Zurück in England, dachte er über die Schnäbel der kleinen Vögel – meist »Finken« genannt, obwohl sie nicht zur Familie der Finken gehören – nach. Da der Schnabel das wichtigste Werkzeug bei der Nahrungsaufnahme ist, gibt seine Form Hinweise auf die Ernährung. Nach späteren Studien gibt es auf den Galápagos-Inseln 14 verschiedene Finkenarten mit deutlichen Unterschieden bei der Schnabelform. So haben Kaktusfinken lange, spitze Schnäbel, um Samen aus Kaktusfrüchten zu picken, während Grundfinken kurze, dicke Schnäbel haben, besser geeignet für große Samen am Boden. Die Waldsänger-Darwinfinken haben dünne, scharfe Schnäbel, die ideal sind, um Fluginsekten zu fangen.
Darwin spekulierte, dass die Finken von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen mussten, der die Inselgruppe aus Südamerika erreicht hatte. Die Vielfalt der Finkenpopulationen hatte sich, so Darwin, in verschiedenen Lebensräumen entwickelt. Dabei hatte sich jede Gruppe durch einen Vorgang, den er später »natürliche Selektion« nannte, an eine spezifische Nahrung angepasst. Im Lauf der Zeit seien die Populationen zu getrennten Arten geworden.
Vergleich der Schnabelform von Galápagos-Finken
Geospiza magnirostris Mit dem kurzen, scharfen Schnabel kann der Großgrundfink, der größte der Darwinfinken, Nüsse knacken.
Geospiza fortis Der Schnabel des Mittelgrundfinks ist variabel und passt sich evolutionär schnell an die verfügbaren Samen an.
Camarhynchus parvulus Der kurze, kräftige Schnabel des Zwergdarwinfinken ist an Samen, Früchte und Insekten angepasst.
Certhidea olivacea Mit dem dünnen Schnabel kann der Waldsänger-Darwinfink gut nach kleinen Insekten und Spinnen suchen.
Im 21. Jahrhundert entdeckten Forscher an der Harvard-Universität, wie dies auf genetischer Ebene abläuft. Ihre Ergebnisse von 2006 zeigen, dass das Molekül Calmodulin die Gene reguliert, die die Schnabelform bestimmen. Bei den langschnabeligen Kaktusfinken ist seine Konzentration höher als bei den kurzschnabeligen Grundfinken.
Darwin wurde von Thomas Malthus’ Werk An Essay on the Principle of Population (1798; dt.: Eine Abhandlung über das Bevölkerungsgesetz , 1905) beeinflusst, in dem dieser schrieb, das Bevölkerungswachstum werde irgendwann die Lebensmittelproduktion übersteigen. Das passte zu Darwins Beobachtungen des ständigen Konkurrenzkampfs zwischen Individuen und Arten um Ressourcen. Dieser Wettbewerb bildet das Rückgrat von Darwins Theorie.
Um 1839 hatte Darwin die Idee der Evolution durch natürliche Selektion für sich formuliert. Er zögerte aber, sie zu veröffentlichen, da er einen Sturm der Entrüstung von denjenigen erwartete, die sie als Angriff auf Religion und Kirche sehen würden. Als er aber 1857 Briefe des britischen Naturforschers Alfred Russel Wallace erhielt, der unabhängig zu ähnlichen Schlüssen gekommen war, erkannte Darwin, dass er sie nun veröffentlichen musste. Manuskripte von Darwin und Wallace wurden im Juli 1858 unter dem Titel On the Tendency of Species to Form Varieties; and on the Perpetuation of Varieties and Species by Natural Means of Selection bei einer Versammlung der Linnean Society in London vorgelesen.
Im Jahr danach veröffentlichte Darwin die Theorie in dem Buch Über die Entstehung der Arten durch natürliche Züchtung . Einige Forscher reagierten verärgert, weil sie von Lamarcks Konzept der Transmutation abwich, andere beleidigt, weil sie die wörtliche Bibelinterpretation untergraben sahen. Wieder andere meinten, dass sie die große Vielfalt von Merkmalen im Artenreich ignoriere, und nannten sie »führungslos« und »nicht progressiv«.
Darwin war dennoch zuversichtlich. Er wusste, dass Individuen einer Art gewisse natürliche Variationen zeigen: Einige haben längere Haare, kürzere Beine oder hellere Farben. Sie alle konkurrieren um begrenzte Ressourcen und so folgerte Darwin, dass diejenigen, deren Merkmale am besten für die Umwelt geeignet waren, eher überlebten und Nachkommen hätten. Also würden die Merkmale, durch die Individuen länger leben und sich fortpflanzen, an mehr Nachkommen vererbt, während Merkmale, die weniger Erfolg versprechen, verloren gehen. Darwin nannte diesen Vorgang »natürliche Selektion« – durch sie wird eine Population einer Art im Lauf von Generationen immer besser an ihre Umgebung angepasst.
»Ich sehe keinen triftigen Grund, warum die in diesem Buche aufgestellten Ansichten gegen irgendjemandes religiöse Gefühle verstoßen sollten. «
Charles Darwin Die Entstehung der Arten , 1859 (deutsche Ausgabe von 1884)
Darwin entwickelte zudem eine Theorie der sexuellen Selektion. Er stellte sie in Entstehung der Arten vor und entwickelte sie in The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex (1871; dt.: Die Abstammung des Menschen und geschlechtliche Zuchtwahl , 1875) weiter. Die sexuelle Selektion unterscheidet sich von der natürlichen, denn Darwin erkannte, dass Tiere ihre Partner nach Merkmalen aussuchen, die das Überleben nicht immer fördern. So konnte er sich nicht vorstellen, dass die spektakulären, aber unpraktischen Schwanzschleppen der männlichen Pfauen beim Überleben halfen. Vielmehr erhöhen sie den individuellen Fortpflanzungserfolg. Hennen wählen den Hahn mit dem leuchtendsten Schwanz, sodass dessen Erbmaterial weitergegeben wird. Leuchtende Farben sind ein Zeichen für Gesundheit, sodass es für Hennen eine gute Strategie ist, danach zu schauen. Doch die Idee, dass die Weibchen den Partner wählen, löste Kritik aus: Gesellschaftlich konnte im 19. Jahrhundert zwar akzeptiert werden, dass Männer um die Fortpflanzung konkurrieren (intrasexuelle Selektion), aber über intersexuelle Selektion, bei der ein Geschlecht (meist das weibliche) die Wahl trifft, wurde gelacht.
Der Fortpflanzungserfolg ist für die Zukunft einer Art entscheidend. Natürliche Selektion wird oft als das »Überleben des Bestangepassten« bezeichnet, aber Langlebigkeit alleine ist nicht das Kriterium. Wenn Individuum A zehnmal so lange lebt wie B, aber B doppelt so viele Nachkommen hat, vererbt B mehr Gene als der langlebigere A.
Natürliche Selektion
Pfauenmit prächtigen Schwänzen ziehen die meisten Hennen an. Der leuchtende Schwanz wird als Merkmal an die männlichen Nachfahren vererbt, die ebenfalls leicht Partnerinnen finden.
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