Adrian Ambrer - Sechs Geschichten über die Liebe unterwegs

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Vier turbulente Tage in Rio de Janeiro konfrontieren zwei Reisende mit zwei unterschiedlichen Spielarten der Nähe. Ein Mann und ein junges Mädchen reisen durch Anatolien und werden sich selber fremd. In New York findet ein Single, der sein Leben als Geliebter von Ehefrauen perfekt durchorganisierte, seine Meisterin. Zwei Namenlose erleben in Portugal die Einsamkeit zu zweit. Ein Fremdgeher tappt in Gran Canaria in seine eigene Falle, und ein Ehemann will seine Frau durch eine Flucht nach Thailand zurückgewinnen.
Die «Liebe unterwegs» beinhaltet eine doppelte Entfremdung – das Anderssein in der Fremde und das Anderssein in der Liebe. Wie sich beide Identitätsverwirrungen gegenseitig durchdringen und verstärken, erkunden die sechs Erzählungen dieses Buches. In Rio de Janeiro, Anatolien, New York, Portugal, auf Gran Canaria und in Thailand beschreiben sie die paradoxe Verschlingung von Fremde und Nähe, sowohl was das Persönliche, wie was das Geografische betrifft. Ihr Thema ist die Psychologie der unterschiedlichsten Liebesverhältnisse, gebrochen und intensiviert durch die räumliche Entfernung.

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Adrian Ambrer

Sechs Geschichten

über die Liebe

unterwegs

Copyright 2021 Ludwig Witzani Konvertierung sabine abels Hamburg published - фото 1

Copyright: © 2021 Ludwig Witzani

Konvertierung: sabine abels, Hamburg

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

(Alle Erzählungen dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind rein zufällig.)

Ich widme dieses Buch meiner lieben Frau in der Hoffnung, dass sie es niemals lesen möge, weil sie sonst jede Figur eins zu eins auf mich überträgt.

Vorbemerkung

Vier turbulente Tage in Rio de Janeiro konfrontieren zwei Reisende mit zwei unterschiedlichen Spielarten der Nähe. Ein Mann und ein junges Mädchen reisen durch Anatolien und werden sich selber fremd. In New York findet ein Single, der sein Leben als Geliebter von Ehefrauen organisiert, seine Meisterin. Zwei Namenlose erleben in Portugal die Einsamkeit zu zweit. Ein Fremdgeher tappt in Gran Canaria in seine eigene Falle, und ein Ehemann will seine Frau durch eine Flucht nach Thailand zurückgewinnen.

Die „Liebe unterwegs“ beinhaltet eine doppelte Entfremdung - das Anderssein in der Fremde und das Anderssein in der Liebe. Wie sich beide Identitätsverwirrungen gegenseitig durchdringen und verstärken, erkunden die sechs Erzählungen dieses Buches. In Rio de Janeiro, Anatolien, New York, in Portugal, auf Gran Canaria und in Thailand beschreiben sie die paradoxen Beziehung von Fremdheit und Nähe, sowohl was das Persönliche, wie was das Geografische betrifft. Ihr Thema ist die Psychologie der Liebe, geprägt durch ihre Gewordenheit und intensiviert durch die räumliche Entfernung.

Der Romantische und der Rösige in Rio Frank Richter arbeitete als als Lehrer - фото 2

Der Romantische und der Rösige in Rio

Frank Richter arbeitete als als Lehrer für Geschichte und Geographie an einem Kölner Gymnasium. Er war hochgewachsen und schlaksig, ein introvertierter Leptosom, der sich bemühte, die Zumutungen des Alltags wie unvermeidliche Prüfungen zu ertragen. Zumutungen des Alltags waren: seine missgünstige Nachbarin, die die Korrektheit seiner Mülltrennung überwachte, die Schüler, die die Texte entweder oberflächlich oder überhaupt nicht lasen, sein Facebook-Account, auf dem ihm lauter Ereignisse mitgeteilt wurden, die ihn nicht interessierten, und vieles andere mehr.

Die größte Zumutung seines Lebens aber war die Liebe. Vier Semester lang war er während seines Studiums für das höhere Lehramt mit der rehäugigen Meike zusammen gewesen, hatte ihr die Hausarbeiten geschrieben, regelmäßig ihren alten Volkswagen repariert, die Schränke zusammengebaut, um nach ihrem erfolgreich bestandenen Staatsexamen wegen eines Prädikatsjuristen verlassen zu werden. Meike residierte längst mit ihrem Juristenmann und ihren zwei Juristenkindern in einem prächtigen Juristenhaus am Tegernsee, während Frank Richter noch immer in seinem Zweieinhalbzimmer-Apartment im Kölner Westen lebte. Und zwar alleine, denn nach der rehäugigen Meike hatte es in Franks Leben keine wirkliche Beziehung mehr gegeben. Die Frauen, mit denen er ausgegangen war, hatten ihn deprimiert - zu stark erschien ihm der Kontrast zu seiner Meike, zu gewöhnlich ihr Gehabe, zu berechnend ihre sequentielle Polygamie.

Nachdem er eine Enttäuschung nach der nächsten hatte hinnehmen müssen, ließ er es schließlich ganz. Seine Beziehungen zur Frauenwelt beschränkten sich auf den Kontakt zu seiner älteren Schwester und auf die Grußkarten, die er Meike zu ihrem Geburtstag an den Tegernsee schickte. Immerhin war er gesund und durch seinen Beruf finanziell so abgesichert, dass er der einzigen Passion, die ihm geblieben war, ungehemmt frönen konnte: dem Reisen. Denn Reisen - und waren sie auch noch so beschwerlich - erschienen ihm nicht als Zumutungen, sondern als die Enklave in seinem Leben, in der er die Schönheit und die Erbauung finden konnte, die er daheim vermisste.

Was ihm aber noch fehlte, war Brasilien. Existierten in Minas Gerais nicht die wunderbaren brasilianischen Barockkirchen mit den Werken des begnadeten Aleijadinho? Stürzte nicht im Süden Brasiliens in der Nähe von Iguazu der Größte aller Wasserfälle in die Tiefe, und war Rio de Janeiro nicht die schönste Stadt der Welt?

Sein Kollege und Tennispartner Dr. Eddy Fischer war zweiunddreißig Jahre alt und Studienrat für Deutsch und Sport an der gleichen Schule. Eddy Fischer hatte über „Schillers Theorie des Spiels“ promoviert, hatte an akademischen Hierarchien geschnuppert und wusste immer mit einem klugen Spruch zu glänzen. Schlank und sportlich kam er am liebsten mit seinem Sportfahrrad zur Schule, was seine schüler „cool“ fanden, auch wenn ihm als Lehrer eine gewisse Launenhaftigkeit nachgegesagt wurde.

In der Liebe war er allerdings mehrfach auf die Nase gefallen, so dass er sich zu einem überzugten Single entwickelt hatte, der festen Bindungen nach Möglichkeit aus dem Wege ging. Ehrlicher Sex ohne jedes Tam-Tam, das war sein Ding, und wenn er dafür bezahlen musste, hatte er damit auch kein Problem. Natürlich nicht zuhause, denn das hätte ihn auf den Status eines gewöhnlichen Freiers herabgedrückt, sondern in der Fremde, wo das Gras grüner, das Wetter besser und der Sex eine vollkommen unsentimentale Sache war. In der Patpong Road von Bangkok kannte er sich aus wie in seiner Westentasche, und was die Mabini Street in Manila betraf, konnte ihm keiner was vormachen. China mied er, da gefielen ihm die Frauen nicht, in Japan war es zu teuer, und in Afrika war es ihm viel zu gefährlich.

Aber was war mit Südamerika? Was war mit Brasilien? Nach allem, was er hörte, kam keine Frau an die Brasilianerin heran. Wild und willig, vor allem aber billig, existierte jenseits des großen Teichs ein bisher noch unbekanntes Paradies, das er unbedingt erforschen wollte.

Irgendwann, war es im Lehrerzimmer oder beim Sport, stellten Frank Richter und Eddy Fischer fest, dass sie unabhängig voneinander eine Brasilienreise planten. Spontan beschlossen sie, gemeinsam zu fahren. Dass sie sich in Brasilien in die Quere kommen würden, war nicht zu erwarten, dafür waren sie zu unterschiedlich. Was also sprach dagegen, sich die Reisekosten auf das Angenehmste zu teilen? „Der Rösige und der Romantische fahren nach Rio“, spotteten die Damen im Schulsekretariat, doch Frank und Eddy störte das nicht.

Am ersten Tag der großen Ferien bestiegen sie den Flieger der brasilianischen Fluggesellschaft Varig und flogen nach Rio.

Es war ein unruhiger Flug. Wie alle Südflüge passierte die Maschine eine Klimazone nach der nächsten, und über dem Atlantik musste wegen heftiger Turbulenzen die Essensausgabe verschoben werden.

„Wenn es schon kein Essen gibt, dann kann mir die Stewardess wenigstens einen blasen“, tönte Eddy. Kaum weg von zuhause befleißigte sich der prommovierte Germanist einer derben Diktion, wobei er darauf vertraute, dass im Ausland nicht alles so genau verstanden wurde, was er von sich gab.

Frank waren solche Sprüche peinlich. Er überhörte sie und vertiefte sich in seinen Lonely Planet Guide, seinen Kulturführer und die Texte, die er sich auf seinen E-Reader geladen hatte. Mehrere Artikel warnten vor der hohen Kriminalität in den großen Städten Brasiliens. Über fünftausend Menschen werden jedes Jahr alleine in Rio de Janeiro ermordet. Das war die schlechte Nachricht. Neunzig Prozent davon in den Favelas und im Drogenmilieu. War das eine gute Nachricht? Ganz bestimmt nicht. Auf der anderen Seite war das Land nach diversen Staatsbankrotten und Währungsreformen relativ preiswert. Das war wieder eine gute Nachricht. Außerdem, so vermerkte ein findiger Reiseschriftsteller, fiel der Tourist in Rio nicht so stark auf, weil die brasilianische Bevölkerung einfach keinen vorherrschenden Phänotyp kennt - schwarz und weiß oder gemischt, groß und klein, dick oder dünn, alles kam aus dem gleichen Melting Pot.

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