Zwischen dem SCN und der Zirbeldrüse (engl. pineal gland ) gibt es ebenfalls eine Kommunikationsschleife. Die Funktion der Zirbeldrüse ist, das Hormon Melatonin in nächtlichen Stunden zu generieren. Das Hormon dockt an den Blutgefäßen im Gehirn und an den Zellen des Immunsystems an und signalisiert dem Körper bei Dunkelheit, dass die Zeit zum Ausruhen kommt. Die Konsequenzen davon sind die Reduzierung des körperlichen Energieverbrauchs, wobei der Blutdruck auch gesenkt wird. Das Hormon senkt die Körperkerntemperatur und beeinflusst das Immunsystem maßgeblich.
Durch die Synchronisation des Schrittmachers SCN mit dem Hell-Dunkel-Rhythmus des natürlichen Lichts werden verschiedene physiologische Körperfunktionen in einer zirkadianen Periodizität getaktet. In der Abb. 3.12. sind die zirkadianen Rhythmen der beiden Hormonarten Melatonin und Cortisol und der Körperkerntemperatur über zwei Tage dargestellt.
Abb. 3.12 Zirkadiane Rhythmen von den beiden Hormonarten Melatonin und Cortisol und der Korperkerntemperatur uber zwei Tage (nach [20]). Reproduziert mit Genehmigung der Autor/- innen.
Der Hormonspiegel von Melatonin am Tag ist gering (s. Abb. 3.12) und beträgt etwa ein Drittel bis ein Zwölftel des Melatoninspiegels in den nächtlichen Stunden. Der Melato ninspiegel beginnt etwa ab 20 Uhr abends (lokale Zeit) anzusteigen. Ohne Lichtwirkung erreicht die Melatoninkonzentration um 3–4 Uhr morgens das Maximum. Der Spiegel von Cortisol erreicht das absolute Maximum am frühen Morgen zwischen etwa 6:30 und 8 Uhr. Die Körperkerntemperatur durchläuft ihr Minimum um etwa 4:30 Uhr morgens.
Der Signalweg von ipRGC zum SCN und über den SCN zu den Gehirnzentren im Hypothalamus trägt wie oben beschrieben zur Hormonsteuerung und zur Steuerung von vegetativen Funktionen bei. Die Auswirkungen von Licht auf diese vegetativen Funktionen können noch Tage bis Wochen nach der Beendigung der Lichtexpositionen anhalten. Die direkten Wirkungen von ipRGC zu den anderen Verarbeitungszentren ohne den SCN als Zwischenstation enden schnell nach dem Abschluss derAugenbelichtung. Zu denweiteren Lichtwirkungen gehören Effekte wie Lernen, Kognition, Wachheit, Stimmung und Emotion, wobei sich diese fünf Effekte untereinander beeinflussen. Die Frage, wie Licht mit seiner Intensität, seines Spektrums und seiner zeitlicher Eigenschaft in den einzelnen Gehirnregionen und im Verbund der Regionen diese fünf o. g. Effekte steuert, wird in den folgenden Ausführungen beantwortet.
3.3.2.1 Lichtwirkungen auf Stimmung und Lernen
In 2018 wurden in [21] Forschungsergebnisse vorgestellt, wonach die unterschiedlichen Unterpopulationen von ipRGC mit unterschiedlichen Proteinen bzw. unterschiedlichen Transkriptionsfaktoren Urheber für die Signale sind, die auf die verschiedenen Bahnen zum SCN und zum Thalamus Wirkungen auf das Lernen und die Stimmung ausüben (s. Abb. 3.13).
Die ipRGC mit dem Transkriptionsfaktor Brn3b (−) senden die Signale zum SCN, die bei der Einkopplung im Hippokampus das Lernen beeinflussen (s. Abb. 3.13). Dieser Prozess beeinfluss den Schrittmacherprozess im SCN nicht. Die ipRGC mit dem Transkriptionsfaktor Brn3b (+) senden die Signale zum Thalamus und speziell zum Perihabenula Nucleus (PHb), die dort auf die Stimmung einwirken.
Abb. 3.13 Unterschiedliche ipRGC-Signalbahnen wirken auf das Lernen und die Stimmung aus. Quelle: TU Darmstadt (nach [21]).
3.3.2.2 Allgemeine Lichtwirkungen auf Kognition, Emotion und Wachheit [26]
Es gab in der jüngsten Vergangenheit eine Reihe von neurologischen Untersuchungen, die nachwiesen, dass die ipRGC-Signale auf unterschiedliche Gehirnregionen projizieren. Dazu zählen:
• ventrolateral preoptic nucleus (VLPO), ein Bereich des Hypothalamus, der schlafaktive Neuronen enthält,
• lateral hypothalamic area (LHA, s. Abb. 3.10), ein Bereich, der sog. orexinergic neurons zur Regulierung von Wachsamkeit beinhaltet,
• olivary pretectal nucleus (OPN) zur Regulierung des Pupillendurchmessers,
• Amygdala (MA), ein Zentrum zur Emotionsregulation.
Eine der modernsten Methoden der Gehirndiagnostik im Zusammenhang mit der Lichtwirkung ist die Methode der Gehirnbildanalyse (engl. neuroimaging oder Tomografie), bei der – unter der Wirkung von weißem Licht oder von farbigen Lichtern unterschiedlicher Wellenlängen und unterschiedlicher Belichtungsdauern – die Regionen der angeregten Gehirnzentren identifiziert werden und die Stärke der Gehirnaktivität aufgezeichnet wird. Dabei kamen in den letzten Jahren die Methoden positron emission tomography ( PET ) [22] für die Untersuchung der Lichtwirkung in der Nacht und functional magnetic resonance imaging (fMRI) für die Analyse am Tag zum Einsatz, wobei in beiden Fällen die beleuchteten Personen Rechen- und Suchaufgaben durchführen mussten, die eine kognitive Belastung, Aufmerksamkeit und Reaktionsvermögen verlangen und eine erhöhte auditive und visuelle Sensorik erfordern [23–25]. Die Gehirnbildbeobachtung fand dabei sowohl während der Belichtungszeit als auch einige Minuten nach der Beendigung des Belichtungsvorgangs statt.
Die Modulation der Gehirnaktivität, angeregt durch die Lichtexposition, kann in den folgenden Gehirnregionen beobachtet werden:
• In den subkortikalen Strukturen, die für die Wachheit zuständig sind, wie die Struktur im Hirnstamm [25] in einer Lokation ähnlich wie Locus caeruleus (LC, s. Abb. 3.10), im Hypothalamus, in einer Region, die den SCN enthält [22] und in den dorsalen und posterioren Teilen des Thalamus [23–25];
• in der Region des Hippokampus [25], die für das Langzeitgedächtnis und für das Lernen zuständig ist;
• in der Amygdala, einer Region, die für die Emotionen verantwortlich ist [25].
Auf dem kortikalen Niveau können die Gehirnaktivitäten und deren Modulationen in den Regionen beobachtet werden, die für eine Top-down-Regulierung der Aufmerksamkeit zuständig sind, wie z. B. der dorsolaterale präfrontale Kortex [25]. Der präfrontale Kortex z. B. erhält sensorische Signale und befindet sich in einer engen Bindung mit der Zusammenfügung von Gedächtnisprozessen und emotionalen Bewertungen. Die Funktionen und Prozesse des präfrontalen Kortexes sind für die Handlungsplanung und -steuerung und für die Regulierung emotionaler Vorgänge maßgeblich. Die Tatsache, dass die kortikalen Strukturen im Gehirn ihre Aktivität auch bei Lichtwirkungen zeigen, spricht für eine enge Kommunikation der Signale zwischen der Netzhaut, den hypothalamischen, den thalamischen und den limbischen (Amygdala, Habenula) Strukturen und den subkortikalen und kortikalen Einheiten in der Großhirnrinde.
3.3.2.3 Wellenlängenabhängigkeit von Gehirnaktivitäten bei Lichtexposition [26]
Die Forschungsarbeiten [22–25] verfolgten u. a. das Ziel, die Wellenlängenabhängigkeit der Gehirnaktivitäten in den einzelnen Gehirnregionen am Tag zu untersuchen. Die Wellenlängenabhängigkeit der Melatoninunterdrückung in den nächtlichen Stunden ist bereits durch die Arbeiten von Brainard und Thapan (s. Kap. 2) bekannt. In den Ergebnissen in [24] und [25] konnten Modulationen der Gehirnaktivität durch Wellenlängen gleicher Photonendichten während der Durchführung von Aufgaben hoher kognitiver Belastungen (sog. 2-back-Aufgaben nach [27]) durch Proband/-innen gezeigt werden. Solche Modulationen können im Hirnstamm in einer LC-kompatiblen Lokation, im Thalamus und in der Inselrinde (Insula), die für die emotionale Bewertung von Schmerzen und für die Wahrnehmung des Gleichgewichtssinns mitverantwortlich ist, registriert werden. Solche Modulationen wurden im linken frontalen und im parietalen Kortex [24, 25] ebenfalls aufgezeichnet, was für das Arbeitsgedächtnis (engl. working memory ) wichtig ist.
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