Bereits in den ersten Stunden der elektrischen Beleuchtungstechnik zum Anfang des 20. Jahrhunderts arbeitete die Lichtforschung an Konzepten und Kennwerten, um die visuelle Leistung der Menschen auf der Arbeit und zu Hause zu verbessern. Der Mensch stand und steht daher bereits im Mittelpunkt der Beleuchtungstechnik, die geschichtlich unterschiedliche Stufen des Wissens und der technologischen Möglichkeiten durchlief. Aus der heutigen Sicht kann man die humanzentrierte Beleuchtung gemäß der Formulierung von Boyce wie folgt beschreiben (s. [34]):

Abb. 3.16 Ausgangsgrößen des visuellen und nicht visuellen Gehirnverarbeitungsapparats – eine Systematik. Quelle: TU Darmstadt.
What the people who talk about human-centric lighting mean is lighting that considers both the visual and non-visual effects of exposing humans to light and that widens the range of possible effects from visual performance and comfort to sleep quality, alertness, mood and behaviour with consequences for human health, learning and spending.
(Was die Menschen meinen, wenn sie über Human Centric Lighting sprechen, ist eine Beleuchtung, die sowohl die visuellen als auch die nicht visuellen Effekte der Lichtexposition des Menschen berücksichtigt und die die Bandbreite möglicher Effekte von der Sehleistung und dem Komfort bis hin zur Schlafqualität, der Wachsamkeit, der Stimmung und dem Verhalten mit Konsequenzen für die menschliche Gesundheit, das Lernen und das Ausgeben von Geld erweitert.)
Im Sinn der Lichtforschung besteht der Rahmen Human Centric Lighting somit aus visuellen und nicht visuellen Effekten mit ihren Komponenten visuelle Leistung, emotionale Aspekte wie Stimmung (engl. mood ), Verhalten (engl. behaviour ) sowie nicht visuelle Wirkungen wie Schlafqualität und Wachheit (engl. alertness ). Der Begriff Human Centric Lighting ist somit das primäre Ziel der Beleuchtungstechnik und umfasst die Aktivität der Entwicklung der passenden Lichtprodukte, der Lichtplanung und der konkreten Lichtinstallation und Lichtprogrammierung vor Ort mit dem Ziel, die lichttechnischen Bedürfnisse der Nutzer/-innen in einem konkreten Nutzungskontext optimal zu befriedigen.
Das schließt die Nachkontrolle und die Evaluation der Beleuchtungsqualität einige Wochen oder Monate nach der Lichtinstallation ein. Diese lichttechnischen Aktivitäten sind wichtig und aufeinander angewiesen, um das HCL-Ziel zu erfüllen. Eine passende, mit viel Erfahrung und Sorgfalt realisierte Lichtplanung ohne optimale und HCL-förderliche Lichtprodukte ist im Endeffekt limitiert. Umgekehrt können die besten technischen Lichtsysteme ohne gute Lichtplanung und mit wenig Berücksichtigung der Nutzerbedürfnisse die beabsichtige Lichtwirkung nicht hervorrufen.
Aus der Sicht der Lichtplanung braucht man Kenngrößen und Metriken, die das komplexe Themenfeld des HCL in ihren gegenseitig bedingten Wechselwirkungen beschreiben können. Aus der Sicht von heute ergibt sich eine Struktur für diese HCL-Metriken oder HCL-Kenngrößen, die in der Abb. 3.17dargestellt ist.
Die aus dem spektralen Strahlungsfluss der Lichtquellen (Lampen, Leuchten) oder den spektralen Verteilungen an den Wänden oder auf der Arbeitsebene gewonnenen Kenngrößen in der Abb. 3.17können demnach in die drei Gruppen visuelle Leistung , Farbqualität und nicht visuelle (melanopische) Wirkungen unterteilt werden. Dabei erzeugen die beiden ersten Gruppen eine sofortige Wirkung (innerhalb weniger Minuten erkennbar) und Impression über die beleuchteten Szenen und die Raumumgebung (z. B. „ Die Szene ist angenehm “, „ Der Raum ist harmonisch beleuchtet “, „ Die Szene ist hell und klar “, „ Der Raum ist geräumig “), die über längere Zeit auch eine langzeitige Wirkung erzeugen können.
Die nicht visuellen Wirkungen beziehen sich vorwiegend auf die langzeitige Nachhaltigkeit, die nur entsteht und sich bemerkbar macht, wenn die eingesetzte Beleuchtung über längere Zeit positive Wirkungen (wie gute Schlafqualität und Konzentration) oder im schlechten Fall negative Wirkungen (wie Unkonzentriertheit, Müdigkeit) erzeugt. Die sofortigen und langzeitigen Effekte im Kontext von HCL (oder integratives Beleuchtungskonzept ) führen dann zu einer nachhaltigen Raumwirkung, Raumbewertung und zu einem positiven Effekt auf die Gesundheit.
Abb. 3.17 Struktur und Rahmen der HCL-Kenngrofeen, die aus dem Spektrum der Beleuchtung abgeleitet werden konnen. Quelle: TU Darmstadt.
Im Prozess der Erforschung der HCL-Wirkungen betrachten die Lichtwissenschaft und die Schlafforschung die Gesamtheit der oben geschilderten Komplexität (s. Abb. 3.18).
Abb. 3.18 Gesamtheit der HCL-Komplexe. Quelle: TU Darmstadt.
Das HCL-System beginnt laut Abb. 3.18mit den Einflussparametern (Uhrzeit, Jahreszeit, Zeitdynamik, Wetter, Geografie, Gebäudebeschaffenheit, Fensterorientierung) und berücksichtigt die Anwendungen mit deren spezifischen Inhalten (z. B. Schulen, Krankenhäuser, Industriehallen, Büros). Alle Nutzer/-innen haben dabei eine eigene Lebensgeschichte und Individualität (Gewohnheiten, Kultur, Geschlecht, Alter, Lichtsensitivität) und äußern sich in ihrer Lichtempfindung und Lichtwahrnehmung mit der visuellen Leistung (z. B. Lesezeit, Sehschärfe), der psychologischen und subjektiven Raumbewertung (z. B. zu hell, dunkel, angenehm, bevorzugt, nicht schön) und den physiologischen Biosignalen (Herzfrequenz, EEG, Blutdruck, Melatoninspiegel, Stresshormonspiegel).
In der Abb. 3.18sind auch bereits die Steuerungs- und Regelungsparameter skizziert, mit denen die Leuchtenentwickler/-innen, Programmierer/-innen von Cloud-Software und die Gebäudetechniker/-innen lichttechnisch die Beleuchtungsqualität und die Raumwirkung beeinflussen können. Die technischen Aspekte von Smart Lighting im Zusammenhang mit Human Centric Lighting werden ausführlich in Kap. 11vorgestellt.
3.7 Werkzeuge und Methoden für die Ermittlung der subjektiv und objektiv messbaren Lichtwirkungen
Für die Ermittlung der notwendigen Sehleistungen bzw. Arbeitsleistungen wurden psychophysische und arbeitswissenschaftliche Methoden und Werkzeuge seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute entwickelt und angewandt. Diese Methoden werden ausführlich in Kap. 4erörtert. Für die Ermittlung der farbqualitätstechnischen Merkmale einer Beleuchtungsszene werden einige Fragebögen in Kap. 6im direkten Kontext mit den dort beschriebenen Farbexperimenten vorgestellt. In diesem Abschn. 3.7. werden einige Methoden und Werkzeuge zur Ermittlung der nicht visuellen Lichtwirkungen und der Beleuchtungsqualität zusammengefasst. Die Leser/-innen, die sich detaillierter informieren möchten, erhalten an den passenden Stellen Literaturhinweise auf Fachartikel.
3.7.1 Fragebögen zur umfassenden subjektiven Bestimmung der Beleuchtungsqualität von Innenräumen
Für die Charakterisierung der Gütemerkmale einer Innenraumbeleuchtung werden oft Fragebögen verwendet, um die Bewertungen der Nutzer/-innen qualitativ zu ermitteln. Solche Gütemerkmale sind u. a. Helligkeitsniveau, Leuchtdichteverteilung der Wände, Tageslicht, Blendung, Farbe und Farbwiedergabe, Spiegelungen und Bedienbarkeit. Ein solcher Fragebogen wurde innerhalb der Lichttechnischen Gesellschaft Deutschlands erarbeitet [36] und ist sowohl für Forschungszwecke in den Laboren als auch in Feldstudien einsetzbar. Alle Fragen sind mit einer bipolaren Antwortskala verbunden und im Anhang A dieses Buches dargestellt.
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