In den o. g. Forschungen konnte nachgewiesen werden, dass eine blaue Strahlung um 480nm eine höhere Gehirnaktivität verursacht als die grüne (550nm, in der Nähe des Maximums der V (𝜆)-Funktion oder des (L+M)-Kanals) bzw. die violette Wellenlänge (um 430 nm, in der Nähe des Maximums des spektralen Aktionsspektrums der S-Zapfen). Bei der Initiation des Lichtpulses (engl. light onset ) der blauen Wellenlänge (473nm) konnte eine höhere Gehirnaktivität im Thalamus, im Hippokampus und in der Amygdala aufgezeichnet werden als die bei Licht der grünen Wellenlänge (527nm, in der Nähe des Maximums des spektralen Aktionsspektrums der M-Zapfen). Man kann damit behaupten, dass ein relativ langer Impuls der blauen Strahlung (um 473–480 nm) eine höhere Anregung und Wirkung auf Regionen für das Langzeitgedächtnis, für die Emotionen und für die visuelle Wahrnehmung als eine grüne Strahlung (um 527 nm) ausüben kann. Letzteres spricht viel für die Bedeutung der melanopsinhaltigen ipRGC für die Kognition, Emotion sowie für das Lernverhalten und die Wachheit.
3.4 Timing-System, zirkadianer Rhythmus und Schlafverhalten
3.4.1 Fragestellungen
Das Timing-System im Kontext des zirkadianen Rhythmus existiert in allen Lebewesen auf der Erde (Pflanzen, Tierwesen, Menschen), die durch das Sonnenlicht beleuchtet sind und ihr Biorhythmus aus diesem Grund mit dem Hell-Dunkel-Zyklus des Tageslichtes und der Rotation der Erde um die eigene Achse und um die Sonne eng verbunden ist. Bei der Analyse des Blockthemas Timing-System ergeben sich einige grundlegende Fragestellungen, die beantwortet und dargestellt werden sollen:
1 1. Was ist die grundlegende Aufgabe des Timing-Systems?
2 2. Wie wird das Timing-System molekular im Nervensystem aufgebaut?
3 3. Wie kommt der eigene Biorhythmus zustande, welcher Vorgang gibt den Takt vor?
4 4. Wie kann der Takt, die Periodizität und die Phasenlage stabilisiert werden, sowohl im zentralen Nervensystem als auch im autonomen Nerven- und Funktionssystem?
5 5. Wie können die Amplitude (die Ausprägung) und die Phase des zirkadianen Rhythmus beeinflusst werden?
3.4.2 Timing-System: Entrainment, Zeitgeberrolle
Das Timing-System koordiniert die zeitlichen Abläufe und die zeitliche Zuordnung der Funktionen aller Mechanismen im vegetativen und physiologischen System der Menschen. Es synchronisiert diese Prozesse zu der periodischen Änderung der Umweltbedingungen. Die Zeitgeber dabei sind das Licht, die sozialen Ereignisse und Termine (wie Sitzungstermine, Arbeitszeit, Treffen mit Bekannten, Mahlzeiten). Ohne diese Zeitgeber als Anker und Nachjustierung würde der Biorhythmus freilaufen und das würde dann zu einer Desynchronisation der vegetativen, physiologischen und kognitiven Funktionen führen. Mittels des Timing-Systems können sich die Lebewesen und die Menschen auf die tageszeitlichen und jahreszeitlichen Änderungen der Umwelt vorbereiten und Vorsorge treffen. Diese Vorbereitungen betreffen die gesundheitlichen, nahrungstechnischen, sozialen und sogar technischen Aspekte des Lebens.
Die Frage „Welcher Zeitgeber beeinflusst den zirkadianen Rhythmus der Menschen am meisten?“ wurde in einer Forschungsarbeit [31] beantwortet. Diese Untersuchung des Schlafverhaltens von 21 600 Menschen in Deutschland, deren Populationsverteilung der tatsächlichen Populationsverteilung der Bundesrepublik Deutschland entspricht und deren Wohnorte von West nach Ost über 9° (von 6°–15°) Längengrad (Zeitzonen) verteilt sind, verfolgte die Hypothese, dass das Schlafverhalten der Menschen im Fall der sozialen Zeit als den größten Zeitgeber unabhängig von der Zeitzone sein müsste. Diese untersuchten Bewohner/-innen wurden außerdem in die Bewohner/-innen der Städte mit einer Bevölkerungszahl bis 300 000 Einwohner/-innen, zwischen 300 000–500 000 Einwohner/- innen und größer als 500 000 Einwohner/-innen unterteilt. Diese Aufteilung verfolgte die zweite Hypothese, dass das Schlafverhalten der Einwohner/-innen von größeren Städten weniger abhängig von der Zeitzone sein muss, da die Lebensweise in großen Städten eher in den Innenräumen und mit weniger Bewegung im freien Raum stattfindet.
Die Ergebnisse in [31] zeigen eindeutig, dass das Schlafverhalten von der Zeitzone, d. h. von den Sonnenereignissen (Sonnenuntergang, Sonnenaufgang), abhängt. Diese Abhängigkeit kann schwächer werden, wenn größere Städte betrachtet werden. Dennoch sagt das statistisch abgesicherte Ergebnis eindeutig aus, dass das Timing-System der Menschen vom Sonnenlicht gesteuert wird.
Jedes Timing-System enthält einen Taktgenerator, eine biologische Uhr, die biokybernetisch gesehen ein biologisches System ist, dessen Eingangsgrößen die Synchronisationssignale von der äußeren Umwelt oder von dem eigenen internen (endogenen) System des Lebewesens erhalten. Es ist bei Weitem nicht optimal, wenn sich der eigene Biorhythmus und die Zyklen der Umwelt (wie Hell-Dunkel-Zyklus, Arbeitszeit, Schichtarbeit) stark voneinander unterscheiden. Daher ist eine auf eine natürliche Weise selbstständige Synchronisation zwischen den Rhythmen der Umgebung und dem eigenen Rhythmus wünschenswert.
Die Synchronisierung zwischen einem Zeitgeber (Taktgeber) und dem eigenen Organismus wird dabei als Entrainment bezeichnet. Wie oben beschrieben ist das natürliche Licht (Sonnenlicht) der wichtigste und prägendste Zeitgeber. Bei Säugetieren und bei Menschen gibt es im Timing-System eine hierarchisch strukturierte Architektur, deren zentraler Zeitgeber die SCN-Einheit ist. Die Zellen innerhalb des SCN können sich untereinander synchronisieren und synchronisieren nach außen die Rhythmen der einzelnen Körperorgane und Körperfunktionen der unteren Stufen. Zu den wichtigsten Körperfunktionen, die einer zirkadianen Periodizität unterliegen, gehören die Melatoninausschüttung, die Cortisolsynthese über den Tag und die Körperkerntemperatur, deren tägliche Verläufe in der Abb. 3.12dargestellt sind.
3.4.3 PRC-Funktion, Phasenverschiebung
Nach der Erkenntnis, dass das Sonnlicht der dominanteste Zeitgeber für den humanen Biorhythmus ist, wird nun die Frage interessant und relevant, wie die Änderungen des Sonnenlichts durch die wechselnden Wettereinflüsse (Regen, Schnee, Sturm, Bewölkung) auf die Synchronisation der biologischen Uhr einwirken. Es ist ebenfalls relevant zu fragen, wie die Phasenlage der zirkadianen Periodizität von der Lichtintensität und von der Uhrzeit der Lichtexposition abhängt. Diese Frage führt zu der sog. PRC-Kurve (engl. phase response curve , s. Abb. 3.14).
Diese in der Entrainment-Theorie bekannte Kurve (s. Abb. 3.14) beruht auf dem Grundprinzip, dass ein Lichtreiz, der auf die Netzhaut eintrifft, die biologische Uhr verstellen kann. Der Betrag der Phasenlageverschiebung hängt von der Lichtintensität und der spektralen Strahlungszusammensetzung ab, während die Richtung der Phasenverschiebung vom Zeitpunkt der Lichteinwirkung abhängt.
Abb. 3.14 Phase response curve (PRC). Quelle: TU Darmstadt.
An dem Verlauf der PRC-Kurve in der Abb. 3.14erkennt man, dass die Lichtexpositionen zwischen 12 und 20 Uhr kaum bzw. keine Phasenverschiebung verursachen. Lichteinwirkungen auf den Abendoszillator des zentralen Schrittmachers zwischen 20 und 5 Uhr am frühen Morgen stellen diesen Oszillator nach (engl. delay shift ). Der Übergang zwischen Phasenverzögerung (Abendoszillator ist aktiv) zur Phasenverkürzung (Voreinstellung, der Morgenoszillator ist aktiv) ist sehr schnell in der Zeit um 5 Uhr morgens. Die höchste Effizienz der Phasenverkürzung wird um 6–7 Uhr morgens erreicht. Es kann täglich eine Phasenverschiebung von etwa max. 3 h erreicht werden.
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