32. Wenn man, ihr Athener, wie wir jetzt thun, an Andere hülfesuchend sich wendet, ohne frühere Aussprüche wes gen großer Verdienste oder Bundesgenossenschaft zu haben, so ist es billig, hauptsächlich zu beweisen, daß das Ansinnen vorteilhaft für jene, wo nicht, daß es zum Mindesten ihnen nicht nachtheilig sei: sodann, daß man zuverläßig dankbar sein werde. Kann man von Diesem nichts überzeugend darthun, so darf man über den ungünstigen Erfolg sich nicht beschweren. Nun haben aber die Korcyräer und abgeordnet, eure Bundesgenossenschaft nachzusuchen, und glauben dabei, euch haltbare Gründe dafür darlegen zu können. Freilich scheint zufälliger Weise gerade die Art unseres Benehmens für unser Begehren bei euch nicht begründend, und für unsere Zwecke in der jetzigen Lage ungünstig zu sein. Denn nie sind wir in frühern Zeiten mit Jemand freiwillig in Kriegsgenossenschaft getreten, und doch wenden wir uns jetzt mit einem solchen Gesucht an Andere; daher sind wir auch bei dem jetzigen Kriege mit den Korinthern in einer verlaßnen Lage, und so erscheint nun unsere bisherige vermeintlich kluge Zurückhaltung, indem wir nicht durch auswärtige Bündnisse uns mit den Planen Anderer in Gefahren einlassen wollten, umgekehrt als Unbesonnenheit und Schwäche. Zwar haben wir in der erfolgten Seeschlacht für uns allein die Korinther zurückgeschlagen; da sie nun aber mit größerer Rüstung vom Peloponnes und dem übrigen Hellas gegen uns heranziehen, und wir uns außer Stand sehen, mit unserer einheimischen Macht zu siegen, und die Gefahr groß ist, wenn wir ihnen unterliegen sollten, so sind wir genöthigt, sowohl euch, als Andere, wer sie auch sehen, um Hülfe zu bitten: und wir verdienen Nachricht, wenn wir nicht aus schlimmer Absicht, sondern aus irriger Ansicht bisher unthätig gewesen, und nun das Gegentheil wagen."
33. "Euch aber wird, wenn ihr uns Gehör schenkte unsere zufällige Hülfsbedürftigkeit mancherlei Vortheile gewähren. Einmal werdet ihr Unrechtleidende, die Andern kein Unrecht zugefügt, unterstützen: sodann werdet ihr durch die Zuflucht, die ihr uns jetzt gewährt, wo unser Theuerstes in Gefahr schwebt, das unvergeßlichste Denkmal in unseren dankbaren Gemüthern stiften. Ferner sind wir im Besitze einer Seemacht, welche, die eurige ausgenommen, jede andere übertrifft. Ueberleget, welcher Glücksfall seltner ist, welcher für eure Feinde kränkender sein muß, als wenn eine Macht, deren Beitritt ihr höher als viel Geld und Gunst geachtet hättet, euch unaufgefordert, ohne Kampf und Geldaufwand von selbst sich darbietet: die noch dazu in der öffentlichen Meinung euch den Ruhm edler Gesinnung, bei den Schützlingen Dank, und für euch selbst einen Machtzuwachs verschafft: Vortheile, die Wenigen jemals vereint zu Theil wurden. Denn selten trifft es sich, daß die, welche ein Bündniß suchen, dem Angerufenen nicht minder Sicherheit und Ruhm verleihen, als sie durch ihr Gesuch zu erlangen hoffen. Sollte aber jemand unter euch glauben, der Krieg, bei welchem wir euch nützlich werden könnten, werde nicht eintreten, der hat eine irrige Ansicht, indem er nicht bedenkt, daß die Lacedämonier aus Furcht vor euch Krieg wünschen, und daß die Korinther bei ihnen Einfluß haben, und euch abgeneigt sind, und uns im Voraus für den künftigen Angriff auf euch, bezwingen möchten, damit wir nicht in gemeinsamem Kasse gegen sie uns vereinigen, und damit von ihren Zwecken einer wenigstens vorläufig nicht unerreicht bleibe, entweder uns zu schwächen, oder sich selbst zu stärken. Unsere Sache dagegen ist es nun, ihnen zuvorzukommen, indem wir einen Waffenbund euch anbieten, und ihr ihn annehmet, und lieber angriffsweise, als vertheidigend gegen sie zu verfahren."
34. "Wofern sie aber einwenden, es sein unbillig, daß ihr ihrem Tochterstaate Schutz verleitet, so mögen sie sich belehren lassen, daß jedes Pflanzvolk, so lange es gut behandelt wird, den Mutterstaat ehrt, aber bei erlittener Mißhandlung ihm entfremdet wird. Denn Ansiedler werden ausgesendet nicht um Sclaven, sondern um gleichberechtigt mit den Zurückbleibenden 311 sinn. Es ist aber unzweifelhaft, daß Jene Unrecht gethan haben. Denn in der Sache von Epidamnus zu gerichtlicher Verhandlung eingeladen, wollten sie ihre Beschwerden lieber mit den Waffen, als auf dem Rechtswege verfolgen. Euch aber möge dieses ihr Betragen gegen uns, als Stammsverwandte, aufmerksam machen, daß ihr euch weder durch ihre Täusdungen irre führen lasset, noch auf ihre Bitten sofort ihnen Hülfe leistet. Denn der behauptet seine Sicherheit am besten, welcher am wenigsten Anlaß hat, seine Gefälligkeit gegen Feinde zu bereuen."
35. Ihr werdet aber auch, wenn ihr uns in Schutz nehmet, die Verträge mit Sparta nicht verleben, da wir mit keinem Theile im Bunde stehen. Denn dort ist bestimmt, daß, welcher Griechische Staat in keinem Bündnisse einbegriffen sei, nach Gefallen sich an einen von beiden Theilen anschließen dürfe. Und empörend wäre es doch, wenn es ihnen vergönnt wäre, nicht nur aus dem Gebiete der Bergratsgenossen, sondern auch noch dazu aus dem übrigen Griechenland, und in bedeutender Anzahl aus Euren Untergebenen ihre Schiffe zu bemannen, während man uns von einer Bundesgenossenschaft, zu der alle berechtigt sind, und von anderweitiger Hülfe ausschließen, und euch zum Vorwurf machen wollte, wenn ihr unserer Bitte Gehör gebet. Wir würden vielmehr größeren Grund zur Beschwerde gegen euch haben, wenn wir euch nicht für uns gewinnen. Denn ihr würdet ja uns, die wir in Gefahr und nicht eure Feinde sind, zurückweisen: den Korinthern aber, die eure Feinde sind, und euch bedrohen, würdet ihr nicht nur nicht entgegenwirken, sondern ihr würdet es auch gleichgültig geschehen lassen, daß sie ihre Macht aus eurem Gebiete unrechtmäßig vermehren. Es ist vielmehr billig, daß ihr entweder ihre Werbungen auf eurem Boden hindert, oder auch und Hülfe sendet, auf welche Bedingungen ihr auch mit uns eins werdet. Am billigsten aber ist es, und dadurch zu helfen, daß ihr uns offenen Schutz gewähret. Wir können das bei, wie wir schon im Aufange bemerkten, mancherlei Vortheile für euch nachweisen: der wichtigste ist, daß wir dieselben Gegner haben, was zugleich die sicherste Bürgschaft unserer Treue ist, und zwar keine unmächtigen, sondern solche, welche die Abgefallenen zu züchtigen im Stande sind. Ferner ist es nicht gleichgültig, ob ihr das angebotene Bündniß einer Seemacht (denn wir sind keine Landmacht) von euch weiset. Vielmehr müßt ihr, wo möglich, vor allen Dingen nicht dulden, daß ein Staat seine Schiffe vermehre: wo nicht, so müßt ihr doch den, welcher der zuverlässigste ist, zum Freunde haben."
36. "Und sollte nun jemand diese Vorschläge zwar vors theilhaft finden, aber fürchten, durch deren Befolgung bundbrüchig zu werden, so möge er bedenken, daß sich seine Furcht, da ihr Macht zur Seite steht, den Gegnern furchtbarer machen wird: daß hingegen die Beseitigung jener Bedenklichkeit und des Bündnisses, weil sie ohne Machtvergrößerung bliebe, wenig geeignet sein werde, bei so mächtigen Gegnern Furcht zu erregen. Diese Berathschlagung gilt ja ausserdem eben sowohl Athens, als Corcyra’s Wohl: und man sorgt nicht gut für jenes, wenn man aus Rücksicht für die Gegenwart Bedenken tragen sollte, für einen künftigen und in Kurzem eintretenden Krieg ein Land mit sich zu verbinden, dessen Freundschaft oder Verfeindung von bedeutendem Gewicht ist. Denn Corcyra liegt bequem für die Fahrt nach Italien und Sicilien: so daß diese Insel die Ueberfahrt einer Flotte von da nach dem Peloponnes verhindern kann, dein aber, was von hier aus dorthin geht, sicheres Geleit gewährt. Und auch sonst bietet sie viele Vortheile dar. Um aber in kurzer Hauptsumme das Ganze, wie das Einzelne, zusammen zu fassen, so möget ihr aus Folgendem euch über: zeugen, daß ihr uns nicht hülflos lassen dürfet. Es giebt drei bedeutende Seemächte unter der Hetlenen, die eure, die unsere und die Korinthische. Lasset ihr zwei davon sich vereinigen, und uns den Korinthern zur Beute werden, so werdet ihr mit Corcyra und den Peloponnessern zugleich den Seekampf zu bestehen haben. Nehmet ihr aber uns zu Buna desgenossen auf, so wird im Kampf auf eurer Seite die Mehrzahl der Schiffe sein." Solches trugen die Korcycäer vor. Die Korinther aber redeten nach ihnen in folgendem Sinne:
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