„Nichts“, log sie.
„Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen das nicht glaube.“
„Ihr Problem.“
„Sie sind abgeblitzt, Frau Laws. Habe ich Recht?“
„Ich bin verheiratet. Was erlauben Sie sich?“, rief sie entrüstet.
„Warum darf dann ihr Mann nichts von ihrem Rendezvous wissen? Frau Laws, ich bin kein Scheidungsanwalt. Ich ermittele in einem Mordfall. Wenn Sie uns nicht alles sagen, was Sie wissen, dann machen Sie sich strafbar.“
Sie funkelte ihn an. „Ich sage Ihnen alles. Wir waren dort, weil ich ihn eingeladen habe.“
So hatte Hell es sich gedacht.
„Haben Sie sich gestritten, weil der Abend nicht nach ihren Wünschen verlief?“
„Wünsche? Meine Wünsche? Woher wollen Sie meine Wünsche kennen? Aber nein, wir haben uns nicht gestritten.“
Sie beugte sich ein wenig zu ihm vor. Wenn sie könnte, würde sie mir etwas ins Gesicht werfen, dachte Hell. Sie konnte aber nicht. Daher setzte er noch einen drauf.
„Besitzt ihr Mann eine Waffe, Frau Laws?“
„Nein, mein Mann hat noch nie eine Waffe besessen. Er ist Lehrer für Mathematik.“ Ihre nach unten gezogenen Mundwinkel verrieten Hell, dass sie keine Achtung mehr für ihren Mann und auch nicht für seinen Beruf hatte.
„Auch Lehrer besitzen Emotionen“, sagte er.
„Sie kennen meinen Mann nicht, Herr Kommissar.“ Sie nickte und er sah, dass ihre Offenheit ihr große Probleme bereitete.
„Es wird uns aber nichts anderes übrig bleiben, als ihn kennenzulernen. Falls er etwas von seinem Konkurrenten wusste, dann kann es sein, dass er etwas gegen ihn tun wollte.“
„Nein. Tun Sie das bitte nicht. Herr Kommissar!“
„Es tut mir leid, aber manchmal fällt man unangenehm auf. So wird es Ihnen jetzt auch gehen, Frau Laws.“
Jetzt sah sie besorgt aus, nahezu bekümmert. Doch Hell konnte ihr nicht helfen. Ein eifersüchtiger Ehemann war immer ein sehr guter Verdächtiger, selbst wenn er bloß Mathelehrer war. Sogar die Friedfertigsten konnten einen Mörder bezahlen.
*
Am frühen Nachmittag stellte das Bonner Radio auf ihrer Homepage das Phantombild ein. Der Mann, der dort gezeigt wurde, trug eine dunkle Sonnenbrille, hatte eine schmale Nase, ein markantes Kinn und eine dunkle Locke hing unter der Kapuze hervor. Es war kein allzu vielsagendes Phantombild. Mit einer Sonnenbrille und einer ins Gesicht gezogenen Kapuze auf sah beinahe jeder Zehnte so aus.
Hell und sein Team hegten auch keine große Hoffnung, dass mit dem Bild ein schneller Fahndungserfolg verbunden war.
Es war eigentlich ganz einfach zu verstehen, was der Ermittler der KTU in den Händen hielt. Es hatte nur eine Sekunde gedauert zu verstehen, dass es etwas von Bedeutung war. Aber er brauchte eine Weile, bis er es in Worte fassen konnte, um seinem Kollegen nicht nur die Akten vor die Nase zu halten.
„Hier schau mal, wenn ich das richtig verstehe, hat er Nachforschungen zum Tod seines Bruders angestellt“, sagte Julian Kirsch und hob seine Augenbrauen. Sofort sah er die Unruhe im Blick der Kollegin.
„Zeig mal bitte“, antwortete Heike Böhm. Kirsch erwiderte nichts, er gab seiner Kollegin einen Teil der Akten, die er in dem verschlossenen Aktenschrank im Hause von Gauernack gefunden hatte. Sie waren ganz akribisch vorgegangen, hatten sich von links nach rechts durch die Aktenschränke vorgearbeitet. Hätten sie es andersherum getan, wären ihnen diese Akten schon eher in die Hände gefallen.
Heike Böhm hatte in den letzten Fällen ein Gespür für solche Einsätze entwickelt. Sie arbeitete langsam, gründlich und mit einem Auge für Dinge, die wichtig sein konnten. Dieses Gefühl hatte sie nun wieder. Sie saß nur da, biss sich auf die Unterlippe und wendete ein Blatt nach dem Nächsten. Kein Zweifel, ihr Kollege hatte Recht. Aber es war nicht nur eine private Fahndung, die Staatsanwalt Gauernack betrieben hatte, es war weit mehr. Sie hielt Dokumente in der Hand, die eine Beteiligung der Stasi am Verschwinden des Bruders nahelegte.
Jeder andere hätte seine Ungeduld nicht zügeln können, doch sie behielt die Ruhe. Dennoch sah Kirsch den angespannten Ausdruck in ihren Augen.
„Wir müssen das dringend der Staatsanwaltschaft mitteilen. Und ich denke, wir haben jetzt noch mehr Arbeit, bis wir diese Aktenordner hier alle durchforstet haben“, sagte sie, nachdem sie den Aktendeckel geschlossen hatte. Sie machte eine Kopfbewegung hin zu dem Aktenschrank.
„Du kannst bloß keine Untätigkeit ertragen“, antwortete Kirsch und strich sich mit dem Zeigefinger unter der Nase entlang.
„Es hat wenig mit Untätigkeit zu tun. Es hat eher etwas mit Sorgsamkeit zu tun, Julian.“
Kirsch murmelte eine Antwort, die Heike Böhm aber nicht verstand. „Da ist noch etwas anderes“, sagte sie und fühlte sich bei dem Gedanken nicht wohl.
„Was denn?“
„Stell dir mal vor, Gauernack wurde getötet, weil er eine Verbindung zwischen dem Verschwinden seines Bruders und der Stasi fand. Das würde bedeuten, dass es heute noch diese Kader gibt, die ihre Spuren mit allen Mitteln vertuschen wollen.“
Kirsch machte ebenfalls ein sorgenvolles Gesicht. „Denkst Du wirklich, diese Stasi-Gangster sind nach der Wende plötzlich alle geläutert worden? Und haben ihre Verbrechen bereut? Und versuchen nicht, sie zu vertuschen?“
„Wohl kaum. Aber gibt es nicht eine Behörde, die sich damit beschäftigt? Und sucht nicht das Bundeskriminalamt nach den Stasi-Verbrechern?“
Ihre Kiefer waren angespannt, daher presste sie diese Worte nur gequält hervor.
„Das tun sie. Aber die alten Seilschaften halten auch heute noch zusammen. Ebenso wie die Nazis nach dem Krieg immer noch zusammengehalten haben. Solange, bis man sie aufgespürt hat.“ Er griff nach der Akte, die ihm seine Kollegin herüberreichte.
„Ist es nicht fürchterlich, wenn man über zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR immer noch Angst vor den Stasi-Schergen haben muss?“
„Sicher, aber geh mal davon aus, dass man sich dort den Fähigkeiten von Killern bediente. Nur dass sie unter dem Deckmäntelchen der SED töteten“, sagte er in einem konzentrierten Ton und sehr langsam.
Die Augen des Tatortermittlers hefteten sich auf die Blätter in dem schmalen Aktenordner.
„Ja, Du hast sicher Recht. Auch hier ist es wie immer und überall. Aus den Schlagzeilen, aus dem Gedächtnis der Massen. So werden auch die Stasi-Mörder langsam vergessen. Bis einer kommt und sie aufscheucht.“
„Lass uns nicht allzu schnell eine Querverbindung ziehen. Es kann sein, dass der Tod des Staatsanwaltes gar nichts damit zu tun hat. Wir müssen erst alle Akten sichern“, sagte Kirsch.
Eine Meldung über den Fund dieser Akten leitete Tim Wrobel direkt an die Staatsanwältin Hansen weiter. Keine halbe Stunde später war auch Oliver Hell im Bilde. In einem weiteren sehr unauffälligen Aktenordner fanden sich neben zwei Bildern mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern auch einige Original-Dokumente, deren Inhalt mit einem Edding-Marker teilweise unkenntlich gemacht worden war. So wie es die Stasi bei Millionen von Postsendungen, die vom Westen in den Osten geschickt worden waren, gemacht hatte. Eine dauerhafte Verletzung des Postgeheimnisses durch den repressiven Staatsapparat.
Hatte Gauernack versucht, diese geschwärzten Stellen mit Leben zu erfüllen? War er damit jemandem zu nah gekommen?
Spekulationen.
Hell betrachtete die Fotos. Es handelte sich um Fotokopien von Originalen. Ob Gauernack die Originale ebenfalls besaß, konnte die KTU noch nicht sagen. Es waren scheinbar ganz normale Menschen, die auf dem Bildern zu sehen waren. Doch hatten sich diese beiden Männer bei der Verfolgung von Mitgliedern der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte hervorgetan. Das sagten die Akten aus, die sich ebenfalls in dem Ordner befanden.
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