Dass Körners Geliebte, diese umwerfende Frau aus Ukerewe, die der Detektiv bei seinem letzten Abenteuer mit Petermann am Victoriasee von weitem mehr als bewundert hatte, heute in Dar es Salaam lebte, wusste er zwar, nicht aber, was sie hier trieb. War glatt einen Kopf größer als er, doch wen stört das heutzutage noch?
„Warum ist die denn nicht mit ihrem deutschen Lover in den den Norden ausgewandert? Hätte es da doch viel besser, oder?”
„Quatsch, Neffe! Du würdest doch auch nicht Moshi gegen den Nordpol tauschen! Nicht fürs Geld. Ich bitte dich, eine Tansanierin flüchtet nicht! Erst recht nicht in den Schoß eines flatterhaften Romeos.”
„Da oben wird es auch allmählich wärmer, oder?”, flicht Leonardo beruhigend ein.
„Wo? In Moshi? Da wird´s höchstens nasser!” Hannes liebt seine Heimat, aber die Erderwärmung, von der alle reden, macht ihm tatsächlich Sorgen. Überschwemmt werden in seiner komfortablen Lehmhütte, die er im trauten Rund der Familie Wabaye bewohnt? Könnte passieren, wenn Gletscher, Eis und Schnee des Kilimanjaro auf einmal schmelzen. Gigantöse Sturzbäche in der Regenzeit sind längst die Regel. Und Hannes hat nie schwimmen gelernt.
„Bleibt doch mal bei der Sache, Jungs. Ihr Lover, dieser Körner, hat Ambi verarscht, hat mit ihren Stories Karriere gemacht. Sind aber wohl noch locker in Kontakt, die beiden. Ambi jedenfalls hat´s auch geschafft und arbeitet jetzt für den East African , die Wochenzeitung aus Kenia. Steht da ziemlich unter Druck. Muss dauernd was Besonderes aufreißen.”
Hannes ist angetan. „Gib mir gern mal ihre Nummer, Tantchen!” So landete Ambi Maregesi auf Hannes Notizzettel für Freitag, den 13. Februar.
Der Vormittag war zum Vergessen. Leonardo hatte Hannes noch einmal kostenlos mit in die Stadt genommen. Seither fährt der Detektiv erfolglos von einer Redaktion zu nächsten. Zuerst war er bei der Daily News im Stadtzentrum aufgeschlagen, der englischsprachigen Staatszeitung seit anno dazumal. Wenn es irgendwelche national bedeutsamen Meldungen über die Mlakizi Foundation gegeben haben sollte, dann würden sie die Regierungsblätter kaum ignoriert haben.
Dort hatte man ihn tatsächlich ins „Archiv” gelassen, das aus tausenden staubigen Haufen ungeordneter Papierstapel des kolonialen Standards , der heutigen Daily und Sunday News und ihres Kiswahili-Schwesterblatts Habari Leo bestand. Ohne irgendeinen Anhaltspunkt, wann oder mit welchem Thema Mlakizi jemals erwähnt worden sein könnte, war er hier verloren und schnell wieder verschwunden. Eine freundliche Archivarin war bereit gewesen, einmal in den Computer zu schauen und „Mlakizi” durch die Suchmaske der beiden wichtigsten Zeitungen des Landes zu jagen. Ohne Treffer. Allerdings wurden die, wie sie ihm bedauernd mitteilte, nur lückenhaft, auch erst seit ein paar Jahren elektronisch archiviert. Und lasen sich stinklangweilig, wie Hannes wusste.
Er fragte noch nach einem Redakteur „für Familienthemen”, beschleunigte damit jedoch nur seinen freundlichen Rauswurf. „In die Redaktion kann ich Sie leider nicht lassen, da wird ja an den Themen von morgen gearbeitet, da darf niemand kiebitzen ...” Wahrscheinlich war Hannes einfach zu früh aufgetaucht und von den Schreiberlingen befand sich noch niemand im Haus.
Nächste Station war die IPP Media Group in Mikocheni, die den weniger regierungshörigen Guardian und dessen Kiwahili-Schwester Nipashe verlegt. Der Bajaj -Fahrer, der in der Innenstadt eigentlich nichts zu suchen hatte und gar keine Fahrgäste aufnehmen durfte, hatte für die Fahrt quer durch die Stadt 12.000 Shilling verlangt, eine Unverschämtheit! Als wäre Hannes ein M zungu oder wenigstens Tourist! Aus Wut hatte der Detektiv sich wie gestern zur nächstbesten Station des Schnellbussystems durchgefragt und von dessen Endstation Morocco aus ein Daladala genommen. Und damit fast 11.000 Shilling gespart. Doch auch bei der IPP Group war Hannes keinen Schritt weiter gekommen.
Als letztes nimmt er sich die Nation Media Group weit draußen in Tabata an der Nelson Mandela Road vor. Diesmal lassen sich 15.000 Shilling fürs Bajaj nicht vermeiden. Im „Haus des Bürgers”, wie das Medienunternehmen sein Verlagsgebäude nennt, erscheinen an sieben Tagen die Woche die unabhängigen Tageszeitungen The Citizen und Mwananchi . Gleichzeitig beherbergt es auch die tansanische Außenstelle des East African , der Wochenzeitung, für die Ambi arbeitet. Ihr internationales Renommee und der Erscheinungsort Nairobi im Nachbarland Kenia gewährt der Redaktion zuweilen eine Freiheit, die für tansanische Verhältnisse ungehörig anmutet.
Von der Nation Group aus will Hannes später direkt zum Flughafen fahren, um den Abendflug zurück nach Moshi zu erreichen. Um halb vier hat er sich hier mit Ambi verabredet. In den Stunden davor wird er zwar überall zuvorkommend behandelt – „Ein Detektiv aus Moshi? Das ist ja mal was! Hatten wir hier noch nie! Wusste gar nicht, dass es diesen Beruf in Tansania gibt! Haben wir das denn nötig? Klären Sie etwa Morde auf?” –, erhält allerdings weder von Archivaren noch von irgendeinem der mittlerweile eingetroffenen Journalisten auch nur den kleinsten Hinweis. Niemand weit und breit, der je etwas von Mlakizi gehört hat.
Hinter dem weitläufigen Hof des Nation-Geländes liegt eines dieser gewöhnlich ausgetrockneten Flussläufe, die Dar es Salaam durchziehen. In der Regenzeit ertränken deren verdreckte Wassermassen regelmäßig arme Leute, die sich in ihrer Not ausgerechnet hier niedergelassen haben. Nach stundenlangen Wolkenbrüchen ist dann die halbe Stadt überschwemmt, unzählige Wege, Häuser und Läden blockiert. Ohne diese Fluten allerdings würden die Flussbetten zu gigantischen Müllhalden, die nie geleert werden. Jeder Guss schwemmt den Müll früher oder später ins Meer. Heute ist es zum Glück trocken.
Am nördlichen Rand des Tals schlängelt sich eine heruntergekommene Vorortbahn durchs Gelände, die hier die viel befahrene, vierspurige Nelson Mandela Road quert. Das blockiert dann morgens und abends jeweils für eine Viertelstunde den gesamten Verkehr. Direkt davor steht jeden Tag von neuem ein fahrender Mandazi -Händler, bei dem sich Ambi mit Hannes verabredet hat. „Lieber nicht drinnen oder auf dem Nation-Gelände, da hören mir zu viele mit!”, hatte sie gesagt, ohne dass sich Hannes erschlossen hätte, was daran denn schädlich wäre. Eben erst war er doch noch oben bei den Redakteuren der Mwananchi gewesen und hätte am liebsten mitten auf die morgige Titelseite die Schlagzeile „Wer weiß was über Mlakizi?” drucken lassen. So frustriert war er nach den fast zwei Tagen, in denen er ergebnislos von einem Termin zum nächsten gepest war.
Als die hoch gewachsene Ambi um die Ecke schreitet, wie immer mit dem Hut zuerst, treten alle Männer in der kleinen Schlange, die sich vor dem Händler mit seinen süßen Teigbällchen gebildet hat, instinktiv ein Stück zur Seite. Auch Hannes, der seit einer Viertelstunde auf sie wartet. „Ladys First!”, murmelt ein älterer Herr hinter ihm, bei dem sich Ambi mit einem Nicken bedankt, „ Asante sana, mzee !” Die sportliche Frau mit dem gebieterischen Auftreten scheint es gewohnt zu sein, bevorzugt bedient zu werden. „ Chai , Sukari mara tatu na Mandazi mbili , tafathani !” Dreifach gesüßter Milchtee mit zwei fetten Donuts! Dann erst sieht sie sich um und erkennt Hannes unter den anderen.
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