Nun sieh’ aber auch zu, Elli, daß Du mir weiterhin gefällst. Was Du Dir da mit Deinem Beruf als Ärztin ausgedacht hast, mag ja ganz schön sein. Nimm aber `mal das Wort ‚Beruf’ genau, es kommt doch von „Berufung“. Fühlst Du Dich berufen Ärztin zu werden? Dann nimm es auch ernst damit. Wenn Du aber eine Frau werden willst, dann mußt Du es genauso ernst nehmen. Glaube nicht, daß es leichter ist, einem Mann eine gute Frau zu sein, als den Beruf einer Ärztin auszuüben. Frau zu sein kann viel schwerer, aber auch viel schöner sein.
Es mag ja Mädchen geben, die sich damit abgefunden haben, daß es eben zu viele Mädchen gibt. Die verzichten dann ganz darauf Frau zu werden, sie glauben oder reden sich ein, es sei ihre Berufung, ihre Aufgabe im Leben, Arzt zu sein. Sie lernen, streben und schaffen es dann auch, und ähneln dabei dann so sehr den Männern, die diesen Beruf ausüben, daß sie nie mehr eine Frau sein könnten, die ihn in allem ergänzt und zu ihm gehört.
Ich weiß, daß Du nicht so bist, Elli, ich kenne Dich ja. Du wärst zu stolz, um zu warten, bis irgendjemand kommt, um Dich zu heiraten. Du wolltest unabhängig sein, einen Weg vor Dir wissen und vorwärts kommen. Es freut mich, daß Du so bist, aber ich glaube, Dein Beruf macht Dich langsam zu dieser Sorte von Frauen, die später nicht mehr haben, was mir an Frauen liebenswert erscheint. Wenn Du in einigen Jahren einmal heiratest, dann bist Du nicht mehr meine Elli von heute.
Es gefällt mir ja alles an Dir, Elli, auch Deine Jungenhaftigkeit. Trage von mir aus Stiefel, fahre Motorrad, reise, jage oder was sonst Spaß macht, Du kannst ja trotzdem, oder gerade deswegen eine nette kleine Frau werden.
Aber Dein Streben, Dein Lernen, Dein Gelehrt-Sein-Wollen, das gefällt mir nicht und imponiert mir nicht mal. Es ist zwar nicht schön, eine dumme Frau zu haben, aber es ist noch viel weniger schön, mit einer gelehrten Frau leben zu müssen. Gelehrtsein hat gar nichts mit Klugheit zu tun, und klug bist Du. Klüger wirst Du nicht durch lernen, indem Du Deine ganze Freizeit über mit Büchern und Schulaufgaben verbringst. Klüger wird man durch Nachdenken. Lies ab und zu ein gutes Buch von einem klugen Mann, der das, was er dachte in seinem Buch als Roman erzählt hat und versuche es ihm nachzudenken. Sieh Dir schöne Theaterstücke an und überlege, was der Dichter drin sagen wollte. Höre gute Musik und versuche den Komponisten zu begreifen. Freue Dich über alles Schöne und Gute, dadurch wird man klug. Nicht durch den Pythagoras durch Tangens und a2 x 2ab + b2. Meine Motorkunde wird mir im Eheleben genauso wenig nützen, wie Dir Dein Latein. Natürlich bleiben und natürlich denken, das ist wichtig.
Wenn es Dir graut, lebende Mäuse zu secieren, wenn es Dich ekelt, Spucke zu untersuchen, wenn Du nicht über Dinge spottest, die mir (als Laie) heilig sind (den Medizinern nicht), solange ist es gut. Wenn Du aber durch Deinen unfraulichen Beruf soweit verdorben bist, daß Du diese natürlichen Gefühle nicht mehr hast, dann tut mir der Mann leid, der Dich heiratet und die Kinder, die Du dann nach irgendeiner Methode erziehst.
(…) Ja, Elli, vielleicht gefällt Dir der Jan gar nicht, der so redet: Lies’ Dir den Brief in Ruhe heute Abend nochmal durch, wenn Du mich jetzt nicht verstanden hast. Vielleicht bin ich zu jung, Dir zu erklären, was ich meine, vielleicht bist Du auch zu jung, um zu begreifen, was ich meine. Sicherlich merkst Du aber, was ich Dir sagen will, wenn ich es auch nicht vernünftig ausdrücken kann.
Ich danke Dir für Deinen lieben Brief und es grüsst Dich herzlich Dein ebenso sonderbarer Jan
O.U.[2], den 27.3.1944
Liebe Elli!
(…) Junge, Junge, watt mookst Du mi und Di för Sorgen!
Eigentlich wollte ich mich ja rasieren, aber das ist ja unwichtig, darum setze ich mich auf unseren einzigen Stuhl, nehme als Tisch ein Brett auf die Knie und nun kann’s Schreiben losgehen.
Es war gut, daß ich endlich aus den Kasernen von Briest rauskam. Hier habe ich meine Aufgabe und der stramme Dienst lässt mir wenig Zeit, so lange, so viel zulange über einfache Sachen nachzudenken. Wenn Du meine Briefe aus Briest nochmals in Ruhe durchliest, dann wirst Du merken, daß das ganze Geschreibsel nichts anderes ist als Eifersucht auf Deinen Beruf. Ich wollte nicht, daß Dir Dein Beruf wichtiger ist als ich, ich alter Egoist. Du gibst mir ja aber auch immer wieder Grund zur Eifersucht, wie z.B. in Deinem letzten Brief, wo Du schreibst, daß Dein Weg, techn. Assistentin zu werden, unbeirrbar und unveränderlich wäre. Das klingt ja geradezu, als wenn ich Dir ein Hindernis wäre auf diesem Wege. Was glaubst Du denn, welche komische Rolle ich in Deinem Leben spielen soll?
Du hast Recht, jetzt im Kriege hast Du in Deinem Beruf eine wichtige Aufgabe.
Auf meiner Stube sind zwei, die unterhalten sich mit ihrem wenigen Gehirn über Dinge, die sie nicht verstehen. Um sich gegenseitig zu überzeugen, schreien sie immer lauter, so daß es fast unmöglich ist, einen vernünftigen Brief zu schreiben. Ein anderer Kumpel hackt Holz, und jedes Mal, wenn er zuschlägt, hüpft meine Bank in die Höhe. Sei mir nicht böse, wenn ich mitten in diesem Brief abbreche und Dir erstmal diese Hälfte schicke.
Es geht mir gut. So früh wie in diesem Jahr war ich noch nie braun. Ich bin immer ganz verwundert, wenn ich in den Rasierspiegel schaue. (Oh ja, ich muß mich ja noch rasieren). Der frische Wind hier an der Küste, der Dienst auf den Bergen bei dem ewig blauen Himmel ist gesund und macht mir Spaß.
Sei wieder vergnügt, Elli! Dein Jan
Rüdershausen, den 6.VI.44
Lieber Jan!
Schon sind wieder drei lange Wochen vergangen und ich erhielt keine Zeile von Dir. Hüllst Du Dich absichtlich in ein so geheimnisvolles Schweigen oder zwingen Dich Deine näheren Umstände dazu? Na, als Trost will ich es mal hoffen.
Wie ist es denn eigentlich mit der Invasion? Seid Ihr schon damit fertig geworden? Ich warte täglich auf den entscheidenden Schlag. Anscheinend tut uns der Engländer aber nicht den Gefallen. (…) Deine Elly
11.VII.44
Lieber Jan!
Da ich meine sämtlichen Aufgaben in der Trigonometrie nicht kann, soll die Zeit damit ausgefüllt werden, Dich doch noch mal an Deine Pflichten zu erinnern. Am Sonntag schrieb ich Dir ja schon, daß es am 11. zwei Monate her ist, wo Du die letzte Post an mich geschrieben hast. Und zwar ist das der Geburtstagsbrief, wo Du mir viel Glück im Beruf wünschst. Hätte ich Dich in dem Moment, als ich das las, hier gehabt, hättest Du eine saftige Ohrfeige gekriegt. – Sei doch nicht immer so häßlich zu mir, Jan. (…)
Alle Deine schönen Zeichnungen, die ja zum Teil schon einen Rahmen bekommen hatten, habe ich wieder entrahmt und haben nun alle einen Ehrenplatz eingenommen. Erst jetzt kommt es mir richtig zum Bewußtsein, was ich in den ersten Monaten von Dir gehabt habe. (…) Lieber Jan, wie lange muß ich noch auf einen Brief warten? Tue mir doch den einen Gefallen und lasse von Dir hören. Auch wenn es schwer ist. (…) Deine Elly
24.VII.44
Lieber Jan!
(…) Ich warte immer noch auf einen Gruß von Dir, den ich doch hoffentlich bald erhalte? Ich grüße Dich ganz herzlich Deine Elly
Jan Claus‘ Vater wurde am 11. Juli 1944 benachrichtigt, dass sein Sohn seit dem 11. Juni vermisst wurde. Die Briefe meiner Mutter an Jan wurden an sie zurück geschickt.
Welche Rolle der Frau im Ersten Weltkrieg zugedacht war, verrät nachstehende Feldpostkarte, die meine Oma Henny Büsing, geborene Hillmer, von ihrem damaligen Verehrer und zukünftigen Mann, Albert Büsing, der bei Verdun in den Gräben lag, erhalten hatte:
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