Ursula Isbel-Dotzler
Nelly
Ein Goldfuchs auf dem Hof
SAGA Egmont
Nelly - Ein Goldfuchs auf dem Hof
Copyright © 1997, 2018 Ursula Isbel-Dotzler und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711804520
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
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Unser Schwarzwaldhof Zum Rössle war vor mehr als hundert Jahren eine Poststation. Damals hielten hier die Postkutscher und wechselten ihre „Rösser“. Die Kutschpferde waren nach den langen Wegen über steile Berghänge, durch Wälder und Täler müde und erschöpft und konnten im Stall des Rösslehofs ausruhen. Sie wurden getränkt und gefüttert, während die Stallknechte frische Pferde vor die Postkutschen spannten. Und in der alten Schankstube, die jetzt unsere Küche ist, gab es Bier und eine warme Mahlzeit für die Postkutscher und ihre Fahrgäste.
Das ist lange her. Aber unser Hof wird hier im Tal auch heute noch Zum Rössle oder Rösslehof genannt, so wie in alter Zeit, als es noch Postkutschen gab.
„Nudelsalat!“, sagt meine beste Freundin Sammy und trägt eine riesige Schüssel so stolz vor sich her, als wär’s die englische Königskrone.
Ich gebe mir Mühe, ein begeistertes Gesicht zu machen. Eigentlich mag ich Nudelsalat nicht besonders. „Toll“, antworte ich. „Das kommt alles da auf den Tisch.“
Auf dem Küchentisch stehen schon jede Menge Kuchenformen, Platten mit süßem und salzigem Gebäck, Schüsseln, Töpfe und Terrinen. Meine achtjährige Schwester Emma ist nicht mehr aus der Küche wegzukriegen.
„Kann ich mal probieren?“, fragt sie dauernd. „Nur mal ausnahmsweise, bloß ein winziges bisschen?“
„Du hast schon so viel probiert, dass dir bestimmt bald schlecht wird“, sage ich. „Und dann kannst du das Sommerfest vergessen.“
Emma behauptet, ihr würde nie schlecht. Da kann ich nur lachen. Durchschnittlich dreimal im Monat hat sie sich überfressen und nervt uns mit ihrem Gestöhne und ihren Schilderungen, was so alles in ihrem Bauch abgeht.
„Nix!“, sage ich. „Pfoten weg! Heute Abend kannst du Nudelsalat essen, bis er dir zu den Ohren rauskommt, aber vorher nicht.“
Emma wischt ihre Fettfinger an der Tischdecke ab und hält mir vor, ich wäre autoritär. Das hat sie sicher im Fernsehen gehört. Sammy lüftet den Deckel von Schüsseln und Töpfen. Dabei murmelt sie: „Keine Ahnung, ob meine Eltern zu eurem Fest kommen. Eher nicht. Oder meine Mutter kommt allein. Die beiden haben wieder Zoff gehabt, da kann man nie wissen.“
Mir fällt nichts ein, was ich darauf antworten soll. Sammys Eltern vertragen sich schon lange nicht mehr. Sammy tut mir Leid. Sie hat mir gesagt, dass sie manchmal am liebsten abhauen würde. Das kann ich verstehen.
Im Hausflur rumpelt und kracht es. Durch die offene Küchentür sehen wir, wie mein Bruder Dani und mein Vater je zwei Stühle die Treppe herunterschleppen. Die Stühle haben sie vom Dachboden geholt.
Dani hat Spinnweben in den Haaren. „Jetzt sind’s insgesamt zwei Bänke und vierzehn Stühle“, verkündet er. „Reicht das?“
Ich strecke den Kopf in den Flur. „Glaub ich nicht. Sicher kommen mehr als zwanzig Leute.“
„Aber ihr Kids könnt euch doch ins Gras setzen“, sagt Chris, unser Vater. „Oder wir breiten ein paar Decken für euch aus.“
Ich drehe mich um und erwische Emma dabei, wie sie mit den Fingern in Sammys Nudelsalat fasst. „He, lass das!“, sage ich streng. Da klingelt das Telefon. Es ist Tante Hanna, die Schwester unserer Mutter. Sie fragt, ob sie auch Zwetschgenkuchen mitbringen soll.
„Nur her damit!“, erwidere ich, lege auf und scheuche Emma aus der Küche.
Sammy packt ihren Rucksack aus. Sie hat Teller dabei und einfache Trinkgläser, in denen früher mal Senf war. „Wer kommt denn alles?“, fragt sie.
Ich rechne es ihr vor. „Großvater natürlich. Die Pflümlis. Tante Hanna, ihr Mann und ihre zwei Kids. Deine Eltern – vielleicht –, Svenja und Anna aus unserer Klasse. Dann Danis Freund Jakob, zwei von Emmas Freundinnen, unser Onkel Jaro und wahrscheinlich auch unsere Nachbarn, die Mattenhofbauern.“
Sammy hat mitgezählt. „Mit dir und mir und deiner Familie wären das fünfundzwanzig Leute. Weiß dein Großvater, dass das so eine große Fete wird?“
Ich schüttele den Kopf. „Das soll ja gerade die Geburtstagsüberraschung für ihn werden“, sage ich.
Jetzt taucht Danis Spinnweben verzierter Kopf im Küchenfenster auf.
„Schnattert nicht so viel, Weiber! Kommt lieber raus und helft, Schnüre zwischen den Bäumen zu spannen, damit wir die Lampions aufhängen können.“
Ich sage: „Okay, aber erst muss Kukirol die Küche räumen. Sonst setzt er sich in die Schüsseln, pickt überall herum und kackt auch noch in die Salate.“
Kukirol ist unser Papagei. Er ist genauso verfressen wie Emma. Ich locke ihn mit einer Erdnuss. Er kriegt glitzernde Augen und flattert auf meine ausgestreckte Hand. Während er die Erdnuss in seine kräftigen Krallen nimmt, setze ich ihn blitzschnell nach draußen aufs Fensterbrett und mache das Fenster zu.
Kukirol findet eine Erdnuss viel zu wenig. Als Sammy und ich durch die Haustür gehen, hat er sie schon verdrückt. Er legt den Kopf schief, sieht uns an und krächzt: „Mahlzeit!“ Das sagt er meistens, wenn er noch etwas haben will.
„Später“, antworte ich. „Wenn du dich weiter so anmoppelst, kriegst du eines Tages Herzverfettung und wirst genauso flugunfähig wie die Dinosaurier.“
„Und die sind bekanntlich ausgestorben“, fügte Sammy warnend hinzu.
Das Wetter ist super-duper. Gerade richtig für ein Sommernachtsfest. Wir haben uns umsonst Sorgen gemacht, dass es regnen könnte und dass wir unser Fest im neuen Stall feiern müssen.
Doch die Sonne strahlt vom Himmel und es ist richtig heiß. Nach einem Gewitter sieht es auch nicht aus. Die Bienen und Hummeln summen in den Malven und Bartnelken und in den Blüten des Majorans. Die Schwalben fliegen unter dem tief gezogenen Dach unseres Schwarzwaldhauses hervor, wo sie ihre Nester an die Mauer geklebt haben. Sie segeln hoch oben in der Luft herum. Wenn die Schwalben hoch fliegen, bedeutet das gutes Wetter, das weiß jedes Kind.
Unsere beiden Katzen Milly und Molly liegen auf der Hausbank und sonnen sich. Die Hühner „baden“ in einer Kuhle aus Staub neben dem Gartenpfad. Schmetterlinge gaukeln in den Lavendelblüten.
„Mann, ist das ein Bilderbuchwetter!“, sage ich.
Lady, unsere graue Stute, wiehert leise, als sie mich kommen sieht. Wie immer bin ich total stolz, denn das macht sie nur bei mir. Jetzt heben auch Franzi und Sammeli, die Ponys, ihre Köpfe und sehen herüber. Ein Schwarm Fliegen surrt um sie herum.
Sammy zieht ein paar zerkrümelte Kekse aus ihrer Jeanstasche. Ich habe Pferde-Leckerlis dabei und gehe zu Lady auf die Koppel. Sie kann nicht zum Zaun kommen, denn sie ist mit dem Anbindestrick und einer Laufleine an den Apfelbaum gebunden.
Lady ist vor ein paar Wochen am linken Hinterbein operiert worden. Sie darf sich nur wenig bewegen, bis der Knochenbruch richtig verheilt ist. Ihr Bein sieht schon viel besser aus. Es ist fast wieder normal. Nur eine leichte Schwellung verrät noch, wo ihre Knochen mit einer Platte zusammengeschraubt wurden.
Im Spätfrühling, als wir Lady bekamen, war das Bein nach einer schweren Sprungverletzung doppelt so dick wie jetzt. Sie schleppte es beim Gehen mühsam hinterher. Lady ist so lieb und sanft. Sie erträgt es geduldig, dass sie angebunden sein muss, während Franzi und Sammeli frei herumlaufen dürfen und sich im Gras wälzen können, so viel sie wollen.
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