„Oh, nein! Äh das heißt, ich meine, ja. Es gibt einen Erzeuger, aber der wollte kein Kind und ...“, schloss ich lahm.
„Das war sicher nicht einfach.“
„Nein, es war und ist die Hölle.“
Ich konnte sehen wie sich Ians Gesichtszüge verhärteten und wurde das Gefühl nicht los, dass es besser war, dass er und Paul sich nie begegnen würden. Ein Blick auf Ians zu Fäusten geballten Hände genügte. Nach dieser Offenbahrung von mir würde er Paul zu Brei schlagen. Himmel und das gefällt dir sogar. O Gott, bin ich etwa dabei mich in diesen Schotten zu verlieben?
„Ich schätze, ich muss damit leben“, sagte ich, mutiger als mir zumute war.
„Ja. Das musst du wohl, denn ich lasse nicht zu, dass du Dummheiten machst, Sommersprosse. Aber ich verspreche dir, wir finden deinen Jungen, egal wo er ist.“
Schlagartig wurde mir klar, was ich all die Jahre vermisst hatte. Es war Zuversicht und die fand ich nun hier, hier bei Ian.
„Ja?“, hauchte ich.
„Klar. So sicher wie ich Ian Tormod Robert MacLeod heiße“, sagte er im Brustton der Überzeugung und ich glaubte ihm. Ich glaubte ihm, um seinetwillen und um meinetwillen und weil ich es glauben wollte.
Ohne Träume jeglicher Art schlief ich, bis die Morgendämmerung mich aufweckte. Vom Feuer war nur noch Glut übrig. Ian stand in seinem Hemd da, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, nur mit Hemd bekleidet in der Glut herumzustochern. Der Wolf war samt dem Rest vom Hasen verschwunden, selbst die Knochen waren weg. Nun, schön oder nicht schön, ich war froh, dass er verschwunden war.
Keine raschelnden Blätter, noch sonst ein Geräusch hatten Nikoma angekündigt. Er war einfach von einem Moment zum anderen plötzlich da. Dort, neben der Glut des Feuers blieb er stehen und sah uns an.
„Guten Morgen, Freunde“, er sprach langsam und überdeutlich, jedes Wort betonend und sah vor allem mich unverwandt an.
Als wäre mein Blick auf ihn festgebannt, konnte ich nicht wegsehen. Das war beunruhigend und Ian stellte sich, als ob er es gemerkt hätte, genau zwischen unseren Blickkontakt.
„Guten Morgen, Fremder. Du warst lange weg“, stellte er ruhig fest. Allerdings hatte seine Stimme nun wieder diesen festen, autoritären Klang.
„Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, Nikoma?“
Wir brechen auf. Sie sind zu nah und ihr seid zu interessant für sie. Nikomas Stimme hallte nun wieder, wie gewohnt, in unseren Köpfen.
Ian musste sich gefragt haben, was an uns so interessant war, denn Nikoma sah Ian an und lächelte so widerlich süffisant, wie der Moorguhl aus meinem Albtraum.
Es ist ein Kopfgeld auf euch ausgesetzt, vor allem die rothaarige Wildkatze ist sehr kostbar! Fast als hätte er es vergessen, fügte er beiläufig hinzu: Oh, ihr seid Menschen. Nach dem Verhör werden sie sich an euch gütlich tun, ihr versteht? Sie werden euch fressen. Menschenfleisch ist bei uns kostbar. Er sah Ian fest in die Augen. Kommt, Freunde!
Ian sah mich an, mit ernstem Blick und festgefrorenen Mundwinkeln. Ich erwiderte seinen Blick. Wir verstanden uns ohne Worte. Das Wort ‚Freund‘ hatte einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Doch was für eine Wahl blieb uns schon?
Gibst du mir meinen Kilt, Sommersprosse?“
Mit der einen Hand half er mir beim Aufstehen und mit der anderen nahm er seinen Kilt in Empfang. Bewundernd sah ich ihm für einen Moment zu, wie er sich darin einwickelte, ging dann aber doch schon zu den Pferden vor, da die Tiere in Nikomas Nähe immer sehr unruhig wurden. Ich streichelte meinen schwarzen Wallach, um sowohl ihn als auch vor allem mich zu beruhigen. Da ich keinen Hunger verspürte, gab ich ihm die Hälfte meines Frühstücksapfels. Angst vor einer Weiterreise auf dem Rücken der Pferde, ließ meinen Magen vor Übelkeit krampfen. Frühstück? Nein, danke! Muskelkater in den gesamten Beinen, blaue Flecken, ein wunder Po und da sollte ich schon wieder …? Himmel, nein! Leider blieb mir vermutlich nichts anderes übrig?
„Och, du könntest dich fressen lassen, noch ist genug an dir dran“, brummte ich ironisch vor mich hin.
„Zu mager und vor allem giftig. Sieht man schon an der Haarfarbe“, dröhnte Ians lachende Stimme hinter mir.
„Verflixt, du hast gelauscht“, stieß ich ertappt aus und mein entsetzter Blick brachte ihn noch mehr zum Lachen.
„Hm, ich hatte ein wenig Angst, dass die Pferde dich vorher fressen. Ha, ha, ha.“
„Du, du wagst es, dich lustig zu machen, du Elender ...!“
„… Schotte, ja, ich weiß“, unterbrach er mich noch immer lachend, packte mich mit beiden Händen an der Hüfte, wirbelte mich durch die Luft und zack, saß ich schon wieder auf dem verflixten Gaul.
Verdutzt wie ich war, nahm er mir den Rest meines Apfels aus der Hand und biss kraftvoll hinein. „Du wolltest ihn doch nicht mehr?“
„Also ich ...“, setzte ich an.
„Ein Mann muss bei Kräften bleiben. Man weiß ja nie. Vielleicht willst du mich ja doch noch ... du weißt schon, bevor sie uns fressen!“, bemerkte er trocken und schwang sich elegant auf sein Pferd.
Einen Moment lang hatte ich meine Gesichtszüge nicht unter Kontrolle und musste lächeln. Herrje, hoffentlich hast du das nicht gesehen. Du hast ja keine Ahnung, Ian, dachte ich verunsichert über meine Gefühle diesem Mann gegenüber.
Die Pferde begannen zu traben und sofort zuckten aufs Neue die Schmerzen durch meine Beine und in meine Kehrseite. Heilige Maria, wie sollte ich das bloß durchhalten? Schmerzvoll zischte ich durch meine zusammengepressten Zähne. Ian drehte sich besorgt im Sattel.
„Du hättest es mir zeigen sollen!“, schimpfte er ärgerlich.
Oh ja, das hättest du gerne gehabt, du Schuft. Und als Nächstes wäre ich mit dir in einem Bett aus Gras gelandet, widersprach ich in Gedanken und zwang mich zu einem, wie ich hoffte, beruhigenden Lächeln.
„Vergiss es, Sommersprosse! Du bist mit Abstand die schlechteste Lügnerin, die mir je untergekommen ist“, mahnte er vorwurfsvoll, schenkte mir jedoch ein mitleidiges Grinsen.
Mir fiel keine Erwiderung ein und so blickte ich stur in die Ferne. Ich musste mich auf den blöden Gaul konzentrieren und der Teufel sollte mich holen, wenn ich mir anmerken lassen würde, wie es in mir aussah.
„Verlagere das Gewicht immer wieder und sei nicht so steif. Sobald wir galoppieren wird es besser, versprochen“, versuchte Ian, mich aufzumuntern.
Natürlich, vielleicht würde ich aber auch vorher vom Pferd fallen. Letztendlich war es die farbenprächtige Wunderwelt um mich herum, der es gelang, mich völlig abzulenken. Saftiges Grün, Blumen in Farben, die ich noch nie gesehen hatte. Büsche und Wiesen schienen in miteinander zu verschmelzen, sodass man nur noch Farben wahrnahm, nicht jedoch die einzelne Blume. Es gab seltsame Arten von Igeln, unzählige Hasen und absurd aussehende Schweine. Ihre Nasen sahen zwar aus, wie eh und je, nur waren sie so lang wie bei Elefanten und sie suchten damit schnüffelnd den Boden ab, während ihr langer, pinselartiger Schwanz hinter ihnen ihre Spur verwischte. Sie waren auch nicht rosa oder braun, nein. Diese Schweine waren mit olivgrünem Fell überzogen. Es gab auch viele flinke, kleine Tiere. Diese waren aber so schnell, dass ich sie nicht genauer erkennen konnte.
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