1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 „Du machst mich völlig verrückt“, haucht er schließlich und seine Nasenspitze berührt sanft meine Stirn.
„Das war mein erster Kuss“, flüstere ich in seine Lippen, völlig überwältigt von den in mir erwachenden, intensiven Gefühlen.
Eriks Augen sehen mich nun verschmitzt an. „Nein, dein zweiter. Bei deinem ersten hast du dich ziemlich gewehrt.“
Oktober 1990
Erik steht hinter mir, schlingt seine Arme leidenschaftlich um meine Taille und ich schließe für einen Moment die Augen. Wie schnell sich mein Leben gerade ändert!
„Mein Papa ist total eifersüchtig auf dich.“
„Ja, das Gefühl habe ich auch. Er sieht mich immer so grimmig an. Dabei mochte er mich anfangs so gern.“
„Er hasst es, wenn ich bei dir bin. Und er hasst es, dass du mich vor seinen Augen küsst.“
„Dabei bin ich ein so sympathischer Nachbarsjunge“, scherzt Erik in mein rechtes Ohr.
„Stimmt, meine Mama fand dich von Anfang an klasse“, entgegne ich schmunzelnd. Sein Zimmer ist sehr groß und über und über mit Postern von Iron Maiden, Guns’n’Roses und Metallica beklebt. Ein schwarzer Regenschirm hängt aufgespannt von der Decke und im Bücherregal stehen Klassiker wie ‚Die Blechtrommel’ und ‚Der Untertan’ neben Slayer- und Bon Jovi- CDs. In jeder Ecke baumeln graue und tarnfarbene Modelljets von der Decke. Kampfflugzeuge, überall. Ich deute mit dem Zeigefinger auf eines. „Was ist das für ein Jet?“
„Eine F 18 Hornet. Ein amerikanischer Kampfjet“, antwortet er und ein leises Lächeln huscht über sein Gesicht.
„Und der da drüben?“
„Eine F 16 Fighting Falcon. Sie ist klein und wendig. Man nennt sie auch Viper.“
Beeindruckt drehe ich mich um und küsse ihn auf die Nase, genau auf die Stelle seiner kleinen Narbe. „Möchtest du Kampfpilot werden? So wie in Top Gun?“
„Ja, das ist mein absoluter Traum. Tornadopilot bei der Luftwaffe. Und du, möchtest du die Freundin eines Piloten werden?“
Die Titelmelodie von Top Gun spielt plötzlich in meinem inneren Ohr und ich erinnere mich, wie ich den Film mit Freundinnen zum ersten Mal gesehen habe. Wir haben gelacht und waren gebannt, wie Maverick, Goose und Iceman ihre Manöver flogen. Sehnsüchtig haben wir dem ersten Kuss von Maverick und Charlie entgegengefiebert. „Habe ich eine Wahl?“, frage ich und male mit meinen Fingern Gänsefüßchen in die Luft.
„Nein“, grinst er und schlingt seine Arme fester um mich.
„Hilfe, ich bekomme keine Luft mehr! Hör bitte auf“, japse ich.
„Piloten sind einfach wild und ungestüm.“
„Noch bist du keiner“, kontere ich schmunzelnd.
„Was? Du zweifelst an mir?“, braust er auf, nimmt mich in seine Arme und wirft mich neckisch lachend auf sein Bett. Wir küssen uns lange. Meine Welt beginnt sich zu drehen. Seine Küsse werden wilder und energischer und Erik schiebt langsam seine Hand unter meinen Pullover. Ich zucke zusammen.
„Was ist?“, flüstert er.
„Ich … äh … da hat mich noch niemand berührt.“
„Wirklich nicht?“
„Nein.“
„Gut. Ich werde dieses wundervolle Gebiet langsam erkunden.“
Unwohl rutsche ich ein bisschen zurück. „Können wir nicht noch etwas warten?“
„Becca, ich bin ganz sanft, vertrau mir. Komm, lass uns unter der Decke kuscheln.“
Unter der Decke! Das geht mir alles zu schnell! „Ich möchte lieber noch etwas warten.“
„Bitte, Becca, wir kuscheln nur, nicht mehr. Ich möchte dich einfach bei mir spüren.“
„Also gut, du hast gewonnen.“ Nervös krabbele ich unter die Bettdecke und fühle mich irgendwie unwohl. Mein Körper ist ganz steif, als wäre er ein frisch geschlagener Ast. Ich versuche ruhig zu atmen. Becca, was soll schon sein? Du liegst angezogen unter einer Decke, sonst nichts. Jetzt stell dich nicht so an!
Plötzlich schwingt die Tür auf und Eriks Vater steckt seinen Kopf in das Zimmer. Verwundert reißt er beide Augen auf und stockt für einen Augenblick. Dann findet er jedoch seine Sprache wieder, leider. „Bumst ihr hier oder was?“, schießt es aus ihm heraus.
Erik und ich sehen uns zögerlich an und schütteln vehement den Kopf. Schlagartig spüre ich, wie ich von meinen Wangen bis zu den Haarwurzeln tiefrot werde. Er starrt uns an, dann schließt er die Tür mit einem Ruck wieder.
Oh mein Gott, kann mich jemand unsichtbar machen oder wegbeamen wie in Raumschiff Enterprise? Wie furchtbar peinlich! Eine Weile liegen wir einfach nur da. Schließlich bricht Erik die unerträgliche Stille.
„Es tut mir leid. Mein Vater hat das bestimmt nicht so gemeint. Er ist eben manchmal ein Holzklotz, aber er ist sonst wirklich in Ordnung.“
Auf einmal fange ich an zu weinen. „Doch, er hat es so gemeint! Jetzt denkt er, wir haben es getan. Das ist schrecklich peinlich. Was, wenn er es meiner Mutter erzählt? Oder, noch schlimmer, meinem Vater?“
Erik springt mit einem Satz aus dem Bett. „Ich spreche mit ihm. Jetzt sofort.“
„Nein! Das macht alles nur noch schlimmer.“ Auch ich stehe auf, mit wackligen Beinen und einem nicht enden wollendem Gefühl von Scham. Tränen laufen mir herunter und ich verberge mein nasses Gesicht hinter meinen Händen.
Erik kommt auf mich zu, nimmt meine Hände herunter und streichelt mir über die Wange. „Bitte, Becca, sieh mich an. Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass das passiert. Das musst du mir glauben. Ich bringe es wieder in Ordnung. Ich spreche jetzt mit meinem Vater. Er kann nicht einfach so in mein Zimmer platzen.“
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„Du kommst über eine Stunde zu spät!“, donnert Papa. Es scheint, als hätte er hinter der Haustür auf mich gelauert. So als wäre ich ein Einbrecher und er vom Secret Service. Noch bevor ich den Schlüssel im Schloss hatte, riss er die Tür so heftig auf, dass ich den Luftzug zischen hören konnte. Nicht auch noch das!
„Ist doch nicht so schlimm“, maule ich patzig zurück.
Papa schnaubt wie ein Walross. „ Non é possibile . So geht das nicht! Du musst dich an die vereinbarten Zeiten halten!“, brüllt er.
Meine Güte! Muss er so einen Aufstand machen? „Ich war nur nebenan.“
„Darum geht es nicht!“
„Worum dann?“
Papa wird immer wütender. „Du benimmst dich wie ein … ein leichtes Mädchen!“
Zorn kocht in mir hoch. Wie kann er so etwas behaupten? Das hat mir gerade noch gefehlt! Erst Eriks Vater und jetzt meiner. „Das stimmt nicht!“
„Was machst du mit ihm?“
„Papa, das geht dich nichts an!“
„Und ob, du bist minderjährig!“
„Was denkst du denn, dass wir machen?“, frage ich und will ihn auf einmal provozieren. „Wir haben Spaß!“
Jetzt wechselt Papas Gesichtsfarbe von dunkelrot zu schneeweiß.
„Was ist? Schockiert dich das?“
Urplötzlich holt er aus und versetzt mir eine heftige Ohrfeige. Mama kommt angerannt.
„Giovanni, was machst du? Du kannst Becca doch nicht schlagen!“ Sie ist den Tränen nahe. Fassungslos und geschockt halte ich mir meine brennende Wange.
„Geh in dein Zimmer!“, poltert er.
„Nichts lieber als das“, speie ich ihm entgegen, „du bist ein gemeiner Idiot!“ Dann rausche ich in mein Zimmer und schließe ab, Papas stampfende Schritte hinter mir. Er rüttelt am Türgriff.
„Mach die Tür auf! Sofort!“
„Nein! Geh weg!“, schreie ich zurück. Die Tränen, die ich gerade erst bekämpft und heruntergeschluckt hatte, schießen mir wieder in die Augen. Ich wische sie schnell mit dem Handrücken weg.
„Mach die Tür auf!“
„Nein!“ Papa schlägt kräftig mit seiner Hand gegen die Tür, Mama fängt an zu weinen. Mein Atem geht schneller und ich wische mir immer wieder die Tränen ab. Auf einmal höre ich ein Klopfen am Fenster. Überrascht schaue ich auf. Kann es noch schlimmer kommen? Leise öffne ich das Fenster. „Was machst du hier, Erik?“
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