1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Am Wasser selbst reiht sich Baustelle an Baustelle. Als Treffpunkt mit seinem ersten Kontaktmann, einen Freund aus dem Gesundheitsministerium, hat Hannes einen der letzten unverwechselbaren Orte ausgemacht: das flache, stets von Reisenden belagerte Fährterminal für die Schiffe nach Sansibar.
In Gedanken geht der Detektiv seine Termine und die wichtigsten Fragen durch: Kennt jemand auf höherer Ebene dieses Waisenhaus? Wer steckt hinter der Mlakizi-Stiftung? Hat die irgendwelche Leichen im Keller?
Am Ende des ersten Recherchetages in der großen Stadt jedoch ist er keinen Schritt vorangekommen. Sein Freund aus dem Ministerium, dessen Haus auch für Frauen, Kinder und Erziehung zuständig ist, hatte nachgeschaut und ihm versichert, dass rund um Mlakizi nirgends ein Waisenheim registriert sei, auch keine Stiftung. „Das hat allerdings nichts zu bedeuten”, hatte er ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut. „Ein Waisenhaus aufmachen kann hier jeder wie er will. Hauptsache, die Betreiber stellen sich mit den lokalen Behörden gut und halten sich ihren DCDO warm. Dann überwacht sie niemand. Vor Ort weiß sowieso kaum jemand, wer dafür zuständig ist.”
Danach hatte der Detektiv sich zu Fuß quer durch die Innenstadt zu weiteren Ministerien aufgemacht. Vorbei an vergitterten, vom Art Déco inspirierten Gebäuden der ehemals indischen Händler, die Airtime fürs Handy, Matratzen, Haushaltswaren oder farbenprächtige Stoffe feilbieten, durch Möbelläden unter freiem Himmel, deren ausgestellte Sofas den Gehweg versperren, vorbei auch an lockenden Imbissbuden, vor denen Plasmafernseher zum Fußballgucken einladen, hatte er schließlich bei einem Straßenhändler einen Zuckerrohrsaft und ein paar Jackfrucht-Chips erstanden. Mehrmals war er von jungen Bodaboda -Fahrern angebaggert worden, die sich lässig auf ihren Motorrädern fläzten und anboten, ihn um die Ecke zu bringen. Vielen Dank auch. Die feuchtsatte Luft allerdings begann zu nerven. Genuss versprechende Düfte gegrillten Fleischs vermischten sich mit dem salzigen Geruch des Meeres, dem Gestank von Abgasen und verbrennendem Müll. Dann endlich stand Hannes wieder in einem klimatisierten Büro.
Bis zum frühen Nachmittag hatte der Detektiv so drei weitere Regierungsleute abgeklappert, darunter sogar eine Staatssekretärin im berüchtigten Ministerium des Inneren. Überraschenderweise hatten alle ihn freundlich empfangen, aber zu seinen Fragen wusste niemand etwas beizutragen. Selbst der kurze Anstands-Besuch bei Salmin Kolimba, dem alten Kumpel seines Vaters und selbsternannten Schieberboss der großen Stadt, hatte nichts gebracht. Mlakizi? War auch ihm kein Begriff. Sprach das nun für oder gegen den Laden? Lebte das Waisenheim etwa gezielt unter dem Radar? Oder war die Stiftung schlicht zu unbedeutend, um irgendwo gelistet zu werden?
Bevor der Detektiv ergebnislos zu seiner Tante zurückfahren mochte, setzte er sich kurzentschlossen in einen der neuen Schnellbusse zum Morocco Bus Stand. Von dort war es mit dem Daladala nicht mehr weit zu den Lokalbüros einiger landesweit operierender NGOs, die vielleicht etwas wissen würden. Drei schaffte er noch. Doch weder beim Kinderhilfswerk noch im World-Vision-Büro noch bei der Tumaini Hope Association hatte man je etwas von einem Waisenheim am Songwe gehört.
Am Abend bespricht der frustrierte Detektiv mit Honorata und Leonardo seine weitere Strategie. „Als wenn Waisen in Tansania gar nicht vorkommen! Die müssen doch irgendwo erfasst sein, oder?”, sinniert er vor dem verliebten Pärchen, bei dem er auf dem Feldbett schlafen darf.
„Ach Neffe, was weißt du schon?”, wirft Honni ein. „Da streunen Hunderttausende von rum im Land, als Straßenkind oder auch betreut von Geschwistern, Tanten, Onkels, Omas, Opas. Das reicht von totaler Vernachlässigung über Missbrauch bis zum fürsorglichen Bemuttern, ist alles mit dabei. Wusstest du, dass überhaupt nur jedes fünfte Neugeborene bei uns registriert wird?”
„Du weißt ja wieder mal alles! Danke, Tante. Diese Mlakizi- Stiftung jedenfalls kennt niemand. Wenn ich morgen auch bei den Zeitungen nichts Greifbares erfahre, stehe ich vor Petermann mit leeren Händen da. Dann hat der seine 600 Dollar umsonst verbraten. Irgendwie komme ich mir da schäbig vor ...”
„Hannes, sei nicht so überanständig! Das hast du ihm doch vorhergesagt. Dann musst du eben genug Geld rausschlagen, damit du da runter fahren kannst.” Honni, die gerade einen Haufen Samosas mit Schweinehack und Erbsen füllt und für alle frittiert, ist in ihrem Element. Hannes hatte Tomaten und Bier beigesteuert. „Wer bereit ist, einen Haufen Kohle auszugeben, nur um zu wissen, ob noch viel mehr Geld in den richtigen Händen landet, der setzt auch noch größere Summen ein, um sich sicher zu fühlen.”
Derart kummulative Sätze brachte nur Honni zustande. Doch war das wirklich so? So viel Geld für irgendeine abstrakte Sicherheit? Wie viel mochte den Deutschen eine belastbare Auskunft am Ende tatsächlich wert sein? Worum ging es hier wirklich? Hannes beschlichen zunehmend Zweifel.
Beim Essen holt Honorata ihn zurück in die Gegenwart. „Wir werden hier bald wieder ausziehen!”, verkündet sie ihrem Neffen stolz.
Der spießt die Nachricht gerne auf. „Doch nicht in dieses Absturzhaus, von dem du mir letzte Woche erzählt hast?”
Zum ersten Mal mischt sich jetzt auch Leonardo ein. „Honney hat ihr Apartment unten an der Old Bagamoyo Road gewinnbringend verkauft. Schade irgendwie, immerhin habe ich sie da kennen und lieben gelernt! Du weißt sicher: Sie ist gut in solchen Dingen. Ist natürlich auch gut für uns, sonst würden wir uns diese Bude hier gar nicht leisten können.”
„Hast du dich nicht gewundert,” übernimmt wieder Honni das Gespräch, „in was für einer schmucken Wohnung du bei uns gelandet bist? Für einen Taxifahrer doch viel zu teuer! Diese Zweizimmer-Hütte hier” – mit beiden Händen ausholend umrundet sie einmal die vollen 40 Quadratmeter – „kostet 700.000 im Monat, stell dir das mal vor! Ist gar nicht übermäßig teuer, aber der Besitzer hat eine Jahresmiete ,Vorschuss´ verlangt ...”
„Fast zehn Millionen Shilling?” Zufrieden mit sich, dass er die Summe so schnell hat hochrechnen können, fährt Hannes fort: „Die kriegt ihr doch nie zurück ... Habt ihr denn was Besseres in Aussicht?”
„Ja,” bestätigt Leonardo, „drei Zimmer, Küche, Bad, in einem solide gebauten Hochhaus in Kariakoo, super Lage! Mitten im Markt. Mit ´nem eigenem Stück Dachgarten obendrauf! Soll hundert Mille kosten, haben wir fast zusammen. Da käme der Scheiß-Vorschuss natürlich gerade recht.”
Auch Honorata, die Frau vom Fach, ist ärgerlich. „Ich hab’ mich bei ’nem Anwalt erkundigt – aufm Rechtsweg wird es Jahre dauern, bis wir das Geld vielleicht zurückbekommen. Das kann mehr kosten als bringen. Lerne: Lebe lieber nicht zur Miete!” Dann aber wechselt sie abrupt das Thema und kommt auf den Grund von Hannes Besuch zurück. „Schade, dass wir die Härtlings, diese Schweinebacken, nicht mehr fragen können.”
„Die kriegen eins auf die Zwölf, wenn die mir begegnen, jeder und jede einzeln!”, spuckt Leonardo, eben noch lammfromm, dazwischen.
„Was hast du denn gegen die?”, will Hannes wissen.
Honorata ignoriert ihn und legt stattdessen ihrem Leonardo besänftigend die Hand auf den Arm. „Übernimm dich nicht, mein Liebster! Der Sack, dieser Karsten, war garantiert bei irgendeiner Spezialeinheit, bevor er Chef von einer so wichtigen Sicherheitsfirma wurde! Da landest du erst im Hospital und danach im Knast. – Aber du, Hannes, bevor du unverrichteter Dinge zurückfliegst: Frag doch vielleicht auch Ambi! Wo du sowieso zu den Zeitungen willst!”
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