Sofort hatte Eddy die entgangene Gelegenheit aus dem „Bossa Nova“ vergessen. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, als sie sich mitten in den Kontakthof an einen der freien Tische setzten. So mochte ein Goldsucher über seinen Claim blicken, wenn er sicher war, jede Menge Gold gefunden zu haben, dachte Frank. Eddy war angekommen. Aber nicht nur er - da stiefelte auch schon sein Traumweib heran, eine junge Mulattin mit großen, frechen Kinderaugen und Riesenbrüsten, die vor dem Kontakthof kurz verweilte und ihre Blicke kreisen ließ.
„Diese Möpse muss ich heute Nacht noch peitschen“, stieß Eddy hervor, als er sie erblickte. Wie ein wildes, ungezähmtes Tier ging die Auserwählte nun durch die Reihen der Freier, schwenkte ihren stattlichen Hintern wie ein alter Matrose und nahm zwei Tische neben ihnen Platz. Kaum hatte sie ihre Zigaretten herausgeholt, sprang Eddy auf und eilte zu der jungen Mulattin, um ihr Feuer zu geben. Aber ein anderer war schneller, ein gut angezogener krawattentragender Südamerikaner hatte ihr bereits das Feuerzeug unter die Nase gehalten, als die Zigarette noch kaum gezückt war. Zwei Freier im Finish, aber einer mit Krawatte und auch eher am Ort, so dass Eddy schon wieder erfolglos von dannen ziehen musste. Er hatte sich noch nicht wieder den Tisch gesetzt, als die Mulattin und der smarte Krawattenträger bereits aufgestanden waren und gingen. Was für ein Tempo.
Aber da erschien schon die nächste Dame, auf der nach oben offenen Kopulationsskala womöglich noch attraktiver als die soeben Entschwundene. Aus der Entfernung sah sie aus wie eine zweite Anita, schlank in den Hüften, genau richtig in den Schultern und mit üppigen Mutterbrüsten ausgestattet. Ihre Augen waren wie die Suchscheinwerfer eines weiblichen Terminators auf die Tische gerichtet, und da Eddy einfach wie in der Schule den Arm hob, kam sie direkt an den Tisch. Aus der Nähe betrachtet verlor sie allerdings etwas, denn ihre Züge hatten etwas Hartes, die Lippen waren schön geformt, aber schmal, und die großen runden Augen standen ein klein wenig vor, so dass sie Frank vorkam wie ein mächtiger großer schwarzer Frosch, der nun vor ihrem Tisch stand und sich direkt neben Eddy niederließ. Martin nickte nur kurz zur Begrüßung und zündete sich eine weitere Zigarette an. Frank versuchte ein freundliches Gesicht zu machen, wobei er gar nicht wusste, ob das in diesem Umfeld überhaupt erforderlich war. Eddy war am Ziel, denn diese Frau würde ihm nun niemand mehr streitig machen. Er rückte dem schwarzen Frosch auf den Pelz, schaute ihr tief in die vorstehenden Augen und hauchte “You are so nice! You are so charming!“ Wie aus dem Boden gewachsen, stand eine Kellnerin an ihrem Tisch, und der schwarze Frosch bestellte eine große Karaffe Sangria. Die Karaffe kam, vier Gläser wurden eingeschenkt, und man prostete sich zu.
Der schwarze Frosch stellte sich als Silvia vor, „Silvia from Bahia“ rief sie, warf die Arme in die Luft, als sei das ein Grund zum Feiern und trank nach dem ersten Glas noch gleich ein zweites hinterher. Über Frank blickte sie nur kurz hinweg, doch als sie Martin ansah, verzog sich ihr Gesicht zu einem mächtigen, wissenden Lächeln, das sich langsam über ihr Gesicht ausbreitete. „Your Eyes are beautiful“, sagte sie und hob ihr Glas, um Martin zuzuprosten. Eddy fiel das Gesicht herunter, doch Silvia legte noch einen drauf. Ungeachtet der Tatsache, dass Eddy schon bereits halb auf ihr hing, griff sie über den Tisch, berührte Martin am Arm und sagte. „Please, give me a kiss.“
Martin war halb überrascht, halb geschmeichelt. „Tomorrow“, sagte er, morgen.
Nein, sie will den Kuss sofort, und so beugte sich Martin nach vorne und gab dem schwarzen Frosch einen Kuss auf die Wange. Jetzt müsste es einen Knall geben, dachte Frank und anstelle des schwarzen Froschs müsste eine richtige Prinzessin erscheinen. Doch stattdessen zog Eddy eine ellenlange Bittermiene und rückte von Silvia ab. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Doch Silvia entließ ihn nicht aus ihrem Gewahrsam. Ruckhaft zog sie ihn wieder an sich und ermahnte ihn, nicht eifersüchtig zu sein. „Don´t be jealous, my baby, I love you too.“ Nach dieser Mitteilung dreht sie sich zur Bedienung um und bestellte eine zweite Karaffe Sangria.
„Hey, die Frau steht auf mir. Wie wär´s? Wollen wir teilen?“ schlug Martin vor. Er lachte Silvia zu, die ihm ein andeuteten Kuss zuwarf und zugleich Eddy weiter im Schwitzkasten hielt. Der Sangria kam, Frank stand auf und füllte alle Gläser. Für etwas musste er ja gut sein.
„Nein, niemals“ kreischte Eddy und löste sich aus der Umklammerung. „Nein, niemals! Diese Frau nicht!“
Silvia blickte Eddy überrascht an, erkannte am Ton, dass Rivalitäten entstanden waren, aber das konnte ihr nur recht sein. Wieder kippte sie ihr Glas in einem Zug herunter und gab Kostproben ihrer Deutschkenntnisse: „Alles klar“, brabbelte sie. „Keine Probleme“, „Wunderbar“, und „Ich bin geil“.
Martins Miene verdüsterte sich. Er fühlte sich durch Eddys Schroffheit vor den Kopf gestoßen. „Warum willst du nicht teilen?“ fragte er. „Du kannst sie auch zuerst haben.“
Allein der Gedanke schockierte Frank.
„Ich teile jede Frau, aber diese nicht!“
„Na gut, wie du willst“, erwiderte Martin und setzt sich kerzengerade an den Tisch. „Dann wollen wir mal sehen, wer in der freien Konkurrenz die Nase vorn hat.“
Silvia wandte sich Eddy zu: „Whats going on, honey?“ fragte sie.
Eddy riss sich zusammen, schenkte ihr einen Blick aus seinen Mottenkugelaugen und erklärte ihr, dass man sich nicht einig sei.
„No Problem“, antwortete der schwarze Frosch. „I take you both!“
„Siehst du“, triumphierte Martin. „Und nun hab dich nicht so.“
Eddy bekam hektische Flecken im Gesicht. Zu allem Unglück wurde Silvia nun auch noch therapeutisch. „Come on, come on“, beschwichtigte sie Eddy. „Don´t be so serious. I like funny Boys.“
Eddy löste sich aus Silvias Umklammerung, behielt aber den Sinn fürs Kleingeld. „Übernehmt ihr die Sangria?“ fragte er.
„Nee“, meinte Martin, „Die teilen wir durch drei.“
Frank war es egal, ob sie die Sangria durch zwei, drei oder vier teilen würden, denn er hatte plötzlich nur wenige Meter vom Kontakthof entfernt Janina gesehen. Ja, sie war es, sie stand da mit einer Zigarette in der Hand, lässig an einer Häuserwand gelehnt und schien nachzudenken.
Ohne zu überlegen, stand Frank auf, legte zwei Scheine auf den Tisch und sagte „Das ist mein Anteil. Ich bin weg.“
Als er an den Tischen vorüberging und sich Janina näherte, erkannte er, dass sie es wirklich war. Allerdings nicht wie vor einigen Tagen im Strandoutfit, sondern mit einer knapp sitzenden Hose, die ihre Figur betonte, und einer armfreien Bluse mit Ausschnitt. Sie hatte die langen schwarzen Haare zu einem züchtigen Knoten zusammen gebunden, was in dieser Umgebung ebenso unpassend wie auffällig wirkte. Ihre Lippen hatte sie nur ganz leicht geschminkt, der Lidschatten war gerade mal angedeutet, mehr benötigte ihr Gesicht nicht, um zur Geltung zu kommen. Sie war die Unschuld schlechthin, inmitten der Huren Babylons, der Goldgroschen in einem Sack voller Blech, und wer nicht gewusst hätte, was sie wirklich war, hätte sich fragen können, was sie hier wollte.
„Hallo“, grüßte Frank, als er vor Janina stand und blickte sich dabei selbst über die Schultern. Das letzte Mal, dass er eine Frau auf der Straße angesprochen hatte, war schon Jahre her, und damals war es ein Desaster gewesen.
Janina schaute ihn mit ihren rehbrauen Augen freundlich an. Sie erkannte ihn, wusste aber zunächst nicht, woher. Schließlich schien sie sich zu erinnern und schmunzelte. „Hallo“, sagte sie und hob leicht die Hand, mit der sie die Zigarette hielt.
Читать дальше