Ian sah mich an, als hätte er Angst, dass ich jeden Augenblick vom Pferd fallen würde. Leider kam dies, wenn er es den tatsächlich dachte, meinem Zustand gefährlich nahe.
Die Gedanken des Schotten waren um einiges schwerer zu lesen, als die der Frau, Isandora, aber dennoch las Nikoma sie. Sie befolgten, wenn auch widerwillig, seine Anweisung und folgten dem Turmfalken, dessen Gestalt er angenommen hatte. So konnte er immer direkt über ihnen fliegen und gleichzeitig die Landschaft im Auge behalten. Es gab zu viele Anhänger der Noctrum in dieser Gegend. Der Schotte war extrem vorsichtig und auf der Hut. Das imponierte ihm. Er war der Krieger, da war Nikoma sich sicher, nicht allein wegen seines Aussehens. Nein. Es war sein Stolz, sein Kampfgeist und seine starken Gefühle der Frau gegenüber. Er war ihr verfallen auf Gedeih und Verderb.
Das Unglaubliche daran war, er konnte ihn verstehen. Nein, Schlimmer noch, er konnte es fühlen. Er hatte in Erwägung gezogen, in Menschengestalt weiterzureisen, ihretwegen. Seine Kondition hätte es ihm locker erlaubt. Dennoch hatte er sich für die Gestalt des Turmfalken entschieden. Diese beiden Menschen waren ein zu leichtes Ziel für ihre Feinde. Er durfte seine Aufgabe nicht vernachlässigen!
Und doch stahl sie sich, in seine Gedanken ... ihre Reinheit, ihr Schmerz und ihre grünen Augen, so grün wie die seinen.
Isandora up Devley hatte keine Ahnung, wer sie war. Noch wusste die kleine Menschenfrau nichts über ihre Herkunft. Zuerst hatte Nikoma nicht zu hoffen gewagt, dass sie es wirklich war.
Die verschollene Tochter Fenmars.
Isandora hatte ihn mitten in sein schwarzes Herz getroffen. Ausgerechnet sie, ein Mensch, wenn auch von edler Abstammung, von der sie nicht das Geringste ahnte! Er hatte in den Abgrund ihrer Seele geblickt: nur bodenloser Schmerz.
Ian MacLeod, der Hüne, der Krieger, Zweifler und Beschützer. Er hatte es ebenfalls gesehen und deshalb war er ihr verfallen. Nikoma konnte das Band ihrer Liebe sehen, obgleich Isandora sich noch gegen ihre Gefühle wehrte.
Er war ein Formwandler. Turmfalke und Wolf waren seine weiteren Gestalten, die er annehmen konnte. Er gehörte einer Spezies an, die einen äußerst schlechten Ruf hatte und umso wichtiger war seine Aufgabe. Da war ein Liebesgeplänkel, zudem mit einer Menschenfrau, einer up Devley, unangebracht. Der Falke Nikoma stieß einen Schrei aus. Bah, Menschen!
Die Abenddämmerung brach an und noch immer saßen wir auf den Pferden. Selbst diesen schien es wie uns zu gehen und sie trotteten nur noch gemütlich dahin.
Dort vorne ist ein kleiner Bach: Haltet dort an. Ich stoße später zu euch , machte sich Nikomas Stimme in unseren Gedanken bemerkbar.
Keinen Moment zu früh. Ich kam nur dank Ian vom Pferd, der mich genauso herab schwang, wie er mich hochgeschwungen hatte. Glücklicherweise, denn sonst wäre ich hinuntergefallen wie ein Sack Kartoffeln. Die Innenseiten meiner Oberschenkel brannten wie Feuer und ich war mir sicher, so schnell nicht mehr auf meinem Hintern sitzen zu wollen.
Das alles schien Ian nichts auszumachen. Ihn plagte wohl weder das eine noch das andere meiner Probleme. Im Gegenteil. Neidvoll musste ich gestehen, dass er aussah wie das blühende Leben. Nun gut, das Hemd war nicht mehr unbedingt weiß und der Kilt sah auch nicht mehr taufrisch aus, aber alles in allem ganz passabel.
Und ich? Einer meiner Ärmel war an der Schulter vom Kleid angerissen. Der schöne grüne Rock war voller Flecken und mein Unterrock leicht zerfetzt, da ich Ian einen neuen Verband daraus gemacht hatte. Schade um das teure Kleid!
„Alles in Ordnung mit dir, Sommersprosse?“, unterbrach Ian meine Gedanken und ich nickte tapfer.
„Puh! Endlich Boden unter den Füßen.“ Ich stöhnte und streckte mich genüsslich.
„Du bist noch nie geritten, oder?“, wollte Ian wissen und ich dachte; doch, aber nicht auf einem Pferd! Augenblicklich begannen meine Wangen vor Scham rot zu glühen. Zumindest fühlte es sich so an. „Ähm, nein. Ist das so offensichtlich?“, stotterte ich stattdessen.
„Tja, allerdings“, schmunzelte Ian. „Na, dann lass mal den Doc sehen!“ Er machte Anstalten, mir den Rock hochzuheben.
Empört schlug ich ihm auf die Hand, was er mit einem entrüsteten „Aua!“ quittierte.
„Finger weg, Ian Tormod Robert MacLeod. Davon träumst du vielleicht.“
„Es könnte sich entzünden und du wirst dann nicht mehr sitzen können“, erklärte er geduldig.
„Was du nicht sagst“, zischte ich. Dachte er, ich würde diese Anmache nicht durchschauen? „So, und jetzt geh ich zum Bach“, schnappte ich und schob den verdutzten Schotten angriffslustig zur Seite.
Ich war mir des Blickes, der meinen Rücken durchbohrte mehr als bewusst und mühte mich ab, so wenig wie möglich zu schwanken. Dennoch kam ich mir vor, als liefe ich wie auf Eiern. Vermutlich sah ich aus wie John Wayne zu seinen Glanzzeiten, so breitbeinig wie ich lief. Am Bach begann ich mit steifen Fingern meine Schnürsenkel zu lösen, was sich als sehr problematisch herausstellte, da ich mich fast nicht bücken konnte. Wenn ich noch halbwegs Licht zum Waschen haben wollte, musste ich mich beeilen. Mit zusammengebissenen Zähnen und etlichen Flüchen schaffte ich es doch noch und watete langsam ins Wasser.
„Puh, ist das kalt!“, entfuhr es mir.
Mit gerafftem Rock und Blasen an den Füßen stand ich im Wasser, klemmte den Rock ins Mieder und unter die Arme und inspizierte meine wunden Schenkel. Ich hatte Glück, sie waren nur rot und morgen vermutlich blau, aber nicht offen und blutig, wie ich erst gedacht hatte.
Ian hatte die Pferde an einen Strauch direkt am Bach gebunden, wo sie gleichzeitig fressen und saufen konnten. Er schnitt eine große Menge trockenes Gras ab und begann anschließend die zwei Pferde damit abzureiben. Es war ein anstrengender Job, zumal er selbst k.o. war. Schließlich begab er sich ebenfalls zum Wasser, legte seinen Kilt ab und stellte sich im Hemd in die kalte Strömung. Was für eine Wohltat.
Auf dem Rückweg zum Lager sah er Isa, es war schon ziemlich dämmerig und bald dunkel. Halb hinter einem Busch verborgen blieb er stehen und beobachtete sie, wie sie sich wusch. Schmunzelnd vernahm er ihre Flüche. Wie sie so dastand mit gerafftem Kleid und vom Wind zerzaustem Haar kam sie ihm vor wie eine Wassernymphe, bezaubernd und unschuldig. Ian hätte ihr Stunden zusehen können und sein Herz schlug ihm dabei bis zum Hals. Doch der Gedanke, sie könnte ihn hier ertappen, war alles andere als erquickend! Nein, ein Feuer zum Aufwärmen wäre da wohl um einiges besser und er trat den Rückzug an.
Entlang des Baches sammelte er Treibholz ein und fand als Dreingabe wilde Erdbeeren, Brombeeren und sogar Zwiebeln. Das Pflücken dauerte zwar eine geraume Zeit, aber die war es ihm wert. Das Holz unter dem Arm und die süße Ausbeute im gerafften Kilt, brachte er alles zu ihrem Lagerplatz unter einer großen Esche. Isa war längst da, hatte auf dem Rückweg ebenso wie er Treibholz gesammelt. Es lag zu einem Haufen getürmt an dem Platz, welchen auch er für die Feuerstelle auserkoren hätte.
Schlaues Mädchen. Sie selbst war mit dem Rücken an den Stamm des Baumes gelehnt, in sich zusammengesunken und leise schnarchend eingeschlafen. Ein amüsiertes Grinsen breitete sich in Ians Gesicht aus. Sie sah so süß aus und das leise Schnarchen entlockte ihm ein glucksendes Lachen.
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