In sicherem Abstand hörte ich ihn hinter mir hergehen. Es wurde zunehmend hügeliger und immer mehr Bäume kamen in Sicht. Sams Tuch auf meiner nackten Haut fühlte sich an wie ein Verräter und ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut.
Ian sah auf Isas Gestalt vor sich, die aufrecht und stolz vor ihm her wankte. Wie stelle ich es an, dieses sture Weib zu beruhigen, ohne dass sie mir die Augen auskratzt? Eine Entschuldigung kam ihm dabei nicht in den Sinn. Sie war am Ende ihrer Kräfte. Stolperte nun immer mehr. Wenn ihm nicht bald etwas einfiel, konnte er sie vom Boden auflesen.
„Versteh einer die Frauen. Egal was man macht, es ist immer falsch! Begrapscht, bah. Verflixtes Weibsbild!“, grummelte er. Er hatte sie nicht begrapscht. Zugegeben, der Gedanke hatte etwas Verlockendes, kam aber für einen Ehrenmann niemals infrage.
„Mpf, du wirst freiwillig in meine Arme kommen, mo rùn“, murmelte er.
Bei dem Gedanken wurde ihm ganz warm ums Herz. Colin wüsste, was zu tun war. Leider war sein Freund nicht hier. Sein Blick fiel wieder auf Isa. Trotz der Stolperei waren ihre Schritte immer noch wütend und energisch. Was hatte diese höchstens 1,60 Meter große Frau nur an sich, dass ihn so faszinierte? Stolz, Sturheit, gepaart mit vollendeter Weiblichkeit und den süßesten Lippen auf Erden, dachte er und ein Lächeln huschte über seine angespannten Gesichtszüge. Isa hatte seit dem Vorfall kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Ian befand, dass es jetzt genug war. Keinen Moment zu früh hatte er sie eingeholt. Sie war im Begriff über einen großen Stein zu fallen. Er erwischte sie gerade noch an der Hüfte und hielt sie fest.
„Lass mich wieder vorausgehen, Sommersprosse. Es ist nicht mehr weit bis zur Quelle“, redete Ian sanft auf mich ein.
„Mhm“, stimmte ich kraftlos zu.
Mein Mund war so trocken, dass ich fast nicht mehr in der Lage war zu schlucken. Beinahe bei jedem zweiten Schritt kam ich ins Straucheln.
Ian schlug sich indes in die Büsche, den Berg hinauf. „Ich höre es schon plätschern!“, drang seine begeisterte Stimme vom Berg herab an meine Ohren.
„Schön. Kann nich’ mehr hoch“, antwortete ich lapidar.
„Oh doch. Los, gib mir deine Hand.“ Mit festem Griff zog er mich hinter sich den Berg hinauf. Nun konnte ich es auch hören. Zuerst nur ein leises Gurgeln, das dann immer mehr an Stärke zunahm und zu einem tosenden Rauschen anschwoll.
„Da ist es. Danke lieber Gott!“, stieß er voller Inbrunst aus.
Losgelöst wie eine Feder sank ich auf den Felsboden und saß einfach nur da. Ian füllte sein Trinkhorn und das meine. Jetzt wurde mir endlich klar, wozu dieses Horn gedacht war; auf dem Fest hatte mich das lästige Anhängsel am Kleid eher gestört. Hier und jetzt war ich froh darüber. Ian trank und kam dann zu mir.
„Trink schön langsam!“, mahnte er und ließ mich nicht aus den Augen. Behutsam, wie bei einem Säugling, hob er mir das Trinkhorn an den Mund und ich trank, wie mir geheißen, in kleinen Schlucken. Köstliches Nass breitete sich in meinem Mund aus. Frisch und klar, das Wasser kam mir vor wie edler Champagner. Wir tranken viel und schöpften Wasser, womit wir uns wuschen, so gut es eben ging. Was nicht gerade einfach war, da die Wasserfälle senkrecht in die Tiefe stürzten und wir über die Schlucht balancieren mussten, um an das Wasser zu kommen.
Die Aussicht von hier oben war spektakulär. Ich hatte die Highlands immer gemocht. Das hier, das waren die Highlands und doch auch wieder nicht.
„Siehst du das dort unten? Da, wo die Lochs sich treffen, da müsste eigentlich Eilean Donan Castle stehen“, erklärte Ian und ich blickte angestrengt, in die Richtung in die er mit dem Finger zeigte.
Ja, müsste es, aber dort stand nur ein zerfallener Turm.
„Es ist nicht da, Ian!“, wisperte ich beklommen.
„Aye. Trotzdem, da gehen wir hin!“
Glücklicherweise hatte Ian eine Feldflasche an seinem Gürtel hängen und wir füllten sie mit dem so kostbaren Wasser. Wir machten uns mit den letzten Kraftreserven auf den Weg zur Ruine von Eilean Donan, wie wir annahmen. Doch je näher wir kamen, umso mehr erkannten wir, dass es nicht die Ruine von Eilean Donan war.
„Es ist ein sogenannter Broch, ein Feenturm. Warte hier vor dem Eingang, ich sehe mich um.“
Ich setzte mich auf einen Stein und tat wie mir geheißen. Kurze Zeit später kam Ian zurück.
„Alles in Ordnung. Lass uns reingehen“, sagte er.
Es war angenehm kühl in dem Broch. Wir fanden zwei alte Tonbecher. Sie waren zwar nicht mehr ganz, aber noch zu gebrauchen, eine alte Decke und Stroh. Mithilfe einer alten Leiter (einige Sprossen waren noch heil) stiegen wir in den ersten und von dort in den zweiten Stock. Der Boden machte einen soliden Eindruck und Ian beschloss, hier unser Lager aufzuschlagen. Mithilfe der Decke brachte er das Stroh nach oben, das auf der unteren Ebene des Turms herumlag. Während ich es in einer Ecke schichtete, machte sich Ian noch mal auf, etwas Essbares zu besorgen. Ich war dabei die Decke über das Stroh zu legen, als er zurückkam. Mit reicher Ausbeute und verschmiertem Gesicht.
„Du hast da etwas“, lachte ich und rieb ihm, mit dem Zeigefinger sacht am Mundwinkel entlang.
„Oh. Vermutlich von den Brombeeren.“
Er ließ sich aufs Strohlager fallen, sodass der ganze Boden bebte.
„Ups, war wohl nicht so schlau“, stellte er fest. „Wer weiß, wie stabil der Boden noch ist.“
„Äh, ja, ich möchte nur ungern durch den Boden fallen“, erwiderte ich und wich argwöhnisch an den Rand des Bodens zurück.
Unser Mahl war köstlich. Ian hatte einen Teil seines Kilts gerafft und darin Brombeeren, Himbeeren und Äpfel gesammelt, die wir nun genüsslich vertilgten.
„Hmm, das war sehr gut, mein Jäger und Sammler“, lobte ich ihn und er schenkte mir ein verschmitztes Grinsen. „Ja, das war es. Dennoch könnte ich glatt noch ein ganzes Schwein verdrücken.“
„Oh ja, oder ein Hühnchen mit gebratenen Kartoffeln und ...“
„Wirst du wohl still sein!“ Ian sah mich pikiert an. „Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Lass uns besser nicht übers Essen reden, ja!“
Zur Antwort knurrte mein Magen.
„Du hast recht, Ian. Mir fallen sowieso die Augen zu. Ich kippe gleich um.“
Er nickte. „Eigentlich sollten wir abwechselnd Wache halten, aber das schaffen wir beide nicht mehr. Wir ziehen die Leiter hoch, das muss reichen!“
Ich ließ mich rückwärts aufs Strohlager fallen, Ian legte sich neben mich und öffnete seinen Kilt.
„Was tust du, Ian?“, säuselte ich im Halbschlaf.
„Ich schlafe im Hemd und decke uns mit meinem Kilt zu.“
„Prima!“, erwiderte ich.
Es spielte keine Rolle, da ich keine Kraft mehr hatte, mir Gedanken zu machen. Wir lagen dicht beieinander, Ian halb nackt und ich saft- und kraftlos. Kein Platz für Scham und falsche Gedanken, nur unendliche Müdigkeit.
Wir fielen beide sofort in einen tiefen Schlaf. Traumfetzen stiegen in mir hoch und zerfielen, kurz bevor ich sie fassen konnte. Erinnerungen, die im Traum an die Oberfläche drangen und am Morgen unwiederbringlich verloren waren. Eine blonde Frau rief mir etwas zu, das ich partout nicht verstand. Ein Strudel aus Farben, Lärm und Schmerz, verschluckte mich. Die schreckliche Stimme zischte ununterbrochen, dass ich sterben würde. Moorguhls, deren Klauen und Zungen nach mir griffen und Sam, mein kleiner braunhaariger Engel, der ängstlich schrie: Mummy, du hast gesagt, Monster gibt es gar nicht! Lieber Gott wie sehr ich mich geirrt hatte!
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