„Wie großzügig, Frau Wohltäterin! Aber den Profit stecken wir schon gemeinsam ein, nicht wahr? Schließlich hab’ ich dir den Auftrag verschafft ...”
„Welchen Profit von wessen Auftrag, Hannes? Lass den Hahn im Stall. Erstmal müssen wir vorankommen!”
Kurz darauf biegt sie auf die Hauptstraße nach Westen ein, von tansanischen Straßenbauern großspurig A7 getauft. Tatsächlich ist die A7 die nächsten fünfzehn Kilometer bis Kibaha theoretisch breit genug, um jeden liegen gebliebenen Lkw zu überholen. Doch nicht um diese Zeit. Überall wimmelt es vor Menschen, Bussen und Schwerlastern, die die Metropole ins Hinterland verlassen wollen. Dazwischen Pkws, Bajajs , rasende Daladalas , Fußgänger, Bodabodas und Fahrradfahrer.
Die stundenlange Fahrt aus der Stadt hinaus führt sie vorbei an labyrinthartig verzweigten „Neubauvierteln". Dar es Salaams ungebremstes Wachstum ist fast nirgendwo geplant. Großspurigen Ideen für Satellitenstädte, die Zigtausende der täglich ins Gewimmel ziehenden Neubürger beherbergen könnten, geht regelmäßig das Geld aus. So ähnelt nicht nur diese stadtauswärts führende Hauptverkehrsachse zunehmend einem geschwollenen Finger, in dessen Umkreis sich immer mehr Menschen ansiedeln, die verzweifelt nach ihrer Chance suchen. Auf engstem Grund errichten sie einfache Hütten, zwischen denen Kinder an offenen Kloaken Fangen spielen und die bei jedem größeren Regenfall weggeschwemmt zu werden drohen.
An einer baufälligen Hauswand prangt der Slogan „ Free education but nowhere to sleep ". „Da hinten hat es kürzlich eine großangelegte Räumung gegeben, weil die Stadtverwaltung plötzlich entdeckt hatte, wie gefährlich die Leute da leben”, erzählt Ambi. „Der Platz in ihrer Schule blieb den Kindern erhalten, Ersatzunterkünfte aber gab’s keine. Dabei lebten manche von denen sogar ganz legal auf ihrem eigenen Land.”
Ambi und Hannes passieren unzählige klapprige Unterstände von Kleinhändlern, dann wieder Fassaden flacher Geschäftsgebäude, Werkstätten, Kioske, Reifendienste, Klamottenläden, Möbeltischler, Schweißer, wieder Werkstätten und so fort. Die Luft steht, Abgase wabern bleiern über den Boden.
Hinter Kibaha wird die A7 für die nächsten 500 Kilometer bis Iringa zu einer gewöhnlichen zweispurigen Hauptverkehrsstraße mit jederzeit überraschend auftauchenden Baustellen, weggespültem Asphalt, Engstellen und tiefen Schlaglöchern. Während im Hinterland in den letzten Jahren viele erstklassig geteerte Verbindungsstraßen gebaut wurden und die jahrzehntelang auf Weltrekordniveau verharrenden Verkehrsopferzahlen drastisch senken halfen, könnte die wichtigste Überlandverbindung des Landes auf weiten Strecken dringend ein Facelift gebrauchen. Ambi und Hannes kommen nur langsam voran.
Nach fast zwei Stunden, als sie endlich auch die letzten Außenbezirke Dar es Salaams hinter sich gelassen haben, stauen sich am linken Fahrbahnrand kilometerweit die Laster vor der Wiegestation bei Vigwaza. Jeder Lkw muss hier beweisen, dass er seine Maut bezahlt hat und das zulässige Gesamtgewicht nicht überschreitet. Die fast ebenso zahlreichen Überland-Busse hingegen verstopfen die Hauptfahrspur und werden nach kurzen Kontrollen durchgewunken – eine willkommene Einnahmequelle korrupter Verkehrspolizisten. Pkws wie dem von Ambi droht hier nichts.
„Es gab Zeiten, da wurden wir alle paar Kilometer abkassiert!”, erregt sich Ambi.
„Hab’ ich auch mal erlebt, im Süden. Als ich hinter Petermann her war, zwischen Mtwara und Kilwa, fürchterlich ...”, stimmt Hannes ihr zu. „Zum Glück ist das vorbei, JPM hat Schluss gemacht damit! Oder hast du in letzter Zeit mal an Bullen was bezahlen müssen, Ambi?”
„Nee. Aber ob das nun allein unser gläubiger Präsident bewirkt hat, lassen wir mal dahingestellt. Bestochene Ärsche gibt es immer noch überall genug ... Und ob es so hilfreich ist, dass Überlandtransporte nicht mehr so oft kontrolliert werden, halte ich ja eher für fraglich. Hat doch kürzlich erst diesen schrecklichen Vorfall gegeben mit den fünfzehn erstickten Flüchtlingen im Laster aus Äthiopien, die nach Südafrika wollten. Der Fahrer konnte abhauen ...”
Seit Minuten schon fahren Sie mitten durch Sisalfelder. Weiter im Süden türmen sich graue Wolkenberge über den Uluguru Mountains, die die ersten Güsse der kleinen Regenzeit ankündigen. „Bald gibt’s Regen!”, freut sich Ambi, da überquert die Hauptstraße kurz vor Morogoro die brandneue, elektrifizierte Eisenbahnstrecke von Dar es Salaam nach Dodoma. Hier sollen demnächst mit 160 Sachen die ersten „Hochgeschwindigkeitszüge” südlich der Sahara verkehren. Der gigantische Bahndamm der neuen Strecke durchschneidet die Landschaft, soweit sich schauen lässt. „Wahnsinn, ausgerechnet bei uns! Eine elektrische Eisenbahn!”, jubelt Hannes.
„120 Jahre nach denen in der Schweiz und Italien ...”, kommentiert Ambi trocken.
„In Europa gab´s Elektrische schon vor 100 Jahren? Da herrschten hier ja noch die Deutschen!”
„Deren Bummelzüge die neue Bahn nun endlich ersetzen soll. So denn der Strom verlässlich fließt. Einspurig ins nächste Jahrtausend. Sind ja kaum noch 80 Jahre ...”
„Woher weißt du sowas nur?” Ambis Allwissenheit fasziniert Hannes mindestens genauso wie ihr Aussehen.
„Mal was vom Internet gehört? Google, Hannes? Als Journalistin befasse ich mich viel mit solchen Dingen, nachholende Entwicklung und so weiter. Angeblich sind wir ja mittlerweile zu einem Middle-Income- Land aufgestiegen und wechseln gerade ins Lager der industrialisierten Länder. Siehst du irgendwo was davon?”
„Eher nicht so. Jens hat mir mal Bilder aus Deutschland von der Ruhr und vom Hamburger Hafen geschickt. Da fehlt uns noch einiges, klar.”
Ambi erwidert: „Immerhin haben wir Erdgas, Kohle, Gold, Uran. Klingt doch vielversprechend. Absolut nachhaltig.” Solch ein Sarkasmus ist Hannes nicht geläufig. Hinter Morogoro hat er erstmals das Steuer übernommen. Gerade hatte er mit über hundert Sachen bergauf zwei Laster hintereinander überholt, um haarscharf vor dem nächsten links einzuscheren. Er muss sich auf die Straße konzentrieren.
Je weiter sich die beiden von der Küste entfernen, desto frischer wird die Luft. Die Straße wird mittlerweile gesäumt von beigen, offenen Savannen mit mittendrin verstreuten Schirmakazien, meterhohen Termitenhügeln und ausladenden Affenbrotbäumen. Keine hundert Meter vor dem recht flott fließenden Verkehr quert plötzlich eine Herde Zebras die Straße.
„Langsam, Hannes!”, warnt Ambi. „Haste das Schild nicht gesehen? Mikumi! Nationalpark! Tiere haben Vorfahrt!”
„Soll das heißen, da kommen noch mehr?”
„Kann sein. Du sollst hier nicht so rasen. Oder willst du in ´nen Elefanten knallen?”
Wie zum Beweis tauchen hinter den Zebras riesenhaft drei ausgewachsene Giraffenbullen auf. Von keiner Hast getrieben, wechseln auch sie gemächlich die Straßenseite. Hannes, der von der ungewöhnlichen Koexistenz zwischen Überlandverkehr und Naturschutz noch nie etwas gehört hat, ereifert sich: „Eine kontinentale Hauptverkehrsachse mitten in der Wildnis, wo gibt es denn sowas!”
„Na, vielleicht ja auch bald bei dir da oben in der Serengeti!”, belehrt ihn seine Mitfahrerin schonungslos.
„Quatsch, man kann doch keine Straße quer durch die Wanderwege von Millionen Gnus bauen. Niemand will das!”
„Stimmt nicht. Ich wette, sogar einige Massai-Chefs haben sich da längst für erwärmen lassen. Warm entschädigt, versteht sich. Und wenn dein geliebter JPM das in seiner zweiten Amtszeit wirklich anleiert, gibt´s kein Halten mehr.”
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