1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Als Tag des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurde der 3. Oktober 1990 festgelegt; dieser Termin wurde zudem anstelle des 17. Juni, des bislang in der Bundesrepublik zum Gedenken an den unterdrückten DDR-Volksaufstand von 1953 begangenen Feiertags, als »Tag der deutschen Einheit« zum neuen gesetzlichen Feiertag erklärt.
Aus den umfangreichen Bestimmungen des Einigungsvertrages verdient ein Punkt besondere Aufmerksamkeit, der für viele Bürgerinnen und Bürger der DDR von beträchtlicher Bedeutung war: die Eigentumsfrage. Als Anlage III war dem Vertrag die »Gemeinsame Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen, vom 15. Juni 1990« hinzugefügt worden. 15In dieser Erklärung einigten sich die beiden Regierungen auf Eckpunkte, die für die Behandlung der komplizierten Eigentumsfrage grundlegend sein, Rechtssicherheit bieten und den Rechtsfrieden wahren sollten. Den Hintergrund bot die verbreitete Sorge vor einem »Ausverkauf« der DDR bzw. vor einem Ansturm jener Personen, deren Eigentum zu DDR-Zeiten enteignet worden war und die dieses nun wieder zurückfordern würden. Dies galt zumal für Immobilien. 16Viele DDR-Bürgerinnen und -Bürger fürchteten, aus ihren teils jahrzehntelang bewohnten Häusern und Wohnungen ausziehen zu müssen, weil enteignete Eigentümer aus dem Westen ihre Ansprüche geltend machen würden. Die in den Einigungsvertrag aufgenommene Erklärung vom 15. Juni 1990 legte zweierlei zu Grunde und suchte damit sowohl den spezifischen historischen Bedingungen in der DDR wie auch dem Grundsatz des Rechtes auf Eigentum gerecht zu werden. Demnach sollten Enteignungen, die auf besatzungsrechtlicher oder unter besatzungshoheitlichen Bedingungen vollzogen waren, d. h. in der Zeit der Sowjetischen Besatzungszone 1945 bis 1949, nicht rückgängig gemacht werden, für Enteignungen zu Zeiten der DDR sollte der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung gelten. Damit konnten die Maßnahmen der Bodenreform und die damit verbundenen Enteignungen nicht rückgängig zu machen, Enteignungen nach Gründung der DDR schon. Es wurden diverse Maßnahmen verabredet, die mögliche Härten vermeiden sollten, darunter Mieterschutz und Wahrung von Nutzungsrechten von Bürgerinnen und Bürgern der DDR. Trotz solcher Absichtserklärungen und Vereinbarungen blieb der Komplex der Restitution schwierig und vor allen Dingen langwierig. Zu den befürchteten sozialen Verwerfungen ist es zwar nicht in nennenswertem Umfang gekommen. Problematisch war jedoch, dass der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung investitionshemmend wirkte. Wer wollte schon in Objekte investieren, ohne sicher zu sein, dass nicht doch einmal ein Alteigentümer auftauchte, der die Immobilie für sich beanspruchte. 17Erst zwei weitere Gesetze vom März 1991 und vom Juli 1992 schufen hier mehr Sicherheit.
Der dritte Teil des Vertragskomplexes zur deutschen Einheit umfasste den sogenannten »Zwei-plus-Vier-Vertrag«, geschlossen zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten über das nationalsozialistische Deutschland. Dieser Vertrag war allein wegen der noch vorhandenen Rechte der einstmaligen Alliierten im Hinblick auf Deutschland als Ganzes erforderlich, er war allerdings auch politisch geboten, weil die Herstellung der Einheit nicht gegen die vier Mächte denkbar war.
Die vier Mächte nahmen zur deutschen Einheit eine gespaltene Haltung ein. Einzig die Vereinigten Staaten sprachen sich frühzeitig für die deutsche Einheit aus. Großbritannien mit Premierministerin Margret Thatcher hingegen war wenig begeistert. Thatcher befürchtete eine wirtschaftliche Dominanz des vereinten Deutschlands zu Lasten der übrigen großen europäischen Staaten; ihr Außenminister Douglas Hurd meinte gar angesichts des bevorstehenden Endes des Kalten Krieges, man habe in diesem System die letzten 40 Jahre ganz glücklich gelebt, das hieß, auch mit der Teilung Deutschlands ganz glücklich gelebt. 18Während Thatchers negative Haltung unbestritten ist, gehen im Fall Frankreichs und dessen Präsidenten François Mitterrand die Positionen auseinander. Die einen sehen Mitterrand als Gegner der deutschen Einheit an, 19andere sehen ihn keineswegs in dieser Rolle. Allerdings sei ihm daran gelegen gewesen, eine überstürzte Entwicklung zu vermeiden; vor allem verband Frankreich seine Position zur deutschen Einheit mit einer klaren Integration Deutschlands in das vereinte Europa einschließlich der Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung. 20Während Großbritannien sich mit seiner intransigenten Haltung zunehmend isolierte, verknüpfte Frankreich seine Zustimmung zur deutschen Einheit mit eigenen europapolitischen Zielsetzungen. 21Mitterrand machte Frankreichs Standpunkt unmissverständlich klar. Auf der Straßburger Tagung des Europäischen Rates am 8./9. Dezember 1989 erklärte der französische Staatspräsident gegenüber dem bundesdeutschen Außenminister Genscher: »Wenn Deutschland sich, um die DDR vergrößert, im europäischen Gesamtverband bewegt, wird es in der Europäischen Gemeinschaft Freunde haben, sonst nur Partner mit eigenen Reflexen.« 22
Erheblich komplizierter als für die westlichen Alliierten war die Situation für die Sowjetunion. Zwar hatte Gorbatschow mit seiner Politik der Reformen die politischen Umbrüche und revolutionären Entwicklungen im Ostblock entscheidend ermöglicht und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten bei Kohls Besuch in Moskau am 10. Februar 1990 grundsätzlich zugestimmt. Aber die Frage der deutschen Einheit war mit Folgen verbunden, die die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion sehr grundsätzlich berührten. Ein Streitpunkt war die Bündniszugehörigkeit des vereinten Deutschlands. Aus Sicht der drei westlichen Mächte und auch der Bundesrepublik sollte das vereinigte Deutschland dem Nordatlantikpakt, der NATO, angehören. Für die Sowjetunion bedeutete dies die Ausweitung der NATO bis an die Oder – dabei ist nicht zu vergessen, dass auf dem Gebiet der DDR noch sowjetische Truppen in einer Personalstärke von 380.000 Mann stationiert waren.
Am 5. Mai 1990 begannen in Bonn Gespräche der vier Außenminister der früheren Siegermächte und der beiden deutschen Außenminister. Insgesamt fanden vier Ministerkonferenzen (Ost-Berlin 22. Juni, Paris 17. Juli, Moskau 12. September) statt. 23Die Idee zu den Zwei-plus-Vier-Gesprächen war von den Vereinigten Staaten ausgegangen, die Beschränkung auf die vier Siegermächte, wie sie der britischen Regierung vorschwebte, hatte sich nicht durchgesetzt. Die Bündniszugehörigkeit Deutschlands, die endgütige Festschreibung der polnischen Westgrenze, die Herstellung der vollständigen Souveränität eines vereinten Deutschlands und der Abzug der alliierten Streitkräfte waren die Themen dieser Beratungen.
Zu Irritationen kam es in der Frage der deutsch-polnischen Grenze, denn absurderweise schien diese Frage wieder offen zu sein. Der seit Sommer 1989 amtierenden polnischen Regierung unter Tadeusz Mazowiecki ging es um eine völkerrechtlich verbindliche Regelung und Garantie der Grenzfrage. Aus historischer Sicht war eigentlich alles ganz klar. Die DDR hatte die polnische Westgrenze bereits 1950 anerkannt, die Bundesrepublik folgte explizit mit den Ostverträgen, dem Moskauer und dem Warschauer Vertrag aus dem Jahre 1970. Aber die Bundesrepublik konnte – so ihr Rechtsstandpunkt – angesichts der alliierten Vorbehalte bezüglich Gesamtdeutschlands, wie sie im Deutschlandvertrag 1952/54 festgelegt waren, zu diesem Zeitpunkt nicht für Gesamtdeutschland sprechen; die endgültige Lösung war demnach einem vereinten Deutschland oder einem Friedensvertrag vorbehalten. Indem Helmut Kohl dieses Argument betonte, folgte er politischen Überlegungen, die vor allem nach innen zielten. Denn der Bund der Vertriebenen lehnte die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze nach wie vor ab. 24
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