284Art. 1 II Rom I-VO enthält einen Katalog ausgeschlossener Materien. Nicht unter die Rom I-Verordnung fallen danach u. a. Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags. Sie werden im Einklang mit der vom EuGH zur EuGVVO vertretenen Auffassung auch im Kollisionsrecht außervertraglich qualifiziert und fallen, sofern ein unmittelbarer Zusammenhang mit vertragsspezifischen Pflichten besteht, unter Art. 12 Rom II-VO und im Übrigen unter Art. 4 Rom II-VO. 24Art. 12 I Rom II-VO verweist indes auf Art. 3 und Art. 4 Rom I-VO zurück.
II.Zeitlicher Anwendungsbereich
285Der zeitliche Anwendungsbereich geht aus Art. 28 Rom I-VO hervor. Alle Verträge, die ab dem 17.12.2009 geschlossen wurden, unterfallen der Rom I-Verordnung.
286Im internationalen Vertragsrecht gilt der Grundsatz der freien Rechtswahl (Parteiautonomie). Der Vertrag unterliegt nach Art. 3 I 1 Rom I-VO dem von den Parteien gewählten Recht. Nur wenn keine wirksame Rechtswahlvereinbarung getroffen wurde, ist das Vertragsstatut nach den Kollisionsnormen der Art. 4 ff. Rom I-VO objektiv zu bestimmen.
287Die Rechtswahl ist eine vom Hauptvertrag zu unterscheidende Vereinbarung. Sie muss gem. Art. 3 I 2 Rom I-VO entweder ausdrücklich erfolgen (z. B.: „Für diesen Vertrag gilt französisches Recht“) oder sich eindeutig aus den Umständen des Falles ergeben.
1.Stillschweigende Rechtswahl
288Die Variante der stillschweigenden Rechtswahlbildet in der Praxis immer wieder Anlass zu Streit, weil zumindest einer der Parteien möglicherweise nicht bewusst war, dass ihr Verhalten vor Gericht als stillschweigende Rechtswahl bewertet wird. Das Merkmal „ eindeutig“ ist Ausdruck des Bestrebens des Gesetzgebers, der vorschnellen Annahme einer stillschweigenden Rechtswahl durch die Gerichte entgegenzutreten. Es stellt im Vergleich zum alten Art. 3 I EVÜ („mit hinreichender Sicherheit“) eine Verschärfung dar. Zu den bei der Würdigung zu beachtenden Einzelfallumständen gehört ausweislich des Erwägungsgrunds Nr. 12 auch eine Gerichtsstandsvereinbarung. Legen die Vertragspartner beispielsweise einheitlich die ausschließliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte fest, kann dies darauf hindeuten, dass auch die Anwendbarkeit deutschen Rechts gewollt ist. 25Hintergrund davon ist, dass die Parteien vernünftigerweise annehmen werden, dass ein Gericht „sein“ eigenes Recht am besten kennt, so dass ein Rechtsstreit schneller und billiger durchzuführen sein wird.
289 Indizienfür eine stillschweigende Rechtswahl können ferner sein: die Bezugnahme auf Vorschriften einer bestimmten Rechtsordnung; 26die Verwendung von Formularen, die ersichtlich auf einer bestimmten Rechtsordnung aufbauen; 27die Einbettung eines Einzelvertrags in ein umfassenderes Vertragsverhältnis, für das eine Rechtswahl getroffen wurde; 28Vertragsschluss zwischen im Inland ansässigen Vertragspartnern in der betreffenden Landessprache im Inland; 29ferner die Vereinbarung eines einheitlichen Erfüllungsortes.
290Die beiderseitige Bezugnahme auf die lex fori in Schriftsätzen vor Gericht kann auf eine stillschweigende Rechtswahl hindeuten. Allerdings ist genau zu prüfen, ob insoweit wirklich ein Erklärungsbewusstsein der Parteien vorliegt. 30Insbesondere wenn eine oder beide Parteien nicht anwaltlich vertreten sind, ist das zu bezweifeln. Es sei nochmals daran erinnert, dass die Einzelfallumstände insoweit „eindeutig“ auf eine stillschweigende Rechtswahl schließen lassen müssen.
2.Rechtswahl für einen Teil des Vertrages
291Die Rechtswahl kann nach Art. 3 I 3 Rom I-VO auf einen Teil des Vertrags begrenzt werden ( Spaltungdes Vertragsstatuts oder dépeçage), sofern die dadurch gebildeten Teile nicht in einer Wechselbeziehung stehen, die eine Abspaltung unmöglich macht. Beispielsweise lassen sich die gegenseitigen Vertragspflichten (Lieferung einer Kaufsache gegen Kaufpreiszahlung) aufgrund ihrer synallagmatischen Verknüpfung nicht sinnvoll trennen. Die Aufteilung des formellen Zustandekommens des Vertrags einerseits und seiner materiellen Wirksamkeit andererseits soll dagegen zulässig sein. 31
3.Nachträgliche Rechtswahl
292Die Rechtswahl kann auch nachträglichgetroffen oder verändert werden, wobei der dadurch bewirkte Statutenwechsel die Formgültigkeit des Vertrags unberührt lässt, vgl. Art. 3 II Rom I-VO. Das bedeutet, dass beispielsweise ein formwirksamer Vertrag nicht dadurch nachträglich unwirksam wird, dass das nunmehr gewählte Recht strengere Formvorschriften kennt. Umgekehrt kann eine Formunwirksamkeit hingegen dadurch „geheilt“ werden, dass nachträglich ein insoweit großzügigeres Recht gewählt wird. Entsprechendes gilt für Rechte Dritter. Eine nachträgliche Rechtswahl darf die nach dem ursprünglichen Vertragsstatut erworbene Rechtsstellung Dritter nicht verschlechtern. Ob die nachträgliche Rechtswahl ab dem Zeitpunkt der Vereinbarung (ex nunc) oder von Anfang an (ex tunc) wirken soll, ist eine Frage der Auslegung.
4.Auf den Rechtswahlvertrag anzuwendendes Recht
293Da die Rechtswahl selbst eine vertragliche Vereinbarung ist, muss auch für sie das Vertragsstatut bestimmt werden. Gem. Art. 3 V, 10 I Rom I-VO beurteilt sich ihr materielles Zustandekommen nach dem Recht, das auf den Hauptvertrag anzuwenden wäre, wenn die Rechtswahl wirksam wäre. Mithin: nach dem für den Hauptvertrag gewählten Recht. Der Rechtswahl kommt insoweit eine Vorwirkung zu. Wird die Rechtswahl in Allgemeinen Geschäftsbedingungen getroffen, sind mit Blick auf intern zwingende Vorschriften zur AGB-Kontrolle die besonderen Anknüpfungsregeln für Inlandsachverhalte nach Art. 3 III Rom I-VO sowie für Verbraucherverträge nach Art. 6 II Rom I-VO und Art. 46b EGBGB zu beachten.
Eine Besonderheit ergibt sich aus Art. 3 V i. V. m. Art. 10 II Rom I-VO. Danach kann sich die andere Vertragspartei für die Behauptung, sie habe der Rechtswahl nicht zugestimmt, auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Wirkung ihres Verhaltens nach dem gewählten Recht zu beurteilen. Anschaulich ist beim deutschen Vertragsstatut dafür das kaufmännische Bestätigungsschreiben, wonach das Schweigen auf ein den Inhalt der zwischen Kaufleuten vorausgegangenen Vertragsverhandlungen zusammenfassendes Bestätigungsscheiben die Wirkung einer Zustimmung zum Vertragsschluss hat. Findet sich die Rechtswahl in einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben und hat der andere Teil seine Rechtssphäre, die kein vergleichbares Rechtsinstitut geschaffen hat, etwa Belgien, nicht verlassen, so wird man in kumulativer Anknüpfung an das belgische Recht eine wirksame Rechtswahl verneinen.
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