Ein Gedanke huschte durch meinen Geist: Ob Samuel das wohl auch für mich getan hätte? Was war nur los? Warum hatte er sich nicht gemeldet oder nach mir gefragt? Ich verstand einfach nicht, was vorgefallen sein könnte, dass er sich nicht mal nach meinem Zustand erkundigt hatte.
Wie lange lag ich jetzt schon im Krankenhaus? Er war bisher weder bei mir vorbeigekommen, noch hatte er versucht mich zu erreichen. Langsam stieg Wut in mir auf.
Ich wandte mich wieder den Fernsehbildern zu.
Noah J. Bricks – der Name des Feuerwehrmanns wurde eingeblendet – hatte den Helm vom Kopf genommen und damit sein schwarzes kurzes Haar zum Vorschein gebracht. Außerdem konnte man nun auch ganz deutlich seine strahlend blauen Augen sehen. Sie leuchteten so sehr, dass alles andere überschattet wurde. Dieser Typ war definitiv der Kategorie Traummann zuzuordnen.
Wie er da in seiner Feuerwehruniform neben dem Reporter stand und diesen beinahe um einen Kopf überragte, machte großen Eindruck auf mich und regte meine Fantasie an. Aus seinen muskulösen Unterarmen schloss ich auf einen durchtrainierten Körper.
Während ich über einen Mann nachdachte, den ich überhaupt nicht kannte, mit dem mich aber seit Kurzem mehr verband, als ich im Moment noch fassen konnte, endete der Beitrag abrupt.
Wenig später kam ein Bericht über eine Aufzuchtstation im Huron-Manistee Nationalpark, in der verlassene Wildtierbabys ein neues Zuhause fanden. Es sah noch alles so aus wie damals, als ich mit meinen Eltern dort den Urlaub verbracht hatte.
Ich schloss für einen Moment die Augen und erinnerte mich wieder an das glasklare Wasser des Au Sable Rivers, an meine ersten Schwimmversuche und den leckeren Fisch, den Dad geangelt und später über dem Lagerfeuer gegrillt hatte. Die frische Waldluft hatte mich allabendlich wie einen Stein ins Bett fallen lassen, doch umso vergnügter und unbeschwerter waren die Tage.
Das Lächeln auf den Lippen verflüchtigte sich, als ich wieder an den Brand denken musste. Vielleicht war es ja ein Zeichen, dass ich bei diesem Unfall verletzt wurde und Noah zu mir geeilt war. Wenn das Feuer nicht gewesen wäre, dann wäre ich ihm womöglich nie begegnet.
Ach Quatsch, wahrscheinlich war er ja längst unter der Haube und hatte drei wundervolle Kinder mit seiner perfekten Ehefrau. Auch das war möglich. Wo blieb denn nur Samuel? Warum ließ er mich so lange warten?
Ich biss mir nervös auf die Unterlippe, während ich es gar nicht abwarten konnte, dass Dr. Hepburn mir sagte, wann ich denn die Klinik wieder verlassen könne.
Mir ging es doch eigentlich schon wieder ganz gut. Okay, ich lag seit Tagen – wie lange eigentlich genau? – in diesem Bett herum und mein Hals kratzte furchtbar. Nach und nach versuchte ich all meine Glieder zu bewegen und nahm glücklich zur Kenntnis, dass offensichtlich noch alles voll funktionstüchtig war.
Wie lange brauchten Muskeln eigentlich, bis sie sich zurückbildeten? War das in der Kürze der Zeit überhaupt möglich? Erschrocken riss ich die Bettdecke zur Seite und blickte an mir hinab.
Hatte ich mir womöglich Verbrennungen zugezogen, die mich noch länger an das Krankenhausbett fesseln würden? Doch auch hier wurde ich nicht fündig. Anscheinend war soweit alles in Ordnung. Ich hatte mir nur eine etwas längere Auszeit gegönnt, um etwas zu entspannen. Weiter nichts.
So würde es Stacy später bestimmt bezeichnen. Sie nahm nie ein Blatt vor den Mund und sagte stets, was sie dachte. Meist fuhr sie damit ganz gut. Ich beneidete sie oft dafür, dass sie so ungezwungen durchs Leben ging, auch wenn bei ihr nicht immer alles eitel Sonnenschein war.
Ich konnte es kaum erwarten, dass meine drei Freundinnen zu mir kamen. Vielleicht hatten sie ja noch weitere Informationen über Noah. Wie ich sie kannte, hatten sie bereits einiges versucht, um an Details über den Mann heranzukommen, der mir das Leben gerettet hatte.
Das war ihnen auch gar nicht zu verübeln. Schließlich war ich mittlerweile die Einzige im Bunde, die noch keinen Ring am Finger trug. Wenn ich Samuels distanziertes Verhalten richtig einschätzte, dann stand ich nun auch wieder kilometerweit davon entfernt, vor den Traualter zu schreiten.
Emily hatte sich erst vor Kurzem verlobt und würde mit einem kugelrunden Babybauch in wenigen Wochen heiraten. Wir konnten es alle kaum abwarten. In wenigen Wochen würde es endlich so weit sein. Ich würde dabei mal wieder als Brautjungfer in der zweiten Reihe stehen, während ein Paar in den glücklichen Hafen der Ehe einfuhr.
Aber das war okay. Wirklich! Ich neidete es ihnen nicht, hätte nur auch gerne etwas Glück in dieser Hinsicht gehabt. Dieses Gefühl, endlich angekommen zu sein und aufrichtig geliebt zu werden. Nicht länger suchen zu müssen. Aber Schwamm drüber.
Was jetzt viel wichtiger war: Was brachte man seinem Lebensretter eigentlich mit? Blumen, Pralinen, Zigaretten? Worüber freute sich ein Firefighter? Oder besser: Worüber freute sich Captain Noah J. Bricks?
Wenn diese Heinis von der Presse auch nur noch ein einziges Mal auf der Wache vorbeikommen sollten, konnte er für nichts mehr garantieren. Seit dem Tag, an dem er erfahren hatte, wem er da das Leben gerettet hatte, bereute er es fast, dass er in das tosende Feuer gegangen war.
Nein, das stimmte so nicht. Er hätte immer wieder so gehandelt. Es war schließlich seine Pflicht, die Bewohner dieser Stadt zu beschützen. Er hatte einen Eid geschworen und den würde er nicht brechen.
Aber dennoch stieß ihm die Galle sauer auf, wenn er nur daran dachte, wen er da gerettet hatte. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass er gerade jemandem aus dieser Familie zu Hilfe kam?
Und doch war es passiert und von jetzt auf gleich verband ihn ein unsichtbares Band mit der Frau, der er liebend gerne ein Leben lang aus dem Weg gegangen wäre. Er lüftete den Helm und strich sich unruhig durch das satte schwarze Haar. Wie lange war es nun her, dass er die schlanke Frau mit den langen braunen Haaren aus dem Museum getragen hatte?
Er überlegte kurz, während ihn Ben, einer seiner Kollegen, von hinten auf die Schulter tippte: »Noah, da ist ein Anruf für dich.«
»Oh, nicht schon wieder die Presse. Sag denen, dass ich nicht da bin, oder am besten sagst du ihnen, dass ich nicht mehr hier arbeite.«
»Geht’s noch? Ich bin doch nicht deine persönliche Sekretärin. Das musst du den Kerlen schon selbst sagen. Und jetzt tu doch nicht so genervt. Deine Arbeit wird doch honoriert. Du bist auf einmal der Superstar hier. Warum genießt du es nicht einfach?«
»Das verstehst du nicht.«
»Möglich. Aber für den Moment kann ich dich beruhigen. Am Telefon ist ein Dr. Hepburn für dich.«
»Oh, okay. Danke dir, Ben.« Etwas gelassener nahm er den Hörer entgegen. Nun war es offensichtlich so weit. Miss Honeychurchs Gesundheitszustand hatte sich bestimmt nicht mehr verschlechtert. Sie war schon bei seinem ersten und einzigen Besuch über den Berg gewesen.
»Dr. Hepburn?«
»Ja. Hallo, Mr. Bricks. Ich wollte Ihnen nur kurz Bescheid geben, dass Miss Honeychurch aufgewacht ist. Möchten Sie sie denn nochmal besuchen kommen? Wir könnten das Ganze auch etwas in Szene setzen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ihr Einsatz war nicht selbstverständlich und ich würde mich sehr freuen, wenn ich im Rahmen unseres bescheidenen Krankenhauses einen kleinen Pressetermin für Sie arrangieren könnte. Natürlich nur, wenn Sie daran Interesse haben.«
»Nein.«
» Nein? Nun, wahrscheinlich ist Ihnen der Rummel einfach zu viel. Ich verstehe Ihre Entscheidung natürlich und werde Sie nicht weiter drängen. Aber ich an Ihrer Stelle würde mir das nochmal überlegen. Es kann nicht schaden, ein ums andere Mal in Bild und Ton festzuhalten, was man geleistet hat. Meist klettert man dann die Sprossen der Karriereleiter etwas schneller empor. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
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