»Ich danke Ihnen, Dr. Hepburn, aber ich habe kein Interesse daran, mich nochmal dieser Meute zur Schau zu stellen. Miss Honeychurch ist doch gerade erst aufgewacht und verdient es, sich in Ruhe in dieses Leben zurückzufinden und ausgiebig zu erholen. Finden Sie nicht?« Verstehen konnte ihn keiner. Keiner kannte den Schmerz, den er seit dem Tag verspürte, an dem ihm seine Mutter von ihrer Vergangenheit berichtet hatte. Wie eine schwere Bürde lasteten ihre Worte auf seiner Seele. Sie hatte das Unrecht, das ihr widerfahren war, nicht rächen können.
Jetzt war er an der Reihe zu handeln, doch nicht jetzt und ganz bestimmt nicht mit diesem Trubel an Reportern und Möchtegernjournalisten um ihn herum. Nein, seine Mission musste im Stillen stattfinden. Unter vier Augen. Mehr bedurfte es nicht.
***
»Na, Mädels? Erzählt schon! Was gibt es Neues?«
»Du bist lustig. Uns ist es doch viel wichtiger zu erfahren, wie es dir geht. Mensch, du hast uns allen einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Stacy ist als Erste aufgefallen, dass du noch fehlst. Während noch alle darum bangten, ob es die Exponate im Erdgeschoss des Museums unbeschadet überstehen würden, und einige der Mitarbeiter den Tränen nahe waren, stürmte sie wie von der Tarantel gestochen los. Sie flehte die Feuerwehrleute förmlich an, nochmal in den Bürotrakt des Gebäudes zu gehen. Doch die meinten alle, dass es zu gefährlich sei. Du hättest sie mal sehen müssen. Sie ist ausgeflippt und rumgerannt, hat jeden der Männer angebettelt und wollte am Ende sogar selbst rein. Ja, bis sie dann auf diesen ausgesprochen gut aussehenden Feuerwehrmann gestoßen ist. Stacy, wie hieß er noch gleich?«
»Bricks. Captain Bricks. Ich werde seine leuchtend blauen Augen mein ganzes Leben nicht mehr vergessen. Kaum dass ich ihn angesprochen hatte, rannte er auch schon los. Seine Männer wollten ihn aufhalten, doch er hat sich nicht beirren lassen. Als er dich schließlich eine halbe Ewigkeit später nach draußen gebracht hatte, bin ich vor ihm auf die Knie gesunken und habe ihm von ganzem Herzen gedankt. Ich dachte wirklich, wir würden dich nie wiedersehen. Ich dachte, du wärst …« Die Erinnerung an die Geschehnisse trieben Stacy die Tränen in die Augen. Auch Emily und Drew blickten betrübt drein. Offensichtlich hatten sich alle große Sorgen um mich gemacht.
»Ich werde nie vergessen, wie um uns herum alle Gespräche verstummten, als wir dich in seinen Armen erblickten. Irgendwo in der Menge begann jemand zu klatschen und wir stimmten alle ein. Dieses Gefühl war so unbeschreiblich schön. Keiner hatte es für möglich gehalten, dass dieser Feuerwehrmann dich noch finden könnte, und dann stand er plötzlich da. Ich bekomme schon eine Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Dieser Mann ist dein Lebensretter, Miranda. Kein anderer wäre nochmal in das lichterloh brennende Haus gegangen. Nur er schien davor keine Angst zu haben.« Auch Drew blickte mich nun aus wässrigen Augen an.
»So, jetzt ist aber gut. Ich werde mich ausgiebig bei Mr. Bricks für meine Rettung bedanken. Aber fangt jetzt bitte nicht alle an zu heulen. Ihr wisst, dass ich das nicht ertragen kann. Lasst uns lieber über etwas Schönes reden. Emily, wie laufen die Vorbereitungen für die Hochzeit?«
»Oh, die laufen sehr gut. Das meiste ist schon erledigt. Ein paar Kleinigkeiten stehen noch auf der Liste, aber Liam und ich lassen uns nicht stressen. Mom übertreibt es mal wieder und mischt sich in alles ein. Natürlich weiß ich, dass sie es nur gut meint, aber manchmal geht sie mir damit tierisch auf die Nerven. Womöglich sind es auch die Hormone. Schau mich an! Ich bin aufgegangen wie ein Donut. Fehlt nur noch die Zuckerglasur oben drauf. Keine meiner Hosen passt mehr und Liam bemuttert mich fast mehr als Abigail. Ich weiß gar nicht, wie ich die kommenden fünf Monate überstehen soll. Ich bin mir sicher, dass die beiden mich mit ihrem Getue noch in den Wahnsinn treiben werden. Entschuldigt bitte, aber ich musste mir eben mal etwas Luft verschaffen. Puh, so ist es besser.«
Ich lachte schallend auf. So impulsiv kannte ich Emily ja gar nicht. Die Schwangerschaft tat ihr gut. Mal sehen, wie sich das Ganze noch entwickeln würde.
»Habt ihr jetzt eigentlich eine eigene Wohnung gefunden oder wohnt ihr noch immer bei deinen Eltern?«
»Oh Gott, ich kann dir gar nicht sagen, wie aufwühlend dieses Thema für mich ist.« Da hatte ich wohl einen wunden Punkt getroffen.
»Entschuldige, bitte. Das war gar nicht meine Absicht. Lasst uns über etwas anderes sprechen.«
»Nein, schon gut. Es ist nur so furchtbar kräftezehrend, dass ich innerlich schon wieder zu brodeln beginne, wenn ich nur daran denke. Wir wohnen noch bei meinen Eltern, da Liam sich dort pudelwohl fühlt. Im Grunde ist es ja wirklich schön, dass er es dort so heimelig findet. Gerade wenn man bedenkt, wie wenig familiäre Liebe und Geborgenheit er in seiner Kindheit erfahren durfte. Das gönne ich ihm wirklich von Herzen. Doch mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass er es regelrecht in vollen Zügen genießt, sich um nichts kümmern zu müssen. Und letztlich kommt er endlich in den Genuss einer ihn betüddelnden Mutter. Für ihn ist es das Paradies, für mich eher die Hölle. Aber er hat mir versprochen, dass wir nach der Hochzeit in unser eigenes Heim ziehen. Ich bin gespannt, wann wir uns endlich nach einer passenden Bleibe umsehen. Bisher hat er noch immer eine Ausrede gefunden, warum es gerade keinen Sinn macht, oder vorgegeben, keine Zeit zu haben. Ich hab Mom in Verdacht, dass sie mit ihm gemeinsame Sache macht und ihn unter der Hand mit den Cookies von Tante Heather besticht. Ich lass die beiden sich noch etwas in Sicherheit wähnen und schaue nebenher selbst, was der Immobilienmarkt hergibt, und konfrontiere Liam dann mit meiner Wahl.«
»Na, das klingt nach einem guten Plan. Da drück ich dir ganz fest die Daumen. Und ja, Mütter können echt anstrengend sein. Ich kann dich gut verstehen.« Emilys Wangen hatten sich leicht gerötet, nachdem sie sich so in Rage geredet hatte.
Doch ich kannte meine Freundin viel zu gut, als dass ich mich um sie sorgen musste. Im Grunde war sie der absolute Familienmensch, auch wenn sie es nicht offen zugab. Vielleicht wäre es gerade am Anfang gar nicht mal so verkehrt, wenn Abigail und Jim den beiden etwas unter die Arme greifen würden.
Ich erinnerte mich noch genau daran, wie Stacy nach Jolies Geburt unter dem Schlafentzug gelitten hatte. Ein Kind war eine große Herausforderung, wenn nicht sogar die größte im Leben.
Da war jede helfende Hand sicher eine wertvolle Unterstützung. Besser als nur gut gemeinte Ratschläge.
»Weißt du denn schon, wie lange du noch hierbleiben musst?«
»Leider nicht. Ich hoffe allerdings, dass es nicht mehr allzu lange sein wird. Habt ihr denn … Also, ich hab noch nichts von Samuel gehört und wollte euch mal fragen, ob ihr …« Natürlich hätte ich mich auch bei ihm melden können. Zur Abwechslung wollte ich aber lieber auf die Stimme in meinem Inneren hören. Diese riet mir nämlich dazu, mit dem Kapitel abzuschließen. Ein für alle Mal. Samuel war wieder nicht der Richtige gewesen. All die Male zuvor hatte ich nicht auf sie hören wollen. Heute würde ich meine Meinung ändern.
»Dieser Mistkerl! Ich hab dir gleich gesagt, lass die Finger von dem!«
»Stacy, deine sicher lieb gemeinten Belehrungen sind jetzt nicht ganz das, was Miranda braucht.«
»Nein, Miranda hätte eigentlich noch ein paar Tage Erholung verdient, aber wie soll man sie denn vor der Wirklichkeit schützen? Wenn wir es ihr nicht erzählen, dann kommt sicher so ein findiger Reporter auf die Idee, sie mit der Sache zu konfrontieren, und dann? Ich frage dich also, Drew, was ist wohl der bessere Weg?«
»Hey, ihr beiden, jetzt kommt erstmal wieder runter. Samuel war einfach nicht der Richtige für Miranda. Ich meine, allein schon das affige Getue und wie der immer peinlichst darum bemüht war, dass ja niemand an sein Goldstück rankommt. Genau, an sein Auto. Hach, eigentlich müsstest du der kleinen Rothaarigen dankbar dafür sein, dass sie dich von der Last befreit hat.« Was hatte Emily soeben gesagt? Hatte ich das richtig verstanden?
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