Ein ganz amüsantes Experiment zeigt uns zugleich die Macht und Machtlosigkeit unseres Geistes: In einem Schlaflabor wurde Probanden mitgeteilt, dass diejenige Person 10 000 Dollar erhalten würde, die zuerst einschlief. Was war das naheliegende Ergebnis? Alle hatten eine schlaflose Nacht! Die Vorstellung, die 10 000 Dollar zu bekommen, zusammen mit dem krampfhaften Bemühen, möglichst schnell einzuschlafen, hielt alle die ganze Nacht wach. Vieles steht nicht in unserer Macht und ist nicht durch unseren Willen beeinflussbar. Dazu gehört auch das Einschlafen: Je dringender ich einschlafen will, umso schwieriger wird es.
Nichts als Unsinn im Kopf
Wir denken also meistens nicht, wann wir wollen, und auch nicht, was wir wollen. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn unsere Gedanken zumindest sinnvoll und für unseren Alltag nützlich wären. Doch auch das ist leider oft nicht der Fall, denn die meisten unserer Gedanken sind vollkommen nutzlos. Wir beschäftigen uns einen Großteil des Tages gedanklich mit Dingen, die uns nicht weiterhelfen, die banal und überflüssig sind oder im ungünstigsten Fall sogar schädlich. Das trifft natürlich nicht auf alle Gedanken zu, aber wohl auf den größeren Teil.
Viele unserer Gedanken sind sinnlos oder gar unheilsam, weil sie schlicht überflüssig sind, überflüssig in dem Sinn, dass sie zu nichts führen, nicht einmal zu einem guten Gefühl. Neulich kam eine meiner Klientinnen in die Therapiestunde und berichtete, sie habe von einer verstorbenen Tante 20 000 Euro geerbt und sei nun endlich für einige Jahre ihre Geldsorgen los. Leider gehe es ihr aber gar nicht gut, denn sie habe darüber nachgedacht, wie schwer es für sie wohl werde, wenn das Geld ausgegeben sei. Meine Klientin sah mein Schmunzeln, und wir mussten beide laut loslachen. So verrückt kann unser Denkapparat sein! Anstatt ein Fest zu feiern und sich über die 20 000 Euro zu freuen, produzierte er gleich wieder ein neues Problem.
Wir vergeuden unglaublich viel von unserer Energie, weil wir uns immer wieder mit Ereignissen beschäftigen, die entweder längst vergangen sind oder die nie eintreten werden. Besonders unsinnig ist das Gedankenspiel »Was wäre gewesen, wenn …?« Obwohl die Vergangenheit vergangen ist und sich von keinem Menschen der Welt mehr verändern lässt, beschäftigt sich unser Verstand damit, wie es hätte anders laufen können. Diese Form des Denkens ist eine Vergeudung unserer Energie und unserer Zeit. Wir haben wirklich Besseres zu tun, als uns ständig über gestern oder über morgen Sorgen zu machen.
Ebenso schädlich sind Gedanken, die uns selbst, unsere Zukunft oder unsere Umgebung in ein besonders negatives Licht stellen. Sind wir in einer schlechten Stimmung, dann setzen wir eine düstere Brille auf und betrachten die Welt durch einen Grauschleier. Jeder von uns hat seine eigenen destruktiven Lieblingsbotschaften, die sich je nach Persönlichkeit unterscheiden. Bei manchen Menschen klingt das beispielsweise so: »Du kannst das nicht!« Oder: »Die anderen sind sowieso besser als du!« Bei anderen klingt es so: »Du strengst dich nicht genug an!« Oder: »Wie blöd hast du dich da wieder angestellt?« Bei wieder anderen: »Mit dir will sowieso niemand etwas zu tun haben!« Oder: »Es wird dir bald was ganz Schreckliches passieren!«
All das stimmt natürlich nicht, aber wenn wir erst einmal die Negativ-Brille aufgesetzt haben, sieht alles nur noch düster aus. Es ist genau wie mit der Zitronenscheibe: Wir können nicht zwischen unserer inneren, selbst erschaffenen gedanklichen Wirklichkeit und der äußeren Realität unterscheiden. Unser Geist hält diese Aussagen für wahr. Eine Instanz in uns sagt: »Ja, genau so ist es, so und nicht anders.« Wenn wir durch die Negativ-Brille schauen, können wir meist auch nur negative Dinge wahrnehmen. Wir sehen dann nur Menschen, die grimmig dreinblicken, und bemerken an uns selbst nur unsere Schwächen. Egal, wie schön die Sonne gerade scheint, die paar Wolken am Himmel sind der untrügliche Beweis dafür, dass es sicher bald regnen wird. Unser Geist konstruiert sich so seine eigene Wirklichkeit. Ist das Glas halb leer oder halb voll?
Beinahe hätten meine negativen Gedanken übrigens dazu geführt, dass ich dieses Buch nie fertig geschrieben hätte. Als ich mit dem Schreiben anfing, war ich noch ganz optimistisch, doch irgendwann überfielen mich innere Botschaften wie: »Ein solches Buch ist eine Nummer zu groß für dich! Du brauchst es gar nicht zu schreiben, du findest eh keinen Verlag. Und wenn du einen findest, kauft keiner das Buch! Wen interessiert das schon?« Die Folge davon war natürlich, dass ich nicht mehr kreativ arbeiten konnte. Ich schrieb einen Abschnitt und löschte ihn gleich wieder, jeder Satz, den ich zum zweiten Mal las, gefiel mir nicht mehr. Und in der Tat hatte sich nicht nur meine Bewertung der Texte geändert, auch mein Schreibstil war langweilig und lustlos geworden. Das Schreiben machte keine Freude mehr, sondern war ein Kampf geworden. Meinen Gedanken war es gelungen, eine Wirklichkeit nach ihrem Abbild zu erschaffen. Was ich da erlebte, war die von Schriftstellern so gefürchtete Schreibblockade: Ein überkritischer Geist erstickt jede Kreativität und Lebendigkeit, der Text wird fade, das Schreiben zur Qual.
Aber was konnte ich nur tun, um wieder Freude am Schreiben zu finden, um an mein Vorhaben zu glauben? Ich wusste, der einzige Weg bestand darin, mein Denken zu beruhigen und genau das anzuwenden, was ich in diesem Buch beschreibe. Es half nichts, wenn meine Freunde mir sagten: »Du schaffst das, wir glauben an dich.« In meinem Inneren stieg sofort ein Einwand auf: »Die können das gar nicht beurteilen, von denen schreibt ja niemand.« So entschied ich mich, für einige Tage in ein Meditationszentrum zu gehen, um meinen Kopf zu entspannen. Und siehe da: Mein Geist wurde ruhiger und der Text begann wieder zu fließen. In mir war es stiller geworden und Lebendigkeit und Kreativität kehrten zurück.
Ich denke, also fühle ich
Manchmal wird so getan, als seien Gedanken schlecht (»Das ist alles nur in deinem Kopf«) und Gefühle gut (»Hör lieber auf dein Bauchgefühl«). Leider muss ich auch diese Illusion zerstören, denn sehr oft werden unsere Gefühle natürlich durch Gedanken ausgelöst. Gedanken, Körperempfindungen, Gefühle und Handlungen sind untrennbar miteinander verwoben. Die Zitronenübung hat uns gezeigt, wie durch Kognitionen und Vorstellungsbilder unmittelbar und ohne unsere Entscheidung autonome Körperreaktionen ausgelöst werden. Damit gehen dann natürlich auch Gefühle wie Freude oder Ärger einher. Im Alltag ist es sehr schwer, bewusst wahrzunehmen, wie Gedanken unsere Gefühle anstoßen, weil diese Prozesse sehr schnell und automatisch ablaufen.
Nehmen wir einmal an, du hast dich nach langer Zeit endlich wieder mit einem Freund fürs Kino verabredet und freust dich auf den Abend. Du hast die Tickets schon in der Tasche und wartest jetzt vor dem Kino auf ihn. Als er nach zehn Minuten immer noch nicht da ist, wirst du langsam ungeduldig und versuchst, ihn auf dem Handy zu erreichen, aber er geht nicht dran. Vermutlich ist er nicht rechtzeitig aus dem Büro weggekommen. Deine Ungeduld nimmt zu: »Sicher laufen die Trailer/läuft die Filmvorschau schon. … Jetzt hock ich hier alleine mit den Tickets. Wo bleibt dieser Blödmann nur? … Ich bin ja schließlich auch pünktlich. …« Es steigt langsam Ärger in dir auf und fünf Minuten später bist du schließlich richtig sauer: »Eigentlich hab ich es ja schon länger gewusst, der denkt nur an sich, mit so einem verabredest du dich auch noch? …« Plötzlich siehst du, wie er ganz langsam in Richtung Kino kommt und sein Fahrrad schiebt. Die Lust aufs Kino ist dir längst vergangen: »Das lass ich mir nicht bieten …«
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