Ihr Vater hätte den Ehevertrag wohl niemals unterschrieben, wenn er gewusst hätte, was sie erwartete.
Ja, vielleicht hätte sie daran glauben können, dass Ben-Yamin ebenso sanftmütig war, wie er aussah, obwohl sein Verhalten dem widersprach, wenn sie nicht seit ihrer Heirat eines Besseren belehrt worden wäre. Und so gern sie es auch wollte: Die Erinnerung daran konnte niemand auslöschen, nicht einmal ein Vampir.
***
Zuerst stand Ben mit dem Tablett vor der Verbindungstür und wollte klopfen. Dann blickte er jedoch auf den hübsch angerichteten Teller, das Mousse au Chocolat, den von ihm frisch angemachten Salat, und ihm wurde klar, dass Jasmin sich das Tablett schnappen und ihm die Tür gleich wieder vor der Nase zuschlagen würde.
Der Gedanke, dass sie sich in ihrem Quartier einigeln würde wie in einer Festung und er sie weder sehen noch in ihrer Nähe sein konnte, gefiel ihm ganz und gar nicht.
Nach einem Moment des Überlegens trat er schmunzelnd von der Tür zurück und deckte für Jasmin den Tisch in seinem Esszimmer.
Nach einem wohlwollenden Blick aufs Etikett öffnete er den 82er Bordeaux vom Château Lafite-Rothschild. Er war nicht so verrückt wie John, diese Flasche lag noch unterhalb des Monatseinkommens eines Arbeiters – na ja, wenn er gut verdiente.
Aber er liebte eben den Geschmack von gutem Rotwein auf seiner Zunge, auch wenn ihm nur ein paar Schlucke vergönnt waren, weil sein Stoffwechsel nicht in der Lage war, Flüssigkeit zu verarbeiten. Er schenkte zwei edle Kristallgläser ein und blickte neidisch auf Sarahs leckeres Essen. Elia profitierte vom Hautkontakt mit Sarah, seiner Frau und Symbiontin, durch den ihre chemischen Botenstoffe übertragen wurden, was dem Computercrack vorübergehend ermöglichte, normale Nahrung zu verdauen. Als Lissi noch hier im Gästequartier wohnte, hatte sie ihm immer den Nacken massiert oder bei den Mahlzeiten seine Hand gehalten, damit auch er in der Lage war, etwas zu essen, was seinen Bedarf an frischem Blut natürlich erheblich reduziert hatte.
Zufrieden betrachtete Ben den gedeckten Tisch und nahm sich fest vor, nett zu sein und die besten Manieren an den Tag zu legen.
Höflich klopfte er an die Verbindungstür.
„Jasmin, das Essen ist da. Ich hab den Tisch gedeckt, kommst du bitte?“
„Zu dir?“ Sie klang ebenso erstaunt wie unwillig. Widerspenstiger Kaktus!
„Ja“, erwiderte er und zwang seine Stimme zur Freundlichkeit. Allerdings schob er zur Sicherheit gleich hinterher: „Und beeil dich. Sarah ist eine super Köchin und sie hasst es, wenn ihr Essen kalt wird.“
Er lauschte und hörte mit Zufriedenheit das Rascheln von Stoff. Sie zog sich also an, prima.
Als Jasmin eine Minute später zögernd die Verbindungstüre öffnete, fand er das Rascheln von Stoff im Nachhinein nicht mehr prima. Vor ihm stand eine komplett in Schwarz gehüllte Gestalt: Sie trug eines dieser ultraweiten, konturlosen Kleider, Kopfschleier und einen Gesichtsschleier, der nur einen Sehschlitz frei ließ. Und weil das anscheinend noch nicht reichte, lag über ihren wunderschönen, strahlend hellen Augen zusätzlich ein dünnes Tuch.
Dabei hatte er sich so gefreut, sie zu sehen – und nun das.
Ihm musste unbedingt etwas einfallen!
Ganz gemäß seiner guten Erziehung wies er ihr den Weg zum Tisch, bedeutete ihr, Platz zu nehmen, und schob ihr beim Hinsetzen den Stuhl unter. Er blieb hinter ihr stehen und spürte, dass sie sich augenblicklich versteifte.
„Du respektierst doch die Anweisungen deines Königs, oder?“, fragte er nonchalant.
„Natürlich“, antwortete Jasmin vorsichtig, als würde sie den Braten riechen.
„Gut“, erwiderte er und musste sich ein Grinsen verkneifen. „Ich erinnere mich nämlich daran, dass dein König sagte: Ehre ihre Gastfreundschaft, indem du dich ihren Gebräuchen anpasst.“
Wie gut, dass seine Vampirohren jedes Wort mitgehört hatten!
„Und wir essen hier nicht mit Kopftuch und Schleier. Außerdem habe ich dich schon ohne Schleier gesehen und bin doch offiziell jetzt dein Verwandter. Es ergibt also gar keinen Sinn mehr.“
Wie in der Krankenstation saß sie nur stocksteif da und umklammerte krampfhaft ihr Besteck. Er würde nicht warten und war beinahe froh, dass sie nicht selbst zur Tat schritt, denn das gab ihm die Gelegenheit, sie wenigstens ein bisschen zu berühren.
Langsam hob er das große, durchsichtige Tuch, das lose über ihrem Kopf lag, und legte es zur Seite. Anschließend löste er mit sanften Bewegungen an ihrem Hinterkopf den Knoten des Gesichtsschleiers. Nun zog er vorsichtig die lange und zugegebenermaßen kunstvoll verzierte Kopftuchnadel auf Höhe ihrer Wange heraus und wickelte das Kopftuch ab.
Ihre noch feuchten Haare, die in langen Wellen herabfielen, lockten ihn beinahe unwiderstehlich. Zu gern hätte er seine Finger hindurchgleiten lassen, doch er spürte, dass sie kurz davorstand, ihren Dolch zu ziehen und in ihr Zimmer zu flüchten.
Er schloss seine Hand, die bereits über ihrem ebenholzfarbenen Haar geschwebt hatte, unterdrückte ein Seufzen und setzte sich ihr gegenüber. Dort nahm er sein Glas, verschränkte die Arme und lehnte sich entspannt auf seinem Stuhl zurück.
„Guten Appetit.“
Sie nickte stumm und begann zu essen.
Er genoss jeden einzelnen Moment, folgte ihren Bewegungen mit seinen Augen.
Leider hielt sie ihren Blick gesenkt und blieb stumm, aber das würde er ändern.
„Zu unserer Kultur gehört es auch, dass man sich bei Tisch unterhält und sich wenigstens ab und zu dabei ansieht. Außerdem hast du selbst gesagt, dass es an unseren unterschiedlichen Kulturen liegt, weswegen wir beide nicht klarkommen. Deshalb halte ich es für gut, wenn wir miteinander reden.“
„Mit fremden Männer zu reden, ist in unserer Kultur nicht erlaubt und ich befürchte, ich könnte falsche Hoffnungen in dir wecken.“
Er schmunzelte. „Keine Sorge, Jasmin, du hast mit deinem Dolch mehr als einmal deutlich gemacht, dass ich mir keine Hoffnungen machen soll. Und ich akzeptiere das Nein einer Frau.“
In seinem Inneren regte sich Protest, doch er ignorierte ihn. Er wollte Jasmin aus ihrem Schneckenhaus locken und diese Zusage schien ihm essenziell zu sein.
Da Jasmin weiter beharrlich schwieg, fuhr er fort: „Dieser Abadin hätte dich vorher fragen sollen, ob du hierbleiben willst.“
Jasmin schnaubte, ohne den Blick von ihrem Teller zu nehmen. „Er ist ein mächtiger, unumstrittener Herrscher in seinem Land und nicht gewohnt, jemanden vorher zu fragen.“
„Das glaube ich dir aufs Wort“, erwiderte Ben amüsiert. „Und wenn es dich tröstet, ich wurde vorher auch nicht gefragt.“
Sichtlich überrascht blickte sie ihn an.
„Tja, stell dir vor, dein König wollte das so. Wir müssen also wohl oder übel für die nächsten Tage miteinander auskommen, Jasmin. Lass uns deshalb das Beste daraus machen.“ Sein Blick fiel auf ihr unberührtes Glas. „Willst du gar nichts trinken?“
„Das ist Alkohol!“
Er lehnte sich mit seinem langstieligen Glas zurück und schwenkte den rubinroten Wein, während er genüsslich den Duft einatmete.
„Ich würde es eher einen hervorragenden Bordeaux nennen, der den Gaumen verwöhnt. Man sagt ihm eine leichte Kirschnote nach.“
„Es ist verboten, Alkohol zu trinken. Menschen tun schreckliche Dinge, wenn sie Alkohol trinken.“
Ihm lag es auf der Zunge zu sagen, dass Menschen auch Furchtbares taten, ohne Alkohol zu trinken, zum Beispiel Frauen zu verprügeln, wie in ihrem Fall. Anders waren die alten Brüche nicht zu erklären. Doch er spürte, dass er vorsichtig sein musste, um nicht die Büchse der Pandora zu öffnen.
„Keine Sorge. Ich bin ein Vampir, auf mich hat Alkohol fast keine Wirkung, und was dich angeht, glaube ich kaum, dass du mir etwas Schreckliches antun könntest.“ Er lächelte amüsiert. „Außer ich lasse dich mit deinem Dolch an meine Kehle.“
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