„Hast du dich ein einziges Mal gut unterhalten in so einem Schuppen? Unter all den Jerks ?” Das war Christine, zuständig für deftige Sprache. Wie Honorata ist auch sie engagiert in der Lokalgruppe der TASUWORI, einer NGO gegen häusliche Gewalt und Frauenhandel. „Können sich ja sowieso nur Schlampen leisten, so ein Wabenzi -Meeting.”
„Vorsicht!”, warnt Nyanjige.
„Kaum biste draußen, lauern dir die Säcke dann zuhause auf!”, ereifert sich jetzt auch Rhobi. „Viel zu viele Frauen erleben Gewalt bei uns! Lebst du allein mit den Kindern in einer schlechten Gegend, kannst du abends, wenn du von der Arbeit kommst, sicher sein, von besoffenen Kerlen belästigt, angemacht oder gar vergewaltigt zu werden. Die lungern überall herum. Gegen deren Übergriffe hast du keine Chance! Nyanjige, hast du nicht gerade erst sowas erlebt?”
Die Angesprochene, die sich gerade noch zurückhielt, braust auf: „Nicht mir, aber einer Freundin ist das schon mehrmals passiert. Jede Vergewaltigung ein neues Trauma. Jedes Mal auch die Angst, dass der Wichser sie mit Aids infiziert haben könnte. Warum sie nicht zur Polizei geht? Die Bullen würden doch gleich weitermachen!”
„Immerhin gibt´s auf den meisten Wachen heute abgetrennte Räume und weibliche Sergeanten”, will Rhobi besänftigen. Als Sekretärin der ewigen Regierungspartei CCM in ihrem Viertel ist sie stets auf staatstragenden Ausgleich bedacht.
„Mädels, lasst mal kurz den Männerhass. Gibt ja auch ein paar nette, oder?” Demonstrativ tätschelt Honorata ihrem Fahrer den Hals. Unbequem, doch liebevoll nah hat sie auf dem Schalttunnel von Leonardos alterndem Mitsubishi Platz gefunden, links neben ihr die lange Ambi. Hinten quetschen Christine, Rhobi und Nyanjige ihre wohlproportionierten Hüften aneinander.
„Heute hat mich Hannes, mein Neffe aus Moshi angerufen. Hannes, der Schnüffler”, platzt es aus Honorata jetzt heraus. Mit „Schnüffler” hat sie die Aufmerksamkeit der anderen sicher, selbst Leonardo schaut erstaunt nach links. „Der hat mal wieder einen Auftrag von seinem deutschen Bekannten gekriegt. Diesem Typen, mit dem er vor ein paar Jahren den Skandal um die Bukoba-Fähre aufgedeckt hat ...”
„Hallo? Ohne mich hätten die da gar nichts aufgedeckt!”, mischt sich nun auch Ambi ein, deren Berichterstattung damals zum Sturz einer Staatssekretärin und anderer hoher Regierungsbeamter geführt hatte. Ihre Reportagen über die Affäre hatten international Aufsehen erregt und ihr einen Karrieresprung zum East African verschafft, für den sie mittlerweile seit einem guten Jahr arbeitet. Nicht länger versteckt in der Provinz, sondern in Dar es Salaam, Tansanias kommerzieller Hauptstadt. Wo sie natürlich bald auch Honorata getroffen hatte, mit der sie sich auf Anhieb blendend verstand.
Mag die Millionenmetropole Dar noch so viele Bewohner haben: Über drei Ecken miteinander Bekannte finden sich hier immer. Egal, ob sie sich brauchen, mögen oder hassen. Honorata Rwebusoya war nicht umsonst die Tante von Hannes Wabaye aus Moshi, der als Adlatus damals diesen Hamburger Jens Petermann bei der Suche nach dessen Schulfreund begleitet hatte, Ambis halbseidenen Ex-Geliebten Gerd – also gehörte Honni, wie alle sie nennen, fast zu Ambis Familie. Da lag das Kennenlernen nahe. Und jetzt Ambis Frage:
„Was will der Deutsche denn diesmal von deinem Hannes?”
„Oh, er hat eine ganz banale Frage. Ob irgend so ein Waisenhaus bei uns im Süden ehrlich arbeitet.”
„Ob die Kinder da gut aufgehoben, sicher sind?”, regt sich sofort Rhobi auf. „Das nennst du banal? Rassistisch ist das! Hängt doch bestimmt mit diesen scheiß Kindermorden bei Njombe zusammen! Zeigt den Wazungu mal wieder, wie wahnsinnig und unfähig wir alle hier sind! Dabei hat die Polizei schon 65 Hexer verhaftet! Fünfundsechzig!”
„Die Geschichte da unten in Njombe stinkt trotzdem zum Himmel, ich bin da dran, Rhobi! Aber nun lass Honni doch erst mal erzählen!” Das war wieder Ambi. Die beiden würden keine Freundinnen je werden. Dafür war Ambis Beruf einfach zu weit entfernt von regierungsfrommer Rhetorik. Im abgelegenen Mwanza am Victoriasee, wo Ambi zwanzig Jahre lang Radio gemacht hatte, war sie berüchtigt gewesen für ihre Furchtlosigkeit beim Befragen hochgestellter Funktionäre und Sicherheitsleute. Als Reporterin des East African , einer Wochenzeitung, die sich nicht immer mit Verlautbarungskram zufriedengibt, nahm sie sich diese Freiheit heute erst recht heraus. In Dar allerdings hatte sie schnell gelernt, dass die Sitten hier rauer waren. Diese Stadt, seit nahezu fünfzig Jahren 500 Kilometer weit weg von der offiziellen Hauptstadt, doch immer noch die bei weitem größte und wirtschaftlich mit Abstand bedeutendste Metropole im Land, beherbergte nach wie vor fast sämtliche Regierungsvertreter und so auch den größten Staatssicherheitsapparat des Landes. Da bleibt wenig unbemerkt.
Als Leonardo Nvanjige vor ihrem Haus in der Manara Street aussteigen lässt, ist die Stimmung unter den Frauen auf dem Tiefpunkt. Beim Weiterfahren greift Honorata dann Ambis Aufforderung auf und fährt mit ihrem Bericht fort. „Da gibt es gar nicht mehr viel zu erzählen. Hannes hat mir eine PDF des Prospekts vom Waisenheim geschickt. Nennt sich Mlakizi Foundation und wirbt mit der Zukunft. Der Deutsche, dieser Petermann, will wissen, ob die seriös sind.”
„Hat Hannes was gesagt, warum die in Deutschland daran zweifeln? Wo genau liegt dieses Mlakizi denn eigentlich?”
„Laut Google Maps wahrscheinlich irgendwo am Songwe, dem Grenzfluss zu Malawi. Hinter Tukuyu. Nee, zum Grund der Zweifel kein Wort bisher.”
„Das interessiert mich aber! Bin ja, wie gesagt, auch an den Njombe-Morden dran”, beharrt Ambi.
„Das liegt doch ganz woanders, mindestens einen Tag weit weg!”, wirft Rhobi ein.
Doch die Journalistin bleibt dran. „Egal, vielleicht lässt sich da was draus machen. – Honni, wir könnten doch auch Deinen Ex-Arbeitgeber bei Safety First, fragen ... Ob die vielleicht was über das Waisenhaus wissen?”
„Karsten Härtling? Lieber nicht, das kostet ...” Honorata hat keine angenehmen Erinnerungen an die Firma, für deren Chef sie jahrelang als Bürohilfe gearbeitet hat. Der Mann – einer der einflussreichsten Sicherheitsberater im Lande, der gut an der Hilfe mitverdiente, die Deutschland der tansanischen Polizei im Kampf gegen Terrorismus, Piraterie und organisierte Kriminalität zukommen lässt – hatte Honorata zusammen mit seiner Frau Anna jahrelang sexuelle Avancen gemacht. Anfangs hatte sie das ganz schmeichelhaft gefunden. Am Ende aber konnte sie sich der Anmache nur durch ihre Kündigung entziehen. „Solche Jobs gibt´s nicht nochmal!”, hatte Hannes damals gewarnt, dem sie nie erzählen mochte, was sich hinter den Wänden des Härtlingschen Hauses abspielte.
„Wenn das so ist ...”, sagt Ambi mitfühlend. „Ich kann ja auch meine Beziehungen spielen lassen ... Frag doch mal bei deinem Hannes nach, ob nicht vielleicht sogar ´ne Reise in den Süden drin wär´!”
Investigativen Journalismus, wie Ambi ihn aus europäischen Medien kennt, gibt es in ihrem Heimatland nicht wirklich. Sie aber fühlt sich davon angezogen. Normalerweise würde Ambis Chef ihr vor jeder Recherche empfehlen, sich von einem hohen Regierungsvertreter ein passendes Zitat zu besorgen, aus dem hervorgeht, dass die Recherche eine gute Idee ist. Darauf könne man sich später beziehen, wenn einem irgendwelche ominösen Gesetzesverstöße oder auch nur ein Verletzen „ethischer Normen” vorgeworfen werden. Wer sich nicht auf irgendeinen wichtigen Funktionär berufen kann, wird schnell von der einen oder anderen Lokalgröße abgebügelt und behindert. Fest steht: Ohne eine Empfehlung aus dem Innen- oder wenigstens Familienministerium würde der Redaktionsleiter ihr keine Reise in den Süden bezahlen, ganz gleich, wie brisant das Thema war.
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