Viele der Ideen von Darwin und Wallace erwiesen sich als erstaunlich genau, obwohl man die Genetik damals noch nicht verstand. Zwar hatte Darwin selbst mit dem Adjektiv »genetisch« die noch unbekannten Mechanismen der Vererbung bezeichnet, doch erst im frühen 20. Jahrhundert verwendete der britische Biologe William Bateson den Begriff »Genetik« in einer Beschreibung des wissenschaftlichen Vorgangs. 1930 schrieb der Brite Ronald Fisher The Genetical Theory of Natural Selection , das Darwins Theorie der natürlichen Selektion mit den Vererbungsregeln vereinte, die Gregor Mendel im 19. Jahrhundert entwickelt hatte. Im Jahr 1937 meinte der ukrainisch-US-amerikanische Genetiker Theodosius Dobzhansky, dass ständig auftretende genetische Mutationen genügten, um die genetische Diversität – und damit verschiedene Merkmalsausprägungen – hervorzubringen, die natürliche Selektion ermöglichten. Evolution sei die Änderung der Häufigkeit eines »Allels« im Genpool. Der Begriff »Allel« beschreibt eine der alternativen Formen eines Gens, die durch Mutationen auftreten.
»Warum sterben einige und leben andere? … Die Antwort war klar, dass insgesamt die besser angepassten überleben. «
Alfred Russel Wallace Autobiography , 1905
Albinismuswie bei diesem Leopardgecko ist eine Mutation, durch die Pigmente fehlen. Sie verringert die Überlebenschancen dieses Geckos, da er lichtempfindlicher ist.
Eine Mutation ist eine permanente Änderung der Sequenz in der Desoxyribonukleinsäure (DNA), dem Molekül, auf dem Gene codiert sind. Demnach unterscheidet sich die Sequenz des betroffenen Individuums von der der Artgenossen. Mutationen können durch Kopierfehler bei der Zellteilung auftreten, ebenso durch Umweltfaktoren wie Schädigungen durch die ultraviolette Strahlung der Sonne. Manche Mutationen wirken sich nur auf den Organismus selbst aus, andere auf seine Nachkommen und zukünftige Generationen.
Vererbte Mutationen können, müssen aber nicht den Phänotyp des Individuums – seine Körper- und Verhaltensmerkmale – ändern. Beeinflussen sie den Phänotyp, können sie vorteilhaft oder unvorteilhaft sein, also die Überlebens- und Reproduktionschancen verbessern oder verschlechtern. Unvorteilhafte Mutationen verschwinden aus der Population eher wieder; wenn sich durch sie der Organismus besser an die Umwelt anpasst, kommen sie im Lauf von Generationen häufiger vor. Mit der Zeit kann die Abweichung von der Elternpopulation so groß sein, dass eine neue Art entsteht; dies nennt man Artbildung oder Speziation.
»Die überwiegende Mehrheit großer Mutationen ist schädlich; kleine Mutationen sind sowohl häufiger als auch mit größerer Wahrscheinlichkeit nützlich. «
Ronald Fisher The Genetical Theory of Natural Selection , 1930
Die Mutationsraten sind in der Regel sehr gering, Mutationen treten aber ständig auf und können vorteilhaft, neutral oder nachteilig sein. Sie ergeben sich nicht aus den Bedürfnissen des Organismus und sind in diesem Sinne zufällig. Doch einige Typen gibt es häufiger als andere. Heute wissen wir etwa, dass die Evolution bei Bakterien sehr schnell ablaufen kann, da bei ihnen Mutationen oft vorkommen.
Die Vorfahren aller Lebewesen waren sehr einfache Organismen. Nach aktuellen Forschungen sind die ältesten biogenen (auf Lebewesen zurückgehenden) Gesteine fast 4 Mrd. Jahre alt, seither sind hochkomplexe Lebewesen entstanden. Spätere Fossilien, die heutigen Arten ähnlicher sind, zeigen, wie das abgelaufen ist. So reicht die Fossilüberlieferung zu den Vorfahren des Pferdes 60 Mio. Jahre zurück, die frühesten Funde lassen auf hundegroße, waldbewohnende Tiere mit mehreren Zehen an jedem Fuß schließen. Die Evolution machte daraus viel größere Pferde mit einem einzigen Huf an jedem Fuß, die gut an die offenen Grasländer angepasst waren, wo sie oft vor Räubern fliehen mussten.
»Im Licht der Evolution betrachtet, ist die Biologie vielleicht die intellektuell befriedigendste und inspirierendste Wissenschaft. «
Theodosius Dobzhansky»Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Licht der Evolution«, in: The American Biology Teacher , März 1973
Der Birkenspanner ( Biston betularia ) zeigt dagegen radikale Veränderungen in kurzer Zeit. Diese Motte ist gewöhnlich hell, sodass sie auf der Rinde von Birken gut getarnt ist, doch eine Mutation brachte auch einzelne schwarze Exemplare hervor. Vor dem 19. Jahrhundert waren die meisten Birkenspanner hell. Während der Industrialisierung hinterließ der Kohlerauch Rußablagerungen auf Bäumen und Gebäuden und die schwarze Form trat häufiger auf. 1895 waren 95% dieser Motten in britischen Städten schwarz, weil die hellen leicht zu sehen waren und die Vögel sie fraßen. Diese Beobachtung gilt heute noch als Beispiel für Darwins Theorie, denn die hellen Motten wurden wieder mehr, nachdem die Verschmutzung abgenommen hatte. 
Zwei Birkenspannerzeigen beispielhaft Evolution. Der untere ist ein Beispiel für industriellen Melanismus. Diese dunkle Varietät erschien in britischen Städten im frühen 19. Jh.
Charles Darwin
Der 1809 in Shropshire (England) geborene Darwin begeisterte sich von klein auf für Naturgeschichte. An der Universität in Cambridge freundete er sich mit einflussreichen Forschern an, darunter John Stevens Henslow. So wurde Darwin eingeladen, an einer Weltreise teilzunehmen. Henslow half ihm auch, seine Ergebnisse zu katalogisieren und zu veröffentlichen.
Darwins Forschungen machten ihn berühmt und brachten Anerkennung: 1853 die Royal Medal der Royal Society , 1854 die Mitgliedschaft in der Linnean Society . 1859 war Die Entstehung der Arten sofort ausverkauft. Trotz schwacher Gesundheit hatte Darwin zehn Kinder und hörte nie auf, zu arbeiten und neue Theorien zu entwickeln. Er starb 1882.
Hauptwerke
1839 Zoology of the Voyage of HMS Beagle.
1859 Über die Entstehung der Arten durch natürliche Züchtung
1868 The Variation of Animals and Plants under Domestication
1872 The Expression of Emotions in Man and Animals
Verwandtenselektion
Der Begriff »Verwandtenselektion« wurde 1964 von dem britischen Biologen John Maynard Smith eingeführt. Er beschreibt eine Evolutionsstrategie, bei der ein Organismus den Fortpflanzungserfolg seiner Verwandten über das eigene Überleben und die eigene Fortpflanzung stellt. Darwin diskutierte als Erster dieses Konzept, als er sich mit dem scheinbaren Paradoxon des altruistischen Verhaltens bei sozialen Insekten wie den Arbeiterinnen der Honigbienen befasste, die sich selbst nicht fortpflanzen, sondern dies ihrer Mutter überlassen. Der britische Evolutionsbiologe William Donald Hamilton meinte, dass sich beispielsweise Bienen altruistisch verhalten (indem sie anderen bei der Fortpflanzung helfen), wenn sich die beiden Bienen genetisch sehr nahestehen und der Vorteil für den Empfänger den Nachteil für den Geber überwiegt. Dies nennt man Hamiltons Regel.
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