Mehrere Dinge passierten auf einmal. Ian, durch das Gefühl der Gefahr und die Stimme im Kopf mehr als beunruhigt, warf sich auf Isandora, die er gerade noch so an einem Zipfel ihres Kleides ausfindig machen konnte. Kälte und ein Rauschen empfingen ihn und dann war da nur noch Stille sowie das Gefühl von etwas Lauerndem.
Weder vor, noch hinter dem Torbogen war etwas zu sehen. Ich drehte und wendete mich. Nichts. Gar nichts! Ich fühlte eine unendliche Leere in mir und die Trauer um Sam übermannte mich mit ganzer Gewalt. Weder von meinem Sohn, noch von den Entführern, gab es eine Spur.
Auf dem Rückweg wurde mir plötzlich eiskalt und ein Rauschen wie von einer riesigen Welle erfasste mich. Wie aus dem Nichts wurde ich zu Boden geschleudert und ein Wahnsinnsgewicht drückte mich zu Boden. Eine Hand hielt mir den Mund zu und ich hatte Sand in den Augen. Lieber Gott, mir war speiübel!
Vergewaltigung. Überfall. Mord.
Mein Puls raste, während mich meine Angst sekundenlang völlig lähmte. Ganz zu schweigen von der Hand, die mir fast den Atem nahm. Ohne groß zu überlegen, biss ich zu. Wenn auch nicht kräftig genug, um viel Schaden anzurichten, da ich just im selben Moment ein Flüstern an meinem Ohr vernahm.
Ein durch die Zähne gepresster Schmerzlaut, gefolgt von einem entrüsteten „Aua, Daingead. Verfluchtes Weibsbild! Ich bin’s. Musste das sein? Du hast mich gebissen! Sch… noch mal, tut das weh!“
MacLeod, ich konnte es nicht fassen. Was bildete sich dieser Kerl ein? Ich begann mich zu wehren und stieß gedämpfte Protestlaute aus.„Mmmmpf!!!“
„Würdest du bitte aufhören, dich zu winden, wie ein Aal! Hörst du? Ich glaube, wir sind in Gefahr! Bitte, schrei nicht! Dann nehme ich meine Hand weg. Bitte nicke kurz, ja?“
Meine Angst hatte sich in Wut gewandelt. Glaubte dieser vermaledeite Schotte tatsächlich, ich würde auf so eine plumpe Anmache reinfallen? Ha! Wer meinte der Kerl eigentlich zu sein? Verfolgte mich, stürzte sich auf mich, erdrückte mich fast und im Mund hatte ich den Geschmack seines Blutes. Zum Teufel. Definitiv war ich keine Frau, die auf so was stand!
„Ian MacLeod, was glauben Sie eigentlich, was Sie da machen? Was soll das? Gehen Sie sofort von mir runter! Ich stehe nicht auf so etwas, verflixt noch mal!“, zischte ich, als er endlich die Hand von meinem Mund nahm.
„Nun, ich versuche, uns zu retten und das `du´ war mir ehrlich gesagt sympathischer!“
„Retten? Das ist wohl ein Witz! Darüber kann ich nicht lachen. Hier ist niemand, und Sie oder Du ist mir gerade scheißegal! Ich koche vor Wut und wenn du jetzt nicht auf der Stelle von mir runtergehst, kratze ich dir die Augen aus! Runter. Sofort!“
„Òinsich. Du hast mich gebissen!“
„Selbst schuld!“
„Ich würde ja gerne runtergehen, aber hier stimmt etwas ganz und gar nicht. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, mo rùn, ist es sehr bequem.“
Hatte ich mich verhört oder hatte er eben tatsächlich auf gälisch ‚Liebste‘ zu mir gesagt?
„Du Mistkerl! Was zum Teufel soll hier nicht stimmen? Und wieso flüstern wir?“ Ich trat um mich und begann mich wieder zu winden.
„Schsch, bitte bleib ruhig, Sommersprosse. Sag mir, wo der Nebel plötzlich hin ist? Und was ist mit der guten, soliden schottischen Treppe, mit dem rostigen Geländer? Du erinnerst dich? Sieh hin. Was siehst du?“ Er nickte mit dem Kinn in Richtung Felswand und Treppe.
Vorsichtig folgte ich seinem Blick und ... „Ach du großer …! Ian, wo ist das Geländer hin?“ Es war beim Abstieg noch da, denn ich konnte immer noch die Stelle spüren, an der ich mir einen kleinen Metallsplitter geholt hatte.
„Du siehst, beziehungsweise siehst sie auch nicht, die Treppe!“
Entsetzt sog ich den Atem ein. Dort, wo die Treppe nebst Geländer gewesen war, gab es zwar noch einen Aufgang, das konnten wir erkennen, aber eben nicht die Treppe mit Geländer, die dort hingehörte!
„Gut!“, stellte Ians rauchige Stimme an meinem Ohr fest.
„Was soll daran gut sein?“, konterte ich.
„Ich dachte schon, ich vertrage nichts mehr. Hm, du weißt schon.“
Und ob ich es wusste: Whisky! Das Wasser des Lebens. Oh, ja! Ich konnte mich dumpf daran erinnern ...
Ian zog plötzlich geräuschvoll die Luft durch die Nase und ich roch es auch: Ein ekelhafter Gestank wehte zu uns her. Meine Nackenhaare stellten sich auf und ich spürte, wie Ians Körper sich spannte wie ein Bogen.
„Ifrinn an Diabhuil! A Dhia, thoir cobhair!“, flüsterte Ian. Teufelshölle, Gott steh uns bei! Ja, das konnte sogar ich mit meinem wenigen Gälisch verstehen und es sorgte für Gänsehaut vor Angst.
Da war wieder diese seltsame Stimme in seinem Kopf. Ian biss die Zähne knirschend zusammen, so sehr irritierte ihn die ungewohnte Vibration.
Es sind zwei. Einer von links, einer von rechts. Neben dir im Sand sind ein Schwert und ein Dolch. Töte sie, oder sie töten euch !
Suchend sah er sich um. Doch er erblickte nur einen Turmfalken auf einem Felsvorsprung. Der Gestank wurde fast unerträglich. Er tastete neben sich die Sanddüne ab. Da sie in einer Kuhle lagen, waren sie von der Felsseite nicht auszumachen. Seine Hand ertastete Stahl. Er erahnte die Schärfe der Klinge mehr, als dass er sie fühlte und seine Hand grub sachte unter dem Sand weiter in Richtung Griff. Vorsichtig zog er das Schwert heraus.
„Was in drei Teufelsnamen tust du da, Ian?“
Er legte mir einen Dolch vor die Nase.
„Häh?“, fragte ich leise.
„Wenn ich jetzt sage, Isandora ...“
„Isa reicht, ich hasse meinen ...“
„Verdammt Weib, hör zu!“, unterbrach er mich barsch. „Frag nicht. Tu es einfach! Du läufst los, wenn ich jetzt sage. Du drehst dich nicht um! Verstanden?“ Sanft fügte er hinzu: „Bitte!“
Letztendlich war es dieses sanfte, verzweifelte „Bitte“, was mich dazu bewog, zu gehorchen. Seltsame Laute drangen zu uns, ein Schnalzen und ein antwortendes Knurren. Der Gestank ließ uns würgen. Ein Bild von verwesendem Fleisch und Aas ließ sich in meinem Kopf nieder. Igitt! Auf einmal ging alles sehr schnell.
Ian schrie: „Jetzt! Lauf mo rùn, lauf!“, sprang auf und schwang das Claymore Schwert über seinem Kopf.
Ich umklammerte den Dolch und rannte, so schnell es der Sand zuließ zum Aufgang. Hinter mir hörte ich Ian. „Hold fast! Hold fast!“ Der Schlachtruf der MacLeod. Er ächzte vor Anstrengung. So ein Schwertkampf ist ein immenser Kraftaufwand, so viel wusste ich.
Ein Quietschen und Knurren lag in der Luft.
Es war furchterregend. Als ich beim Aufgang ankam, drehte ich mich um und sah die Hölle auf Erden! Ein kaltes Entsetzen griff nach meinem Herzen und ließ mich fast zur Salzsäule erstarren. Ich kniff fest die Augen zu, in der Annahme einer optischen Täuschung.
„O Gott, was zur Hölle ...?“Mir versagte die Stimme.
Ian stand breitbeinig zwischen zwei echsenähnlichen Gestalten und schwang sein Schwert auf eine derart gekonnte Art und Weise, dass ich ihn einen Moment lang nur verblüfft anstarren konnte. Gehörte der Kampf mit antiken Claymore Schwertern zum Unterhaltungsprogramm von Dunvegean Castle? Himmel, woher konnte er das?
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