865
Die Verkündungeiner Verwaltungsvorschrift in einem Amtsblatt o.Ä. ist grundsätzlich nicht erforderlich. Denn regelmäßig beschränkt sich die Wirkung einer Verwaltungsvorschrift auf den Binnenbereich. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn eine Verwaltungsvorschrift ausnahmsweiseunmittelbare Außenwirkung entfaltet. Dies ist insbesondere bei normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften der Fall (s.o. Rn 859). Hier korrespondiert mit der unmittelbaren Außenwirkung eine Publikationspflicht[11].
866
Adressaten einer Verwaltungsvorschrift sind grundsätzlich nur die nachgeordneten Verwaltungsstellen. Hier folgt aus der Weisungsgebundenheiteine Pflicht, die Vorgaben der Verwaltungsvorschrift zu beachten[12]. Dies gilt zumindest grundsätzlich auch dann, wenn ein Bediensteter eine Verwaltungsvorschrift für rechtswidrig hält, weil sie nach seiner Ansicht nicht in Einklang mit dem geltenden Recht steht (s.o. Rn 863 ff). In einem solchen Fall muss sich der Bedienstete an seinen Vorgesetzten wenden und diesen auf die Rechtswidrigkeit hinweisen (sog. Remonstration)[13].
867
Von der Bindungswirkung nach innen zu unterscheiden ist die Rechtswirkung nach außen. Da sich Verwaltungsvorschriften grundsätzlich nur an die nachgeordneten Verwaltungsstellen richten, entfalten sie regelmäßig keine unmittelbare Außenwirkung. Etwas anderes gilt ausnahmsweise bei normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften (s.o. Rn 859). Sonstige entscheidungslenkende Verwaltungsvorschriften entfalten jedoch eine mittelbare Außenwirkung. Denn durch die Anwendung der Verwaltungsvorschrift wird zugleich eine bestimmte Verwaltungspraxis begründet. Diese muss sich wieder am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GGmessen lassen: Der Bürger hat in nachfolgenden Entscheidungssituationen einen grundsätzlichen Anspruch auf Gleichbehandlung. Allerdings darf die Verwaltung nach allgemeinen Grundsätzen bei Vorliegen eines sachlichen Grundes von der bisherigen Verwaltungspraxis abweichen. Zudem besteht kein Anspruch auf Gleichheit im Unrecht. Beim ersten Anwendungsfall einer Verwaltungsvorschrift ist auf die „antizipierte Verwaltungspraxis“ abzustellen: Es ist davon auszugehen, dass die Verwaltung künftig so verfährt, wie in der Verwaltungsvorschrift vorgesehen ist[14].
868
Aus der regelmäßig fehlenden unmittelbaren Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften ist auch abzuleiten, dass grundsätzlich keine Rechtsschutzmöglichkeit gegen Verwaltungsvorschriften als solche besteht. Insbes. können sie nicht Gegenstand einer prinzipalen Normenkontrolle sein. Denn eine solche ist nach § 47 VwGOnur bei Rechtsvorschriften mit Außenwirkungstatthaft[15]. Etwas anderes muss konsequenterweise auch hier gelten, wenn einer Verwaltungsvorschrift ausnahmsweise unmittelbare Außenwirkung zukommt. Vom Rechtschutz gegen die Verwaltungsvorschrift als solche zu unterscheiden ist der Rechtsschutz gegen einen Vollzugsakt, der maßgeblich von einer Verwaltungsvorschrift gesteuert wird. Dieser richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Insbes. kann ein belastender VA mit einer Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO angegriffen werden. Dessen Rechtmäßigkeit ist grundsätzlich nur an den Rechtsvorschriften mit Außenwirkung zu messen, zu denen aber auch Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Verwaltungspraxis gehört.
Ausbildungsliteratur:
Jarass, Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften, JuS 1999, 105; Muckel, Unterschiedliche Vorgaben zur Haartracht für Frauen und Männer in der Bundeswehr, JA 2019, 635; Reimer, Grundfragen von Verwaltungsvorschriften, JURA 2014, 678; Voßkuhle/Kaiser, Verwaltungsvorschriften, JuS 2016, 314.
§ 23 Privatrechtliches Handeln der Verwaltung
869
Fall 25:
Das Land Berlin fördert den Wohnungsbau von Privatleuten durch Bereitstellung von Geld im Landeshaushalt. Es möchte die Förderung aber nicht durch eigene Behörden vollziehen, sondern einer Bank diese Aufgabe übertragen. Diese soll entsprechend den „Richtlinien zur Wohnungsbauförderung“ die Förderungswürdigkeit eines Objekts feststellen und bei Bejahung dieser Voraussetzung an den Bauherrn ein zinsgünstiges Darlehen auszahlen. Darf das Land Berlin in dieser Weise vorgehen? Rn 887
I. Das sog. Verwaltungsprivatrecht
870
Bereits bei der Verortung des Verwaltungsrechts in der Rechtsordnung wurde erläutert, dass die öffentliche Verwaltung zwar typischerweise, jedoch nicht notwendigerweise mit den öffentlich-rechtlichen Handlungsformen agiert (s.o. Rn 61). Vielmehr kann sie in bestimmten Konstellationen auch auf der Grundlage des Privatrechts tätig werden. Zu dem damit umschriebenen Verwaltungsprivatrecht i.w.S.[1] gehören fiskalische Hilfsgeschäfte, die erwerbswirtschaftliche Betätigung der Verwaltung sowie das Verwaltungsprivatrecht i.e.S. (s.u. 1). Eine besondere Rolle nimmt das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe ein (s.u. 2). Zumindest im Grundsatz befreit eine privatrechtliche Betätigung die öffentliche Hand aber nicht von der Grundrechtsbindung (s.u. 3).
1. Anerkannte Anwendungsfelder
a) Fiskalische Hilfsgeschäfte
871
Zum Verwaltungsprivatrecht gehören zunächst die fiskalischen Hilfsgeschäfte: Die Verwaltung benötigt zur Erfüllung ihrer Aufgaben bestimmte Sachmittel, insbes. Verwaltungsgebäude, Grundstücke, Büromaterial oder Kraftfahrzeuge[2]. Diese Hilfsmittel beschafft sie sich durch den Abschluss privatrechtlicher Verträge, also durch Kauf-, Miet-, Werkverträge. Ferner beschäftigt sie Arbeiter und Angestellte auf Grund privatrechtlicher Verträge. In diesen Fällen handelt die Verwaltung wie jeder private Unternehmer.
b) Erwerbswirtschaftliche Betätigung der Verwaltung
872
Der Staat betätigt sich erwerbswirtschaftlich. Er besitzt eigene Unternehmenoder hält Anteile an Unternehmen(dem Bund gehörten Aktien der Lufthansa-AG, dem Land Niedersachsen gehören Aktien des VW-Konzerns). Das Handeln von Staatsunternehmen unterliegt grundsätzlich dem Privatrecht. Es gibt keine öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft oder GmbH. Dem Staat als Unternehmer sind ferner alle Grenzen gesetzt, die auch für Privatunternehmer gelten, zB Grenzen nach dem UWG oder dem GWB.
873
Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeindenist in den Gemeindeordnungen gesetzlich geregelt[3]: Hier ist normiert, dass die Gemeinden wirtschaftliche Unternehmen nur errichten, übernehmen oder wesentlich erweitern dürfen, wenn der Unternehmenszweck nicht besser und wirtschaftlicher bzw. ebenso gut durch einen anderen erfüllt wird oder erfüllt werden kann; die Gemeinden dürfen deshalb nur ausnahmsweise unternehmerisch tätig werden[4].
c) Verwaltungsprivatrecht im engeren Sinne
874
In begrenztem Umfang können auch unmittelbare Verwaltungsaufgaben in der Form des Privatrechts erledigtwerden. Das ist dann der Fall, wenn Normen des öffentlichen Rechts die Erfüllung der Verwaltungsaufgabe in den Formen des öffentlichen Rechts nicht zwingend vorschreiben. Für die Träger der Verwaltungsaufgaben besteht dann in doppelter Hinsicht Wahlfreiheit: mit Blick auf die Organisationsform der Einrichtung, welche die öffentliche Aufgabe erfüllen soll, sowie mit Blick auf die Ausgestaltung des Leistungs- oder Benutzungsverhältnisses.
Beispiel:
Die Gemeinden können die Wasserversorgung selbst in Form eines Regie- oder Eigenbetriebs erbringen oder von einer von ihnen beherrschten privatrechtlichen Gesellschaft, zB einer GmbH oder AG, durchführen lassen. Erfolgt die Wasserversorgung durch die Gemeinde selbst, entstehen zwischen ihr und den Wasserverbrauchern öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen; es ist aber auch möglich, die Rechtsbeziehungen privatrechtlich auszugestalten. Geschieht die Wasserversorgung durch eine GmbH, so entstehen zwischen dieser und den Wasserverbrauchern privatrechtliche Benutzungsverhältnisse[5].
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