Juni 1992
Ich schrecke nervös hoch. „Da war ein Geräusch.“
„Das war nur der Wind“, antwortet Erik.
Wir sind in der alten Scheune am Wasserschutzgebiet. Unsere Scheune, die wir während eines plötzlichen Regengusses entdeckt hatten. Wir liegen in Unterwäsche auf einer alten Decke im Halbdunkel und es riecht muffig nach altem Stroh.
„Becca, komm her.“ Zärtlich streicht er mit dem Fingerknöchel über meine Wange. Er schließt die Augen mit einem Seufzen. „Ich brauche dich.“
„Ich dich auch.“ Er drückt meinen Kopf wieder auf seine Brust. Er riecht so gut. Ich kann kaum glauben, dass wir schon bald zwei Jahre zusammen sind.
„Becca, ich will dich. Ich kann nicht länger warten. Ich will dich endlich spüren. Alle anderen in unserem Alter haben es schon getan. Nur du und ich noch nicht.“
„Ich weiß. Ich habe nur große Angst davor.“
„Wovor denn? Ich würde dir niemals wehtun.“ Nachdenklich male ich kleine Kreise auf seinen nackten, flachen Bauch. Ich fahre mit meinem Finger die kleinen Wellen seiner Bauchmuskeln nach, bis hinunter zu der Stelle, an der kleine Härchen eine Bahn nach unten ziehen. Ich habe ihn dort schon oft berührt. Langsam lasse ich meine Hand weiter nach unten gleiten und Erik stöhnt hörbar auf. „Oh, Becca …“
„Ich vertraue dir doch, aber ich habe Angst davor, dass es wehtun wird“, wispere ich.
„Ich werde ganz vorsichtig sein. Versprochen.“
„Du kennst doch jeden Zentimeter meines Körpers.“
„Na ja, nicht ganz. Ein paar Zentimeter kenne ich noch nicht.“ Er drückt leichte Küsse auf meine Schulter. Sein Daumen fährt über meine linke Brust und ein Schauer überkommt mich. Meine ganze Haut prickelt und ich bekomme eine Gänsehaut.
„Sie sind wunderschön, deine Brüste. So rund und fest … und sie passen genau in meine Hand.“
„Erik, ich weiß nicht, ob …“
Erik bringt mich mit einem Kuss zum Schweigen, dann löst er seine Lippen von meinen und haucht: „Psst.“ Er packt mich mit beiden Händen am Po und zieht mich ganz zu sich. Ganz langsam schiebt er meinen Slip an den Beinen hinunter. Mich überläuft ein wohliger Schauer. Das fühlt sich fantastisch an. Seine Nase berührt meine. Sein Atem geht schneller und ich kann seine Erregung spüren. Im nächsten Moment liegt er auf mir und seine Hände gleiten langsam an meiner Hüfte entlang. Ich habe angefangen leise zu stöhnen. Er presst seine Hüfte gegen meine und wir beginnen uns langsam rhythmisch zu bewegen. Ich schnappe nach Luft. Jede Bewegung löst ein inneres Erdbeben aus. Er öffnet meinen BH …
„Ich möchte dich endlich spüren. Voll und ganz. Ich will dich. Jetzt“, flüstert er an meinem Nacken.
Plötzlich bekomme ich Panik, meine Gedanken wirbeln herum wie Federn aus einem aufgeschlitzten Kissen und ich stoße ihn heftig zur Seite. Mir wird kalt und ich habe auf einmal Angst. Hektisch suche ich nach meinem BH.
„Becca, was ist? Habe ich etwas falsch gemacht?“, fragt er bestürzt.
„Keine Ahnung, woher soll ich das wissen?“, bringe ich verwirrt hervor. „Oder doch? Ja, du bedrängst mich! Ich bin noch nicht so weit.“
„Becca, es tut mir leid. Natürlich kann ich noch etwas warten. Wir machen es nur, wenn du es wirklich willst. Irgendwann ist der richtige Moment, wenn nicht heute, dann vielleicht in ein paar Wochen oder Monaten.“ Er streichelt meinen Rücken und ich fange an zu schluchzen. „Bitte nicht weinen! Alles ist gut. Ich bin ein Hornochse, ein tierisch verliebter Hornochse. Es tut mir leid.“
Verdammt! Ich fühle mich furchtbar. Wie ein Versager. Ich wollte es doch auch, oder nicht? Wir haben schon so lange gewartet. Tue ich ihm Unrecht? Warum muss immer alles so verwirrend sein?
Juli 1992
„Erik, es ist schon morgen. Du musst jetzt langsam gehen.“ Aus meiner Stereoanlage ertönt Nirvana, „ Smells Like Teen Spirit “. Ich liebe dieses Lied und summe den Refrain mit. Natürlich hassen meine Eltern diesen Sound. Dabei ist Grunge gerade total in. Sie denken, es sei fürchterlicher Krach. Aber was soll man schon von Menschen erwarten, die Peter, Paul and Mary’s ‚ Puff the Magic Dragon ’ hören – freiwillig!
Erik hat mir die Nirvana-CD gestern mitgebracht. Wahnsinn, dass man jetzt nur noch eine so kleine Scheibe braucht und keine Vinylplatten mehr! Es erstaunt mich immer noch, dass da so viel Musik draufpasst.
„Geh jetzt. Ich muss gleich zum Frühstück“, sage ich und schalte die Musik aus.
„Warum nimmst du mich nicht einfach mit?“ Erik zieht sich seine 501-Jeans hoch und schlüpft in ein graues Poloshirt. Er sieht unglaublich sexy aus.
Seit einigen Monaten klettert Erik nachts durch mein Fenster in mein Zimmer und bleibt bis zum Morgengrauen. Es hat was von Romeo und Julia und es ist herrlich, mit ihm zusammen zu sein. Er kitzelt mich durch bis ich nach Luft japse, hört sich mein Referat über Reiner Maria Rilke an und schleudert mit mir im Doppel Tennisbälle übers Netz - wir haben tatsächlich den 3. Platz bei den Mixed Meisterschaften im Verein gewonnen. Zuerst war er etwas zerknirscht, weil er unbedingt gewinnen wollte. Aber dann hat er sich sehr gefreut. Jeder von uns bekam einen großen Pokal und unsere beiden Namen wurden nebeneinander eingraviert. Nach der Siegerehrung wirbelte er mich überglücklich im Kreis herum.
Ich reiße mich aus meinen Gedanken. „Erik, bist du wahnsinnig? Du hast hier offiziell nicht übernachtet. Du bist bei dir, in deinem Zimmer bei deinen Eltern. Hast du das vergessen?“
„Deine Eltern sind doch nicht doof. Sie wissen sicher, dass ich fast jede Nacht hier schlafe. Nur, um mich dann wie ein Räuber über dein Fenster davonzustehlen. Ich finde das langsam albern“, protestiert er und stemmt seine Hände in die Hüfte.
„Ich weiß nicht. Ich bin froh, dass mein Vater inzwischen akzeptiert hat, dass ich einen Freund habe. Weißt du noch, wie er sich am Anfang aufgeführt hat? Ich will einfach nichts riskieren. Er ist in dieser Hinsicht schwierig.“
„Immerhin redet ihr wieder miteinander. Er schleppt dich nicht mehr ins Schwimmtraining und ich glaube, er fängt an, mich zu mögen. Inzwischen hat er verstanden, dass du nicht wegen mir aufgehört hast.“ Erik fährt sich lächelnd durch die Haare und blinzelt mir mit einem Auge zu.
Ich habe tatsächlich mit dem Schwimmen aufgehört. Bei den letzten Langstreckenmeisterschaften stand ich für die 800 Meter Kraul vor dem Startblock und etwas Seltsames ist passiert. Das ganze Schwimmbad war voller jubelnder Menschen und Fähnchen und die Atmosphäre war zum Zerreißen gespannt. Sonst schlug mir das Herz immer bis zum Hals, wenn ich vor dem Block stand und wusste, der Kampfrichter pfeift gleich zum Start. Aber dieses Mal spürte ich nichts. Keine Aufregung, kein Kribbeln in den Beinen, nichts. Die ersten Meter im Wasser kamen mir fremd vor und ich spürte keinen Drang schnell zu schwimmen. Im Gegenteil. Ich badete die Bahnen herunter, als wäre ich an einem sonnigen Tag im Baggersee. Mein Wille zu siegen war weg. Auf einmal, nach 12 Jahren Leistungssport! Als ich mit einer völlig inakzeptablen Zeit, die meinen Verein bestimmt jede Menge Bußgeld kosten würde, anschlug, beschloss ich, das Schwimmen an den Nagel zu hängen. Alle waren schockiert. Mein Trainer Gerry, meine Schwimmerfreundin Melanie, aber vor allem Papa. Wochenlang haben wir kein Wort miteinander gesprochen. Wäre es nach ihm gegangen, dann wäre ich bis zu meinem Lebensende Wettkämpfe geschwommen, er hätte am Beckenrand gestanden und hätte mich mit ‚Go Becca!’ lauthals angefeuert. Aber damit ist jetzt Schluss.
„Er mag dich, sonst hätte er dich schon längst getötet.“
Jetzt müssen wir beide kurz lachen, dann verlangt Eriks Blick eine Entscheidung. Mir ist mulmig zumute.
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