Sie kommen näher. Worauf wartet ihr?
Ian sah mich an. „Du bist mir eine Antwort schuldig!“
Die ruhige beherrschte Stimme strafte seinen wilden Blick Lügen.
Ich wich einen Schritt zurück und schluckte trocken. „Ich wüsste nicht, welche!“Angriff ist die beste Verteidigung, dachte ich.
„Bei Gott Weib, wenn du mir nicht auf der Stelle Rede und Antwort stehst, lege ich dich übers Knie!“, knurrte Ian und ich erstarrte.
„Das tust du nicht!“, wisperte ich mit schlotternden Knien mutig und wich zurück, bis die Wand einen weiteren Rückzug vereitelte.
„Was macht dich da so sicher, du stures Frauenzimmer?“, drohte er mit Augen die Funken zu sprühen schienen.
„Gut. Ist ja gut! Es tut mir leid, Ian. Für mich ist das hier auch nicht einfach“, gab ich kleinlaut zu. „Also, ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du dich um mich sorgst. Aber ich bin es gewohnt, selbst auf mich aufzupassen, okay? Ich musste das schon immer und ...“
„Isa!“ Seine Stimme glich jetzt einem Donnergrollen.
„Äh, ja? Ja, okay.“
Er kam näher.
„Da, da war eine … eine Pergamentrolle, ich hab sie äh … geerbt … und sie erschien mir wie ein Witz. Du weißt schon, ‚versteckte Kamera‘ oder so ...“
Ian ragte nun bedrohlich vor mir auf, einem Riesen gleich. An seinem Hals pulsierte eine Ader vor Wut. Er lehnte seine Hände rechts und links von meinem Kopf an die Wand und starrte mir in die Augen. Ich konnte nirgendwo anderes hinsehen, nur in diese dunkelbraunen Augen. Es war, als wäre ich die Maus und er die Schlange, die mich mit einem Blick fixierte, der mich zur Salzsäule erstarren ließ.
„Komm zum Punkt, Weib!“, knurrte er und seine Nasenspitze berührte die meine.
„Äh, da … es stand da was geschrieben, ähm ...“ Wie war es noch gleich?
Nikomas Stimme in unseren Köpfen begann gleichzeitig mit meiner zu sprechen:
„Der Krieger durch Liebe gebunden.
Ein Kind das gefunden.
Zu richten und zu binden das alte Geschlecht.
Ein Pakt aus Blut und Tränen gemacht.
Was war und wird sein mit vereinter Macht.
Um zu öffnen, des Buches Tor und zu binden
das Gift der Vier.
Im Herzen des Moors.
Zuerst sah ich Unglauben, gepaart mit Belustigung in seinem Blick und dann ... Er drehte sich kommentarlos um, warf den Kilt zu Boden und rollte sich umständlich darin ein. Vor sich hin schimpfend stellte er die Leiter in das Loch im Boden und stieg hinunter.
Es war der Moment, in dem er sich umdrehte und was ich da in seinen Augen sah, war Begreifen und - Angst. Verstohlen strich ich mir die Haare aus dem Gesicht, den Rock glatt und die Tränen aus den Augenwinkeln. Ich hatte das alles so satt.
„Beeil dich, Isa. Wir wollen Nikoma nicht warten lassen“, mahnte Ian schnippisch und hielt die Leiter fest.
„Bist du sauer?“, flüsterte ich.
„Hmpf!“
Oh ja, er war sauer.
„Ian, siehst du mir unter den Rock?“
Er sah mich böse an und ließ die Leiter los. Mit einem „Verdammtes, stures Weibsbild. Òinsich!“, verschwand er aus meinem Blickfeld.
Jetzt waren beide Männer bei den Pferden. Oh, oh. Pferde! Ich hatte sie verdrängt. Wunderschön standen sie nebeneinander. Das eine braun - weiß gescheckt, das andere rabenschwarz. Eines hatten beide Pferde gemeinsam. Sie waren groß, sehr groß. Und wie ich in diesem Augenblick feststellte, als ich die Tiere erreichte: zu groß für meinen Geschmack.
Nikoma sah mich an und grinste breit. Ian kam wohl zum selben Schluss. Verflixt, stand mir die Panik so sehr ins Gesicht geschrieben?
Sagen konnte ich nichts mehr. Ian ergriff mich kopfschüttelnd und noch bevor ich bis drei zählen konnte, saß ich auf dem schwarzen Pferd. Meine Hände krallten sich panisch am Sattel fest. Soeben wollte Ian hinter mir aufsteigen, als Nikoma ihm bedeutete innezuhalten.
„Ich bevorzuge es, zu Fuß zu gehen. Pferde mögen mich im Allgemeinen nicht besonders.“
„Sind wir dann nicht zu schnell?“, fragte ich erstaunt.
Nikoma hob belustigt die Augenbrauen und ignorierte meine Frage. „Folgt mir einfach!“
Ian sah mir an, dass ich sichtlich unwohl auf diesem Riesenpferd saß.
„Sommersprosse, du hängst da wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Sei nicht so verkrampft und krall dich nicht so fest. Das mögen Pferde im Normalfall gar nicht gerne.“
„Ach, was du nicht sagst“, zischte ich, mit zusammengepressten Lippen.
„Soll ich dich festbinden?“, witzelte er.
„Wag es ja nicht! Du, du ... Schotte!“
„Ich denke, ich nehme vorsichtshalber ihre Zügel, Mistress!“, sagte er und ich vernahm es genau. Ein leises glucksendes Lachen. Sie lachten beide. Nikoma ebenso wie Ian.
„Schön, dass ich für ihr Amüsement herhalten darf, die Herren!“ Weiter kam ich nicht dazu, meinen Zorn kundzutun, da ich zu sehr damit beschäftigt war, nicht vom Pferd zu fallen. Ian nahm die Zügel und saß auf.
Im selben Moment begann Nikoma zu laufen, schneller und schneller, voller Anmut und Eleganz, seine Kleidung bot ihm die perfekte Tarnung und er war fast schon nicht mehr auszumachen. Die Pferde fielen vom Trab in den Galopp und wir flogen nur so dahin.
Die Landschaft war wie aus einem Reiseführer, wie gemalt, Lochs, Glens und unendliche Wogen aus grünem, mit Blüten durchsetztem Gras. Was hätte ich nicht alles darum gegeben dieses Farbenmeer auf ein Foto zu bannen! Mir schossen Tränen in die Augen, als mir aufging, dass ich vermutlich für eine lange Zeit, oder sogar nie mehr, eine Kamera in den Händen halten würde.
„Dass du dich ja gut festhältst! Ein Sturz bei dem Tempo wäre verheerend!“, rief Ian mir zu.
Ha, da wäre ich nie darauf gekommen! Ich sah bewundernd auf seinen Rücken. Er saß auf dem Pferd, wie Christopher Lambert als Highlander im Film. Perfekt. Seine langen Haare waren wieder mit dem Haarband gebändigt, die großen Hände hielten die Zügel, die darin mehr als verloren aussahen. Seine Augen prüften mit ernstem Gesichtsausdruck die Landschaft. Unvermittelt drehte er sich nach mir um. Erschrocken schlug ich die Augen nieder. Verflixt, diesem Mann entging auch gar nichts!
„Alles in Ordnung, Mistress? Kannst du dich noch festhalten?“, fragte er mit besorgter Stimme.
„Öhm, danke. Ja, alles Okay! Was glaubst du, machen wir je Pause oder kommen wir irgendwann an?“ Wo auch immer, fügte ich still hinzu.
Er musterte mich argwöhnisch.
„Die Wahrheit?“, fragte er.
„Ja, ich werde es schon ertragen. Also?“
„Aye. Ich habe nicht die geringste Ahnung! Diese Landschaft sieht aus wie meine Heimat, selbst die Lochs und Glens ... und dennoch, wir reiten schon so lange. Ich weiß es nicht, mo rùn!“
Hoffentlich weiß dieser seltsame Nikoma es! Dieser Kerl rennt wie ein Panther, ohne Unterbrechung, dachte ich besorgt.
Читать дальше