Der US-amerikanische Psychologe und Psychotherapeut Albert Ellis entwickelte Mitte des letzten Jahrhunderts ein einfaches Modell, welches die Entstehung von Emotionen und Verhaltensweisen sehr gut veranschaulicht. Er erkannte, dass nicht allein ein äußerer Reiz zu Gefühlen oder Handlungen führt, sondern dass es einen, meist nicht bewussten, Zwischenschritt gibt. Der Schritt zwischen Ereignis und Gefühl ist die eigene Bewertung des Ereignisses.
Das ABC-Modell:
Activating experiences – innere oder äußere Wahrnehmung
Beliefs – Annahmen und Interpretationen
Consequences – Verhalten und Gefühle
Activating experiences – Innere oder äußere Wahrnehmung
Über unsere Sinneskanäle (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten) ist unser Gehirn pro Sekunde mit etwa 2 Milliarden Sinneseindrücken konfrontiert. Nur ein Teil dieser Informationen gelangt in den Vordergrund. Das bedeutet, nur ein Teil dieser Informationen wird von uns bewusst wahrgenommen. Der weitaus größere Teil wird als irrelevant verworfen.
Wie unser Gehirn zwischen relevant und irrelevant unterscheidet, hängt von unserer selektiven Wahrnehmung ab. Auf diese komme ich im Detail an späterer Stelle noch zu sprechen.
Mit »activating experiences« sind zunächst einmal die äußeren Reize gemeint. Im Beispiel von Daniel und Stefan wäre ein äußerer Reiz zum Beispiel der Punkt »Abschlussbericht fertigstellen« auf ihrer To Do-Liste oder zu sehen, wie die neue Kollegin eine Aufgabe mit Bravour meistert.
Beliefs – Annahmen und Interpretationen
Die Activating experiences sind bei Daniel und Stefan identisch. Der Unterschied liegt lediglich darin, wie beide die Geschehnisse bewerten. Diese Bewertung hängt wiederum von ihren inneren Überzeugungen/ Glaubenssätzen ab, die im Englischen Beliefs genannt werden. Viele dieser Glaubenssätze entstehen bereits in unserer Kindheit. Sowohl unsere familiäre als auch unsere gesellschaftliche Erziehung basieren, wie erwähnt, auf dem Prinzip von Belohnung und Bestrafung. Wirst du also zum Beispiel als Kind besonders oft für deine Andersartigkeit bestraft, kann es gut sein, dass in dir der Glaubenssatz entsteht »Ich bin nicht gut genug« oder »Mit mir stimmt etwas nicht«. Wurdest du hingegen besonders oft belohnt, kann es gut sein, dass in dir der Glaubenssatz »Ich bin etwas ganz Besonderes« oder »Ich bin gut, so wie ich bin« entsteht.
Ob du besonders oft belohnt oder bestraft wirst, hängt wiederum von den Glaubenssätzen deiner Eltern, Lehrer oder anderen dir nahestehenden Personen ab. Oft werden Glaubenssätze einfach 1 zu 1 an die eigenen Kinder weitergeben. So haben viele meiner Klienten und Teilnehmer negative Glaubenssätze wie »Man muss hart arbeiten für sein Geld«, »Das Leben ist ein Kampf« oder »Wir sind einfache Leute und weniger Wert als die Schönen und Reichen« einfach von ihren Eltern übernommen. Aber auch positive Glaubenssätze wie »Wir sind Macher«, »Wir sind etwas ganz Besonderes«, »Alles kommt so, wie es kommen soll« oder »Es gibt immer eine Lösung« werden von den Eltern übernommen.
Als Kind bist du noch nicht in der Lage, diese Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und so prägen sich solche Sätze tief in dein Unterbewusstsein ein und sorgen dafür, dass in dir eine gewisse Grundüberzeugung entsteht. Diese Grundüberzeugungen beeinflussen dann wiederum, wie du alle weiteren Erfahrungen in deinem Leben interpretierst. Stefans Grundüberzeugung ist vielleicht »Ich bin nicht gut genug«. Aus diesem Grund fokussiert er sich ständig auf das, was er noch nicht erreicht, erledigt oder geschafft hat. Daniel hingegen ist vielleicht von Grund auf davon überzeugt »ein Macher« zu sein. Diese Grundüberzeugung sorgt dafür, dass er sich darauf fokussiert, was er bereits alles erreicht, erledigt oder geschafft hat.
Consequences – Verhalten und Gefühle
Die Bewertung der Geschehnisse beeinflusst unsere Gefühle und damit unser Verhalten. Nicht die äußeren Umstände führen zu Stefans Burnout, sondern einzig und allein sein Gefühl, nicht gut genug zu sein. Das Burn-out bestärkt wiederum sein negatives Selbstbild und lässt einen Teufelskreis entstehen.
Daniel fühlt sich hingegen selbstbewusst. Dieses selbstbewusste Gefühl beflügelt ihn in seinem Tun, sodass er schlussendlich noch mehr Dinge erledigen kann. Sein selbstbewusstes Auftreten und seine Produktivität imponieren wiederum seinem Chef und so kommt es zu der besagten Beförderung. Die Beförderung bestätigt Daniel erneut in seinem ohnehin schon positiven Selbstbild und so nimmt der Engelskreis seinen Lauf.
BEISPIEL
Um das ABC-Modell noch besser zu veranschaulichen, würde ich gern zwei weitere Szenarien mit dir durchspielen:
Stell dir eine Frau mittleren Alters mit leichtem Übergewicht vor. Wir nennen sie Trixi. Trixi geht in der Stadt spazieren, während ein Mann ihr im Vorbeigehen zulächelt. Leider ist Trixi unbewusst der Überzeugung, nicht gut genug zu sein. Seit Jahren fühlt sie sich außerdem sehr unwohl in ihrem Körper. So kommt es, dass sie das Lächeln des Mannes als ein »Belächeln« bewertet. Anstatt das Lächeln zu erwidern, schaut sie beschämt zu Boden und läuft weiter.
Activating experiences – Innere oder äußere Wahrnehmung
Ein Mann lächelt Trixi auf der Straße an
Beliefs – Annahmen und Interpretationen
Innere Überzeugung: »Ich bin nicht gut genug.«
Bewertung aufgrund der inneren Überzeugung: »Ich werde belächelt.«
Consequences – Verhalten und Gefühle
Gefühl = Scham
Verhalten = Blick auf den Boden und weiterlaufen.
Angela, ebenfalls mittleren Alters und leicht übergewichtig, befindet sich am selben Tag in einer identischen Situation. Auch sie läuft durch die Stadt spazieren, während ihr ein Mann im Vorbeigehen ein Lächeln schenkt. Anders als Trixi trägt Angela jedoch die Überzeugung in sich, ein echter Männermagnet zu sein. So bewertet sie das Lächeln des Mannes natürlich als Flirtversuch und fühlt sich geschmeichelt. Anstatt beschämt auf den Boden zu schauen, erwidert sie das Lächeln mit einem verführerischen Augenaufschlag.
Activating experiences – innere oder äußere Wahrnehmung
Ein Mann lächelt Angela auf der Straße an
Beliefs – Annahmen und Interpretationen
Innere Überzeugung: »Ich bin ein Männermagnet.«
Bewertung aufgrund der inneren Überzeugung: »Er will mit mir flirten.«
Consequences – Verhalten und Gefühle
Gefühl = geschmeichelt/bestätigt Verhalten = Augenaufschlag und Lächeln
Das jeweilige Verhalten von Trixi und Angela steht natürlich auch wieder in Wechselwirkung zu ihrem Umfeld und beeinflusst das Verhalten des Gegenübers und damit, wie die Geschichte weitergeht.
Der Mann, der Trixi ein Lächeln schenken wollte, fühlt sich durch Trixis ausweichenden Blick auf den Boden und das Weiterlaufen abgelehnt. Er interpretiert Trixis Verhalten als Korb, fühlt sich unsicher und geht ebenfalls weiter. So endet die Geschichte zwischen den beiden.
Der Mann hingegen, der von Angela einen Augenaufschlag und ein Lächeln empfängt, fühlt sich in seinem Flirtversuch bestätigt und traut sich, Angela anzusprechen. Aus diesem Gespräch werden sich weiter neue Möglichkeiten ergeben.
Die meisten Menschen glauben, dass die negativen Erfahrungen in ihrem Leben daran schuld sind, dass sie sich unglücklich, traurig, hilflos, wütend oder verärgert fühlen. Die logische Konsequenz ist, dass sie versuchen, die Ursachen im Außen zu verändern, um die negativen Gefühle nicht mehr fühlen zu müssen. Mit dem Ziel, endlich frei von ständigen negativen Gefühlen zu sein, versuchen viele ein Leben lang ihren Partner, die Kollegen, die Eltern, den Beruf, oder die Freunde zu ändern.
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