„Du kommst jetzt mit mir, Jasmin!“, befahl Ben-Yamin abrupt, und bevor sie nachdenken konnte, war sie auch schon aufgestanden und losmarschiert.
Sie verwünschte diese Hörigkeit gegenüber Männern, die man den Mädchen von Kindesbeinen an einprügelte.
Der Weg durch die Flure war ein einziges Spießrutenlaufen. Alle Männer, die ihr begegneten, sahen sie an, lächelten ihr zu. Einer meinte sogar, sie hätten selten Damenbesuch hier.
Na großartig! Ihr König hätte sie auch gleich an ein hungriges Löwenrudel verfüttern können!
Diese anderen durften sich jedoch kaum Hoffnungen machen, denn dass dieser Ben-Yamin sie nicht teilen würde, spürte sie ganz deutlich.
Als er die Tür zu seinem und ihrem Quartier öffnete, war es mit ihrer Beherrschung vorbei. Sie stand wie angewurzelt da, unfähig, über die Schwelle zu treten.
„Hey, alles in Ordnung? Ist dir wieder schwindelig, Jasmin?“
Warum klang er nur so besorgt?
Sie schluckte und schüttelte den Kopf, suchte nach einem Ausweg.
„Ich – ich glaube nur nicht, dass ich jetzt etwas essen oder schlafen kann. Verzeihung, aber es wäre unhöflich, dir umsonst Mühe zu machen. Es wäre besser, ich kehre zur Krankenstation zurück.“
„Nein, auf keinen Fall“, sagte er energisch, fuhr dann aber freundlicher fort: „Das liegt am Adrenalin in deinem Körper, vielleicht auch am Blutdruckmittel. Was tust du denn sonst, um dich zu entspannen?“
„Schwimmen“, stammelte sie, überrascht von der Frage, „Ich schwimme für mein Leben gern. Im Wasser fühle ich mich einfach wohl.“ Und frei! Frei von begehrenden Männerblicken, deshalb auch frei vom Schleier, frei von schwarzer Kleidung, die sie immer wieder zum Schwitzen brachte und den frischen Wind nicht auf ihrer Haut spüren ließ.
Im Wasser fühlte sie sich völlig frei. Es gab keine Zwänge und das warme Wasser streichelte ihren Körper so sanft und umarmte sie so liebevoll wie sonst nichts auf der Welt.
„Eine Frau aus der Wüste, die gern schwimmt?“, fragte er mit offensichtlicher Neugier. Aber sie hatte nicht vor, seine Neugierde zu befriedigen, er würde ja doch nur nachhaken.
Aber Schwimmen war von klein auf etwas Besonderes für sie gewesen.
Ihre Familie wohnte in einem kleinen Fischerdorf am Meer, wo die Palmen bis an den Sandstrand wuchsen. Nachts, wenn alle schliefen, schlich sich ihre Mutter oft aus dem Haus und ging heimlich im Meer baden. Eines Nachts, als Jasmin noch ein kleines Mädchen war, lief sie ihr nach und wollte dann natürlich auch baden. Ihre Mutter und sie beschlossen, dass das ihr Geheimnis bleiben würde, denn sie badeten nackt, weil sie sich keine islamische Badebekleidung leisten konnten. Außerdem war zu dieser Zeit niemand am Strand, der sie hätte sehen können, und ohne lästige Kleider zu baden, war auch viel angenehmer. Mutter brachte ihr das Schwimmen bei und diese Zeiten nachts mit ihr zählten zu den schönsten ihrer Kindheit …
„Wenn du schwimmen willst, lässt sich das einrichten“, unterbrach Ben-Yamin ihre Gedanken. „Wir haben ein Schwimmbad im Haus.“
Ben hatte den Eindruck gehabt, Jasmin würde auf ihrem Stuhl in der Krankenstation für alle Ewigkeit festkleben, wenn er kein Machtwort sprach. Er hatte sich den arroganten Befehlston des Königs zu eigen gemacht. Aber als Jasmin aufsprang, als hätte er sie mit einer Peitsche geschlagen, hasste er sich dafür.
Auf dem Flur hatte sie sich jedes Mal förmlich an die Wand gedrückt, wenn ein Mann an ihr vorbeiging, und auf Walters Versuch eines Small Talks hatte sie mit keinem einzigen Wort reagiert.
Dass sich ihm jetzt die Möglichkeit bot, ihr einen Wunsch zu erfüllen, ihr etwas zu bieten, das ihr guttat, machte ihn regelrecht glücklich. Er wollte sich wirklich Mühe geben, nett zu ihr zu sein. Zudem war er froh, endlich wieder zu seiner freundlichen Art zurückgefunden zu haben, seit Jasmin ihm durch die Flure des Hauptquartiers folgte.
Als Ben die Tür zum unterirdischen Badebereich öffnete und ihr entspanntes Seufzen hörte, grinste er von einem Ohr bis zum anderen und war stolz auf sich.
Vor Jasmin lag ein gut dreißig Meter langer Pool mit Unterwasserbeleuchtung und einer künstlichen Felswand samt Wasserfall am Ende, der echte Wohlfühlatmosphäre verbreitete. Weich gepolsterte Liegestühle und ein Whirlpool ergänzten das Spa-Ambiente. Die dunkelblaue Decke, die mit ihren unzähligen, Einbaulämpchen wie ein Sternenhimmel wirkte und von umlaufenden Säulen im griechischen Stil getragen wurde, passte hervorragend zum Mosaikfußboden. Die Wände hatte er mal aus Spaß nach altem Vorbild mit Szenen aus dem griechischen Alltagsleben bemalt und Leonardo hatte bei einem Besuch gemeint, sie kämen den echten Fresken sehr nahe.
„Danke“, sagte Jasmin, doch es klang mehr, als wollte sie ihn loswerden – war ja klar.
Er wies auf ein offenes Tropenholzregal. „Hier findest du Handtücher und Bademäntel. Soll ich dir noch einen Badeanzug besorgen?“
„Nicht nötig.“
Ben durchbohrte sie mit seinem fragenden Blick, bis sie ihm kaum hörbar die Erklärung gab.
„Ich bade immer – ähm – ohne Bekleidung.“
Allein die Vorstellung reichte, dass Ben fast die Augen aus dem Kopf fielen. Aber noch bevor er etwas erwidern konnte, tauchte Ambrosius auf, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Elegant sprang er aus dem Schwimmbecken, stand da mit einer Figur, wie sie antike Meister aus Marmor meißelten und grinste wie ein Honigkuchenpferd.
„Endlich wird einem hier mal was geboten! Darf ich mich vorstellen: Ambrosius.“
Er verbeugte sich formvollendet, wie es ihm sicherlich in alten Zeiten anerzogen worden war. Seine üppigen, schwarzen Locken und sein Gesicht mit dem schalkhaften Ausdruck ließen ihn jedoch wie einen jungen Erwachsenen wirken, der nicht erwachsen werden wollte, was schon eher zum ihm passte.
„Ich freue mich, euch Gesellschaft leisten zu dürfen.“
Jasmin taumelte wie von einer Keule getroffen zurück, bis sie mit Ben zusammenstieß – was sie von ihm aus ruhig öfter machen konnte.
Leider wich sie sofort wieder zurück, rang sichtlich um Beherrschung und presste nach einem tiefen Atemzug hervor: „Wie ich sehe, ist das kein Frauenschwimmbad. Ich vergaß eure Kultur. Schade.“
Mit einem sehnsüchtigen Blick auf den Pool drehte sich Jasmin um und steuerte schnurstracks den Ausgang an.
„Warte!“
Demonstrativ stellte Ben sich ihr in den Weg, bereute aber, dass seine Stimme schon wieder so wütend gewesen war.
Bleib ruhig, Ben! Sei nett, sei nett, sei nett!
„Denkst du etwa, ich würde vor Männern nackt baden?“
Jasmin hatte die Hände zu Fäusten geballt, ihre Augen sprühten vor Entrüstung.
„Woher sollte ich wissen, dass du nackt badest? Anständige Frauen ziehen gewöhnlich einen Bikini an.“
„Anständige Frauen in unserem Land baden gar nicht in Gesellschaft von Männern!“
Zicke!
Er holte tief Luft.
Bleib ruhig. Sei nett!
„Im Augenblick bist du die Einzige im Badebereich, denn Ambi wollte gerade gehen.“
„Man gönnt mir hier auch gar nichts“, sagte Ambi mehr belustigt als beleidigt. „Und Agnus hat mich auch schon zu sich zitiert.“ Ambi schnappte sich sein Handtuch, und als er an Ben vorbeiging, murmelte er: „Glückspilz, so einen Auftrag hätte ich auch gern mal. Ich hab’s meist nur mit Reagenzgläsern und Petrischalen zu tun.“
Als Ambi hinausschlenderte, zog Ben den Schlüssel von außen ab, den sie wegen der fünfjährigen Alice angeschafft hatten, damit sie nicht ohne Aufsicht ins tiefe Wasser sprang.
„Siehst du? Hier ist der Schlüssel. Du schließt ab und bist ganz für dich allein.“ Er hielt ihr den Schlüssel hin. „Voilà, dein Frauenschwimmbad.“
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