„Du störst nicht“, sagte Alexander schnell, wobei er Juan mit ernster Miene betrachtete. „Ariadne und ich waren fertig. Außerdem wollte ich sowieso noch mit dir reden.“
„Worüber?“, wollte Juan etwas überrascht wissen, während er im Türeingang stehen blieb.
„Nicht so“, erwiderte Alexander ausweichend und zeigte auf die halb geöffnete Tür. „Unter vier Augen.“ Dann drehte er sich zu Ariadne um. „Kannst du uns kurz alleine lassen?“
Ariadne nickte und griff nach ihrer Handtasche, die neben dem Schreibtisch stand.
„Ich wollte sowieso los“, antwortete sie lächelnd. „Wir sehen uns ja später noch.“
An der Tür blieb sie noch einmal stehen und sah Juan fragend an.
„Das ist doch in Ordnung?“, vergewisserte sie sich bei ihm. „Oder wolltest du etwas Wichtiges mit mir besprechen?“
Juan schüttelte mit dem Kopf.
„Das kann warten“, versicherte er ihr und sie verließ den Raum.
Schweigend schloss Juan die Tür und ging auf seinen Cousin zu.
„Also, was wolltest du mit mir besprechen?“, wollte Juan mit ernster Miene wissen.
„Kannst du dir das nicht denken?“, fragte Alexander schneidend, während seine braunen Augen vor Wut funkelten. „Was ist eigentlich dein Problem?“
Irritiert sah Juan seinen Cousin an. Er verstand nicht, was dieser von ihm wollte. Sie hatten sich bereits seit Monaten nicht mehr gesehen. Und das letzte Mal, als sie miteinander telefonierten, hatten sie über die Firma gesprochen.
„Ich weiß nicht …“
Weiter kam Juan nicht, denn er wurde von Alexander unterbrochen.
„Ronja“, sagte dieser zornig und plötzlich wusste Juan, worum es ging. Mist , ging es ihm durch den Kopf. Ich hätte mich doch entschuldigen sollen.
„Hör mal …“, versuchte er zu erklären, doch wieder schnitt Alexander ihm das Wort ab.
„Wie kannst du dich meiner Frau gegenüber so mies benehmen?“, wollte er zornig wissen. „Mensch, Juan, sie ist hochschwanger, verdammt. Hast du eine Ahnung, was diese Art von Aufregung in ihrem Zustand bedeuten könnte? Sie war außer sich vor Wut, als sie mich angerufen hat. Du …“
„Es tut mir leid“, unterbrach Juan die Vorwürfe seines Cousins. „Ich hatte einen stressigen Tag.“
„Das ist deine Entschuldigung?“, wollte Alexander ungläubig wissen. „Wir alle haben stressige Tage. Doch das ist kein Grund, sich anderen gegenüber so zu verhalten“, stellte er klar. „Auch wenn es dir nicht gefällt, Ronja ist meine Frau. Sie ist ein Mitglied der Familie. Und wenn du damit nicht klar kommst, ist es wohl besser, du hältst dich in Zukunft von uns fern. Auf jeden Fall werde ich nicht noch einmal zulassen, dass du sie mit deinem Verhalten verletzt.“
„Alex …“, begann Juan zu sprechen, doch dieser schüttelte nur mit dem Kopf.
„Ich habe alles gesagt“, sagte Alexander schneidend. „Wenn ich mich entscheiden muss zwischen unserer Freundschaft und meiner Frau, wähle ich sie.“
Kurz darauf war Alexander verschwunden.
Ungläubig sah Juan seinem Cousin hinterher. Er konnte nicht glauben, dass dieser so mit ihm gesprochen hatte. Immerhin waren sie eine Familie. Trotzdem war ihm klar, dass er Alexanders Worte nicht unterschätzen durfte. Es war nicht die Art seines Cousins, leere Drohungen auszusprechen. Wenn er wollte, konnte dieser ziemlich hart sein und würde seine Entscheidung mit Sicherheit durchziehen. Und auch wenn es ihm einen Stich versetzte, konnte er es verstehen. Wenn es um Maya gegangen wäre, hätte er sich nicht anders verhalten. Davon war er überzeugt.
Plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen. Die ganze Zeit war er so mit seinem eigenen Schmerz beschäftigt, dass er gar nicht mitbekommen hatte, wie sehr er andere mit seinem Verhalten verletzte. Und damit meinte er nicht nur Ronja, auch gegenüber Larissa, der Frau von Alexanders Bruder Raphael, war er alles andere als freundlich gewesen. Was hatte sein Bruder noch mal gesagt?
„Sie glaubt, du kannst sie nicht leiden.“
Doch im Grunde stimmte das nicht. Er kannte sie gar nicht gut genug, um sich eine echte Meinung über sie bilden zu können. Denn er hatte nie versucht, sie kennenzulernen. Im Gegenteil, seit dem Tod seiner Frau hatte er es nicht mehr gewagt, andere Frauen auch nur anzusehen. Nur, um auf diese Weise die Erinnerung an Maya lebendig zu halten. Aber wer weiß, vielleicht würde es ihm gelingen, ihnen in Zukunft wenigstens höflich zu begegnen.
Nachdenklich ging er zu seinem Büro. Doch noch bevor er sein Zimmer erreicht hatte, wusste Juan, dass die Konfrontationen an diesem Abend noch nicht zu Ende waren. Mit verschränkten Armen lehnte sein Bruder an der Wand und ließ ihn nicht aus den Augen. Dabei konnte Juan deutlich sehen, dass dieser sich über irgendetwas geärgert hatte.
Heute ist wirklich mein Glückstag , dachte Juan gereizt, als er kurz vor seinem Bruder stehen blieb. Scheinbar wollen mir heute alle die Meinung sagen. Dabei hatte er so gehofft, dass er wenigstens mit Joel die ganze Geschichte bereits abgeschlossen hatte. Aber anscheinend hatte er sich geirrt.
„Sag nichts“, wandte sich Juan auf Italienisch an seinen Bruder. „Alexander hat schon mit mir geredet. Ich werde mich bei Ronja entschuldigen. Zufrieden?“
Genervt ging er an Joel vorbei, hinein in sein Büro. Ohne ein Wort zu sagen, folgte dieser ihm und schloss hinter sich die Tür. Erst als Juan an seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, unterbrach Joel sein Schweigen.
„Ich bin nicht wegen Ronja hier“, sagte Joel mit ernster Stimme und sah seinen Bruder wütend an. „Obwohl es mich natürlich freut, dass du Ronja um Entschuldigung bitten möchtest. Es geht um Shana. Wie konntest du sie so angreifen?“, wollte er ungläubig wissen. „Das hat sie doch nicht mit Absicht gemacht.“
Juan stöhnte auf. Auf diese Diskussion hatte er nun wirklich keine Lust. Natürlich war es möglich, dass sie diesen Zusammenstoß nicht geplant hatte. Doch nach allem, was in der Vergangenheit geschehen war, spielte das für ihn keine Rolle.
„Ich kann dir helfen.“
Als Juan an diese Worte denken musste, verkrampften sich seine Hände, und er drängte die Erinnerung zurück. Nein , dachte er zornig . Ich werde jetzt nicht darüber nachdenken. Doch leider war es leichter gesagt, als getan. Seit er Shana damals in der Fabrikküche wiedergetroffen hatte, schienen ihn diese Erinnerungen zu verfolgen. Und dafür hasste er sie.
„Joel, Shana ist eine wandelnde Katastrophe“, rechtfertigte er sich mit ernster Miene vor seinem Bruder. „Egal, wo sie auftaucht, überall verbreitet sie Chaos. Oder muss ich dich erst an ihre Aktion im Sekretariat erinnern?“, wollte er wütend wissen. „Sie hätte fast ein Rundschreiben an unsere besten Kunden rausgeschickt, das nur so vor Fehlern strotzte. Oder die Sache im Versand?“, sprach er weiter. „Weil sie die Aufkleber vertauscht hatte, mussten wir die Lieferungen auf unsere Kosten zurückholen lassen. Wenn du mich fragst, hat sie in unserem Unternehmen nichts zu suchen“, stellte er klar. „Und sei ehrlich, wenn sie nicht Papàs Patentochter wäre, hätten wir sie längst rausgeschmissen.“
„Gut“, gab Joel zu. „Sie hat in der Vergangenheit ein paar Fehler gemacht. Aber daran bist du nicht ganz unschuldig“, warf er seinem Bruder vor. „Ich weiß zwar nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber du hast sie vom ersten Tag an abgelehnt. Und soweit ich weiß, sind alle Fehler immer dann passiert, wenn du an ihrem Arbeitsplatz aufgetaucht bist.“
„Jetzt ist es also meine Schuld, dass sie nichts auf die Reihe kriegt?“, fragte Juan ungläubig. „Ich habe doch wohl das Recht, in den Abteilungen nach dem Rechten zu sehen.“
„Das spreche ich dir ja auch nicht ab“, erwiderte Joel. „Ich denke nur, dass du sie durch dein Verhalten einschüchterst. Du darfst nicht vergessen, sie ist erst 18.“
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