Friedrich Schiller - Don Karlos

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Liebe, Eifersucht, Verrat – die Verhältnisse am spanischen Königshof sind angespannt, besonders zwischen Karlos und seinem Vater, König Philipp. Marquis Posa, Karlos' Jugendfreund, will für Toleranz und Freiheit sorgen, doch politische Intrigen führen zur Katastrophe.
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Friedrich Schiller

Don Karlos

Infant von Spanien

Ein dramatisches Gedicht

Reclam XL | Text und Kontext

Herausgegeben von Martin C. Wald

Reclam

2015, 2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2022

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-960756-6

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-016151-7

www.reclam.de

Don Karlos

Infant von Spanien

Ein dramatisches Gedicht

Don Karlos

[5]Erster Akt

Der königliche Garten in Aranjuez.

Erster Auftritt

KARLOS. DOMINGO.

DOMINGO.

Die schönen Tage in Aranjuez

Sind nun zu Ende. Eure königliche Hoheit

Verlassen es nicht heiterer. Wir sind

Vergebens hier gewesen. Brechen Sie

5Dies rätselhafte Schweigen. Öffnen Sie

Ihr Herz dem Vaterherzen, Prinz. Zu teuer

Kann der Monarch die Ruhe seines Sohns –

Des einz’gen Sohns – zu teuer nie erkaufen.

(Karlos sieht zur Erde und schweigt.)

Wär noch ein Wunsch zurücke, den der Himmel

10Dem liebsten seiner Söhne weigerte?

Ich stand dabei, als in Toledos Mauern

Der stolze Karl die Huldigung empfing,

Als Fürsten sich zu seinem Handkuss drängten.

Und jetzt in Einem – Einem Niederfall

15Sechs Königreiche ihm zu Füßen lagen –

Ich stand und sah das junge stolze Blut

In seine Wangen steigen, seinen Busen

Von fürstlichen Entschlüssen wallen, sah

Sein trunknes Aug durch die Versammlung fliegen,

20In Wonne brechen – Prinz, und dieses Auge

Gestand: Ich bin gesättigt.

(Karlos wendet sich weg.) Dieser stille

Und feierliche Kummer, Prinz, den wir

Acht Monde schon in Ihren Blicken lesen,

Das Rätsel dieses ganzen Hofs, die Angst

25Des Königreichs, hat Seiner Majestät

Schon manche sorgenvolle Nacht gekostet,

Schon manche Träne Ihrer Mutter.

[6]KARLOS (dreht sich rasch um).

Mutter!

– O Himmel, gib, dass ich es dem vergesse,

Der sie zu meiner Mutter machte!

DOMINGO.

Prinz!

KARLOS (besinnt sich und fährt mit der Hand über die Stirne).

30Hochwürd’ger Herr – ich habe sehr viel Unglück

Mit meinen Müttern. Meine erste Handlung,

Als ich das Licht der Welt erblickte, war

Ein Muttermord.

DOMINGO.

Ist’s möglich, gnäd’ger Prinz?

Kann dieser Vorwurf Ihr Gewissen drücken?

KARLOS.

35 Und meine neue Mutter – hat sie mir

Nicht meines Vaters Liebe schon gekostet?

Mein Vater hat mich kaum geliebt. Mein ganzes

Verdienst war noch, sein Einziger zu sein.

Sie gab ihm eine Tochter – O wer weiß

40Was in der Zeiten Hintergrunde schlummert?

DOMINGO.

Sie spotten meiner, Prinz. Ganz Spanien

Vergöttert seine Königin. Sie sollten

Nur mit des Hasses Augen sie betrachten?

Bei ihrem Anblick nur die Klugheit hören?

45Wie, Prinz? Die schönste Frau auf dieser Welt,

Und Königin – und ehmals Ihre Braut?

Unmöglich Prinz! Unglaublich! Nimmermehr!

Wo alles liebt, kann Karl allein nicht hassen;

So seltsam widerspricht sich Karlos nicht.

50Verwahren Sie sich, Prinz, dass sie es nie,

Wie sehr sie ihrem Sohn missfällt, erfahre;

Die Nachricht würde schmerzen.

KARLOS.

Glauben Sie?

DOMINGO.

Wenn Eure Hoheit sich des letzteren

Turniers zu Saragossa noch entsinnen,

55Wo unsern Herrn ein Lanzensplitter streifte –

Die Königin mit ihren Damen saß

Auf des Palastes mittlerer Tribune,

Und sah dem Kampfe zu. Auf einmal rief’s:

[7]»Der König blutet!« – Man rennt durcheinander,

60Ein dumpfes Murmeln dringt bis zu dem Ohr

Der Königin. »Der Prinz?« ruft sie und will,

Und will sich von dem obersten Geländer

Herunterwerfen. – »Nein! Der König selbst!«

Gibt man zur Antwort – »So lasst Ärzte holen!«

65Erwidert sie, indem sie Atem schöpfte.

(Nach einigem Stillschweigen.)

Sie stehen in Gedanken?

KARLOS.

Ich bewundre

Des Königs lust’gen Beichtiger, der so

Bewandert ist in witzigen Geschichten.

(Ernsthaft und finster.)

Doch hab ich immer sagen hören, dass

70Gebärdenspäher und Geschichtenträger

Des Übels mehr auf dieser Welt getan,

Als Gift und Dolch in Mörders Hand nicht konnten.

Die Mühe, Herr, war zu ersparen. Wenn

Sie Dank erwarten, gehen Sie zum König.

DOMINGO.

75Sie tun sehr wohl, mein Prinz, sich vorzusehn

Mit Menschen – nur mit Unterscheidung. Stoßen

Sie mit dem Heuchler nicht den Freund zurück,

Ich mein es gut mit Ihnen.

KARLOS.

Lassen Sie

Das meinen Vater ja nicht merken. Sonst

Sind Sie um Ihren Purpur.

DOMINGO (stutzt).

Wie?

KARLOS.

80 Nun ja.

Versprach er Ihnen nicht den ersten Purpur,

Den Spanien vergeben würde?

DOMINGO.

Prinz,

Sie spotten meiner.

KARLOS.

Das verhüte Gott,

Dass ich des fürchterlichen Mannes spotte,

85Der meinen Vater selig sprechen und

Verdammen kann!

[8]DOMINGO.

Ich will mich nicht

Vermessen, Prinz, in das ehrwürdige

Geheimnis Ihres Kummers einzudringen.

Nur bitt ich Eure Hoheit, eingedenk

90Zu sein, dass dem beängstigten Gewissen

Die Kirche eine Zuflucht aufgetan,

Wozu Monarchen keinen Schlüssel haben,

Wo selber Missetaten unterm Siegel

Des Sakramentes aufgehoben liegen –

95Sie wissen was ich meine, Prinz, ich habe

Genug gesagt.

KARLOS.

Nein! Das soll ferne von mir sein,

Dass ich den Siegelführer so versuchte!

DOMINGO.

Prinz, dieses Misstraun – Sie verkennen Ihren

Getreusten Diener.

KARLOS (fasst ihn bei der Hand).

Also geben Sie

100Mich lieber auf. Sie sind ein heil’ger Mann,

Das weiß die Welt – doch, frei heraus – für mich

Sind Sie bereits zu überhäuft. Ihr Weg,

Hochwürd’ger Vater, ist der weiteste,

Bis Sie auf Peters Stuhle niedersitzen.

105Viel Wissen möchte Sie beschweren. Melden

Sie das dem König, der Sie hergesandt.

DOMINGO.

Mich hergesandt –

KARLOS.

So sagt ich. O zu gut,

Zu gut weiß ich, dass ich an diesem Hof

Verraten bin – ich weiß, dass hundert Augen

110Gedungen sind, mich zu bewachen, weiß,

Dass König Philipp seinen einz’gen Sohn

An seiner Knechte schlechtesten verkaufte,

Und jede von mir aufgefangne Silbe

Dem Hinterbringer fürstlicher bezahlt,

115Als er noch keine gute Tat bezahlte.

Ich weiß – O still! Nichts mehr davon. Mein Herz

Will überströmen, und ich habe schon

Zu viel gesagt.

[9]DOMINGO.

Der König ist gesonnen

Vor Abend in Madrid noch einzutreffen.

120Bereits versammelt sich der Hof. Hab ich

Die Gnade, Prinz –

KARLOS.

Schon gut. Ich werde folgen.

(Domingo geht ab. Nach einem Stillschweigen.)

Beweinenswerter Philipp, wie dein Sohn

Beweinenswert! – Schon seh ich deine Seele

Vom gift’gen Schlangenbiss des Argwohns bluten,

125Dein unglücksel’ger Vorwitz übereilt

Die fürchterlichste der Entdeckungen,

Und rasen wirst du, wenn du sie gemacht.

Zweiter Auftritt

KARLOS. MARQUIS VON POSA.

KARLOS.

Wer kommt? – Was seh ich! O ihr guten Geister!

Mein Roderich!

MARQUIS.

Mein Karlos!

KARLOS.

Ist es möglich?

130Ist’s wahr? Ist’s wirklich? Bist du’s? – O du bist’s!

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