Ohne ein weiteres Wort war Ben stinkwütend aus „Elias Reich“ marschiert. Was sollte man dazu auch noch sagen? Eine Kultur, in der man Frauen steinigte, war für ihn so abstoßend und fremd, dass er sie gar nicht verstehen wollte.
Das bisschen Frieden, das er gehabt hatte, als er Jasmin zum Schwimmbad begleitet hatte, war längst dahin. Nun saß er hier vor der Tür zum Hallenbad, den Kopf in seine Hände vergraben, und kämpfte mit den widersprüchlichen Gefühlen, die an ihm zerrten.
Anziehung und Abstoßung, Wut und … ja, was denn nun eigentlich?
Womöglich hatte Ambi mit dem Bild des Tortenstücks ins Schwarze getroffen. Aber aus diesem Auftrag kam er nicht mehr raus, Agnus hatte sich unmissverständlich ausgedrückt.
In Gedanken versunken drehte er das Lederarmband an seinem Handgelenk. Lissi – mit ihr war alles so leicht gewesen. Jasmin wie eine Schwester zu behandeln, war im Augenblick die einzige Lösung, die ihm einfiel.
Aber würde das funktionieren? Würde ihn das davon abhalten, ständig vor Wut überzukochen? Oder mit Jasmin die Grenze zu überschreiten? Wobei das wohl kaum seine Sorge sein müsste, da sie sich doch so einladend verhielt wie ein Kaktus, oder nicht?
Nach einer gefühlten Ewigkeit klopfte er in einer unüberhörbaren Aufforderung an die Tür und hörte kurz darauf, wie sie aus dem Wasser stieg.
Am Gästequartier angekommen, öffnete Benjamin höflich die Tür und ließ ihr den Vortritt.
„Deine Koffer stehen im Schlafzimmer dort hinten, dein Beautycase im angrenzenden Bad.“
Sie nickte wortlos und trat ein. Ben folgte ihr und schloss die Tür hinter sich.
Erschrocken fuhr Jasmin herum und starrte erst auf ihn, dann auf die Eingangstür, die er blockierte. Innerhalb eines Wimpernschlags hatte sie ihren Dolch gezogen.
„Du hältst das Messer schon wieder falsch“, brummte er gereizt und fragte sich, was er jetzt schon wieder falsch gemacht hatte.
„Was willst du hier?“, fauchte ihn Jasmin an und wich vorsichtig zurück.
Was meinte sie denn damit?
Sein Geduldsfaden riss im gleichen Augenblick.
„Nur zu deiner Information: Das ist auch meine Wohnung!“
„Wie bitte?! Ich dachte, mein Gästequartier liegt neben deinem.“
Jasmin wirkte entsetzt, gelinde gesagt.
„Ja, das ist richtig. Sie hat auch einen eigenen Ausgang zum Flur des Hauptquartiers, aber ich habe den Schlüssel nicht bei mir. Es gibt bei mir jedoch eine Verbindungstür zu deinem Quartier. Es ist die offene Tür dort hinten.“
Er zeigte in die Richtung und sie folgte seinem Blick.
„Du hast also einen Zugang zu meinen Räumen, der offen steht?“, fragte sie nun mehr aggressiv als geschockt.
„In der Verbindungstür steckt ein Schlüssel!“, presste er hervor. „Aber den Flur darfst du ohne mich ja sowieso nicht betreten, weil dein König sonst ausrastet!“
Jasmin sagte nichts mehr, stand jedoch abwehrbereit da, als ob sie einen Angriff von ihm erwartete. Das erinnerte ihn an die Situation im Auto, als er zur Minibar hatte greifen wollen.
Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Wäre sie nur eine Zicke, hätte sie nicht ihren Dolch gezogen. Diese arabische Schönheit hatte schlicht und ergreifend abgrundtiefe Angst.
Ambi hatte recht, er war ein Arsch!
Ben atmete tief durch.
Hatte er sich nicht vorgenommen, nett und verständnisvoll zu sein?
In einer beschwichtigenden Geste hob er die Hände.
„Tut mir leid, dass ich laut geworden bin. Aber dass ich ständig ausflippe, liegt daran, dass du mich behandelst, als wäre ich ein brutaler Kerl, und das, obwohl ich noch nie eine Frau geschlagen oder sexuell missbraucht habe. Dein König hat sogar gleich im Voraus gedroht, mir die Eingeweide rauszureißen, falls ich dir wehtue. Alle sagen, ich soll nett zu dir sein, aber egal was ich versuche, es scheint falsch zu sein.“
„Es liegt vermutlich an unseren unterschiedlichen Kulturen“, meinte Jasmin ausweichend und zog sich mit einem wachsamen Blick in seine Richtung zum Gästequartier zurück. Erst dort senkte sie den Dolch, um hastig die Verbindungstür zuzuschlagen und abzuschließen.
Frustriert starrte Ben auf die geschlossene Verbindungstür. Er trat ganz nah an die Tür und legte seine Hand darauf in dem Bedürfnis, ihr näher zu sein. Um sich nicht wie abserviert vorzukommen – obwohl sie ihn wortwörtlich ausgeschlossen hatte –, sagte er laut genug, damit sie es drinnen hörte: „Du willst dich sicher umziehen, deine Haare föhnen oder was Frauen sonst so nach dem Schwimmen tun. Ich werde klopfen, sobald ich dein Essen geholt habe.“
Kaum hatte er ausgeredet, hörte er, wie sie drinnen hastig einen schweren Sessel vor die Tür schob.
Als ob ihn das aufhalten würde!
Seine Hand ballte sich zur Faust.
„Der Sessel ist unnötig, Jasmin. Ich klopfe immer und warte auf ein ‚Herein‘, bevor ich die Wohnung einer Frau betrete!“
Ich bin höflich!
Jasmin hatte sich zur Sicherheit ins Badezimmer eingesperrt – und mit rasendem Puls gewartet. Als nichts geschah, zog sie die schmutzigen, verschwitzten Kleider aus und kämmte ihre nassen ebenholzfarbenen Haare.
Während sie mit immer gleichen, routinierten Bewegungen Strähne für Strähne ihres langen Haares durchkämmte, wurde sie ruhiger und begann, über die Geschehnisse des Abends nachzudenken.
Noch nie war sie einem Mann wie Ben-Yamin begegnet.
Er kämpfte erbarmungslos gegen seine Feinde und war gleichzeitig sanft und rücksichtsvoll zu ihr, was das Getränk im Auto zeigte oder die Augenbinde, die er ihr nicht umgebunden hatte. Auf der Krankenstation wäre sie wahrscheinlich bald umgekippt, hätte er ihr nicht einen Stuhl geholt. Außerdem war er besorgt gewesen, dass sie sich verletzt haben könnte, und hatte sogar gefragt, ob sie hungrig war.
Ben-Yamin war der erste Mann, der nach ihren Bedürfnissen fragte, und selbst ihre Angst war ihm nicht gleichgültig. Aber er wurde auch sehr oft und schnell wütend auf sie, was bei Männern üblicherweise schmerzhaft für Frauen endete.
Doch wenn es nun tatsächlich daran lag, wie sie ihn behandelte? Schließlich hatte er keine Ahnung von ihrer Kultur und was sich für sie als Frau im Harem des Königs gehörte.
Sein Gesicht sah so wunderschön aus und sanft, ebenso wie seine Hände. Ein warmes Kribbeln breitete sich in ihrem Unterleib aus, als sie sich vorstellte, wie es wäre, wenn seine Hand liebevoll ihre Wange streicheln würde.
Nur einen Wimpernschlag später brach jedoch die Erinnerung an andere Hände durch und alles in ihr wurde eiskalt.
Ohne Gesichtsschleier hätten die Leute auf dem Markt damals Woche für Woche in ihrem Gesicht sehen können, was ihr Ehemann mit seinen Händen anstellte.
„Ich fordere nur, was mir zusteht!“, hatte er immer gebrüllt.
Ihre Mutter hatte ihr erzählt, dass es in der Hochzeitsnacht einmal wehtun würde, und ihr dafür etwas zum Einreiben zwischen den Beinen gegeben. Aber ihre Mutter hatte unrecht – es hatte nicht nur in dieser Nacht geschmerzt.
Dabei hatten ihre Eltern die Ehe mit dem wohlhabenden Mann aus dem reichen Nachbarstaat in dem Glauben arrangiert, ihr dadurch ein besseres Leben zu ermöglichen, bei Weitem besser, als sie es mit einem der jungen Männer aus ihrem Dorf hätte treffen können. Dort gab es noch nicht einmal fließendes Wasser, dafür war der Hunger für viele, wenn auch nicht für ihre eigene Familie, ein Problem.
Im Gegensatz zu ihrem Ehemann war Ben-Yamin zwar wunderschön, doch auch ihr Mann war nett gewesen – bevor er sie endgültig in die Finger bekam und allein mit ihr war.
Während der beiden Besuche zur Eheanbahnung war er sehr freundlich gewesen und hatte großzügige Geschenke für ihre Familie mitgebracht. Sie war damals erst sechzehn Jahre alt gewesen, aber ihre Mutter meinte, ein älterer Mann wäre ruhiger und umgänglicher als ein junger, der ständig seinen männlichen Trieb ausleben wollte.
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