„Falls du meinst, dass wir im Dunkeln tappen, nein, das ist mir nicht entgangen. Diese Insel ähnelt Skye und auch wieder nicht. Ich hoffe, dass der Überweg oder zumindest die kurze Meerespassage noch existiert und da gehen wir rüber. Wenn’s sein muss, schwimmen wir!“
„Weißt du, ich habe die Nase voll. Ich habe Durst und meine Füße tun weh und ...“
Ian unterbrach mich und hielt mich an der Hand zurück. „Psst! Riechst du es auch?“, flüsterte er.
Und das tat ich in der Tat. „Heilige Maria, Ian! Was, wo...“ Meine Stimme brach und hätte Ian mir nicht geistesgegenwärtig den Mund zugehalten, hätte ich vor Entsetzen laut geschrien.
Wir hatten die Anhöhe vor Dunvegan Castle erreicht und uns bot sich ein Bild des Schreckens. Wo sonst ein schöner Ausblick Touristenmassen anlockte, war nur noch die Ruine von Dunvegan Castle zu sehen und in dieser Ruine leuchteten an die hundert Lichter. Es waren die Augen der Moorguhls, die wie Glühwürmchen umherschwebten. Ihr Gestank nahm uns den Atem.
Ian hielt prüfend den nassen Finger in die Luft. „Gut, der Wind kommt von ihrer Seite. Bete, dass er nicht dreht, und lass uns ganz schnell abhauen!“
Der Ernst in seiner Stimme erschütterte mich bis ins Mark und ich konnte nur nicken. Er nahm sanft, aber bestimmt, meine Hand und wir begannen so schnell und so leise wie möglich zu rennen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich klammerte mich, so fest es nur ging, an Ians Hand.
In meinem Kopf jubilierte erneut eine fremde Stimme: Du kannst laufen, so schnell du willst, Prinzeschen. Sie werden euch dennoch kriegen. Euer Schicksal steht längst fest!
Ängstlich biss ich die Zähne zusammen. Ian schien von dieser Stimme nichts mitzubekommen. Nach einer Weile bekam ich Seitenstechen und ich fragte mich, wie lange ich dieses mörderische Tempo noch durchhalten konnte. Es kam mir vor, als wären wir Stunden unterwegs gewesen, als Ian endlich langsamer wurde und eine Pause einlegte.
„Puh“, sagte er außer Atem. „Wir schlagen uns nach Kyleakin durch, dort gab es schon immer eine Furt. Wenn nicht, wie gesagt, dann schwimmen wir.“
Mein Blick ging zum Himmel, wo tausend Sterne blinkten.
„Schön, nicht? Wenigstens haben wir Vollmond. Wir schaffen es, Isa, ganz sicher!“, sagte er und drückte mir dabei ermutigend die Hand
Die Vegetation war herrlich. Keine Abgase, kein Smog, die Luft roch frisch, der einzige Lärm kam von uns. Um uns herum gaben die Nachttiere ein Konzert und selbst die Sterne kamen mir zahlreicher vor als sonst. Ian lief langsamer, als nehme er Rücksicht auf mich. Nun gut, ich musste ja auch für jeden Schritt von ihm zwei eigene machen!
„Ian?“
„Hmm?“
„Glaubst du, wir sind, na ja, in einer anderen Zeit oder Welt? Nein, sag nichts. Ich weiß, es hört sich total verrückt an! Aber es ist alles so anders und wo sind die Menschen?“ Ich musste Luft holen, so schnell hatte ich geredet.
„Aye! Der Gedanke kam mir auch schon und ich befürchte fast, eine andere Erklärung gibt es nicht.“ Er seufzte laut und voller Inbrunst. „Wir müssten längst die Hauptstraße passiert haben. Ich frage mich, ob es hier überhaupt Menschen gibt. Gegeben hat es sie, das steht außer Frage. Es gibt überall Mauern und Ruinen. Nur gibt es sie auch jetzt, in dieser Zeit?“
„Laufen wir einfach weiter, ja!“, flüsterte ich.
„Ja, das ist wohl das Beste im Moment, du hast recht!“
Wir liefen und liefen, bis wir in der Nähe von Kyleakin auf einen schmalen Übergang trafen. Was so viel hieß wie: Wir sahen zumindest das andere Ufer. Die Morgendämmerung setzte langsam ein und die Natur erwachte um uns herum. Die ganze Nacht waren wir ohne große Pausen gelaufen, wir hatten kein Essen und was viel schlimmer war: auch nichts zum Trinken.
„Setz dich hin und komm ja nicht auf die Idee ...“ Er zeigte auf das Wasser.
Tja, ich konnte noch nie einen Gedanken für mich behalten. Ian konnte es mir also auch vom Gesicht ablesen. Mist. Als wenn ich nicht wüsste, dass Salzwasser nicht trinkbar war. Klar wusste ich es, nur war ich vor allem eins: durstig, sehr durstig!
Er schien keine Antwort zu erwarten, also nickte ich nur ergeben. Während ich dasaß und nur vor mich hin starrte, lief Ian suchend am Ufer entlang und murmelte Unverständliches vor sich hin.
„Was suchst du eigentlich, Ian?“, murmelte ich total entkräftet.
„Hm, ein Brett oder einen Baumstamm, ein Boot wäre das Beste. Aber nun ja, ein Brett oder ein Baumstamm tut es zur Not auch, denke ich.“
„Hä?“ Irgendjemand stand auf meiner Leitung. „Für was ... äh wofür?“
„Damit du nicht nass wirst, Sommersprosse.“
Klar, logisch, was sonst. „Ähm, Ian? Wieso soll ich nicht nass werden? Ich kann gut schwimmen.“
„Nein. Besser ich schwimme!“, sagte er mit einer Autorität, die keinen Widerspruch duldete.
„Mein Superheld!“, entfuhr es mir sarkastisch. Nun hatte ich seine volle Aufmerksamkeit.
Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich verärgert an. „Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du ein ganz schön stures und eigenwilliges Frauenzimmer bist?“
Allerdings, nur dachte ich nicht im Traum daran, das zuzugeben. „Nein du Obermacho. Schon mal etwas von Gleichberechtigung gehört?“, gab ich schnippisch zurück. Tatsächlich machte er sich über mich lustig. Ich konnte genau sehen, wie er sich das Lachen verkniff.
„Hm, also erstens bin ich zu groß und zweifelsohne zu schwer für einen Baumstamm oder ein Brett!“
„Zweifelsohne!“, pflichtete ich ihm bei.
„Dazu kommt: Das Wasser ist eisig kalt. Ich meine: Wirklich kalt und ihr Weiber friert doch andauernd.“ Mit zusammengekniffenen Augen fixierte er mich.
„Jaaaa“, gab ich kleinlaut zu.
„Drittens brauche ich warme Kleidung dort drüben!“ Er zeigte aufs andere Ufer. „Und in diesem Kleid kannst du sowieso nicht schwimmen.“ Er klang belustigt und ich merkte, wie ich rot anlief. Ganz zu schweigen, dass ich ernsthaft sauer war. „Zum Henker!“, giftete ich.
„Nicht so bald, hoffe ich“, kam die trockene Antwort.
Er schleppte einen alten, wie mir schien, ziemlich morschen Baumstamm an. Nur, dass es bei ihm fast aussah, als trüge er einen Zahnstocher. Okay. Übertrieben, aber es hatte den Anschein, als mache es ihm nicht das Geringste aus, als hätte er Kraft im Übermaß.
„Wohl im Zaubertrank gebadet“, murmelte ich leise.
„Was sagst du?“
„Ähm, nichts.“ Verflixt, er hatte tatsächlich auch noch Ohren wie ein Luchs.
Ian begegnete meinem skeptischen Blick. „Keine Sorge. Der trägt dich und wenn nicht, kommst du doch noch zum Schwimmen.“
Das sollte wohl aufmunternd gemeint sein.
„Es wird wirklich Zeit. Ich wäre gerne am anderen Ufer, bevor es richtig hell wird. Zu gut sichtbar!“, fügte er meinem fragenden Blick hinzu.
Mit einem lauten `Platsch´ warf er den Stamm ins Wasser und sah mich an. „Mmpf, würdest du ...?“
„Hä?“
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