute entbehren. Denn wenn ich selbst zugebe, dass die Wilden und die meisten Landleute die Vorstellung von Gott und Verehrung haben (obgleich die Unterhaltung mit ihnen dies eben nicht bestätigen wird), so können doch sicher nur selten Kinder diese Vorstellungen haben, sondern sie erst später erwerben. Ist dieses geschehen, so werden sie auch jenem Satze sogleich zustimmen und ihn schwerlich später in Zweifel ziehen. Solch eine Zustimmung bei dem ersten Hören beweist indess das Angeborensein der Vorstellungen so wenig, wie bei einem Blind-Gebornen (dem morgen der Staar gestochen werden soll), das Angeborensein der Vorstellung der Sonne, oder des Lichts, oder des Safran und des Gelben; daraus folgt, dass, wenn er das Gesicht erhalten, er sicherlich dem Satze zustimmt, die Sonne sei leuchtend, und der Safran sei gelb. Wenn deshalb eine solche Zustimmung bei dem Anhören eines Satzes nicht beweist, dass die darin enthaltenen Vorstellungen angeboren sind, so kann dies noch weniger von den Sätzen selbst gelten. Hat aber Jemand angeborne Begriffe, so wäre es mir lieb, er nennte mir sie und gäbe mir deren Anzahl an.
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