„Jens, ich muss dir schnell was erzählen!”
„Okay ...”
Vor ein paar Wochen sei sie von einem wohlhabenden Paar, das von ihrer Zeit in Tansania wisse, auf eine Stiftung angesprochen worden. Die würde im Südwesten des ostafrikanischen Landes ein Waisenhaus betreiben. „Die haben heute hier auch einen Stand. Da hinten!” Kortweit zeigt quer durch den Saal auf die Wand vor der Garderobe, wo rund ein Dutzend Organisationen der Kinderhilfs-Szene ihre Stände aufgebaut haben oder gerade abbauen, wie den von „Children First!”. „Die Mlakizi-Stiftung einzuladen, hat mich Chris Amthor gebeten, den kennste bestimmt … Na ja, die Eheleute wollen wissen, ob man für das Haus da unten wohl eine Patenschaft übernehmen könne. Nach all den Morden da. Hast du bestimmt von gehört. Ob das seriös geführt werde, wie die Verhältnisse vor Ort aussähen und so weiter. Liegt bei Tukuyu, am Arsch der Welt, ganz nah an den großen Seen, zwischen Dar und Lubumbashi, du weißt schon.”
„Tukuyu? Nie gehört, müsste nachschlagen, wo das ist”, wendet Petermann ein, den Sabines Anliegen nicht so recht erreichen will, ihr Reiz dagegen umso mehr.
„Die wollen wissen, ob sie da Geld reinstecken können. Viel Geld. In die ‚Mlakizi Foundation’, so heißt das Ding. Ob die Kontaktleute da unten vertrauenswürdig sind. Da gibt’s angeblich einen Europäer, der das alles managt, aber irgendwie nicht gern in Erscheinung tritt. All so’n Kram”, fährt Sabine fort. „Die sind über Freunde auf das Projekt gestoßen, die da ein paar Patenkinder finanzieren. Vielleicht lässt sich daraus ja was Größeres machen ...”
Nur zögernd lässt sich Petermann auf Sabines Gedanken ein: „Aber die beiden sind verunsichert durch die vielen Patenschafts-Skandale? Wo Kinder als Haushalts- oder Sexsklaven verkauft werden?”
„Ja, genau. Und durch die Kindermorde.”
„Hä?”
„Bei den Paten versickern ja weltweit Millionen ...”
„,Versickern’! Lass das bloß nicht deine geladenen NGOs hier hören. Fast alle kennen solche Fälle aus eigenem Erleben, das ist kriminell hoch fünf!”
„Schon klar. Aber hier reden wir von einem konkreten Haus. In Tansania, was ja meist nicht so schlimm daherkommt. Gibt dort bestimmt auch tausend gut geführte Einrichtungen. Du kennst doch diesen Detektiv in Moshi, vielleicht weiß der was?”
„Hey, Sabine, Moshi liegt vom Südwesten Tansanias weiter weg als Hamburg von Mailand. Und Tansania hat mittlerweile auch schon fast so viele Bewohner wie wir hier in Deutschland. Warum also sollte Hannes mehr über dieses Haus wissen als du oder ich?” Der seltsam deutsche Vorname des Detektivs hatte sich gewiss auch bei Sabine eingeprägt.
„Frag ihn doch einfach mal, er kann sich ja vielleicht mal umhören. Das kostet doch heute nix mehr. Dann sehen wir weiter!”
„Okay, ich werd ihm davon erzählen. Aber jetzt?”
Die Landesbeauftragte lässt noch nicht locker: „Vielleicht kann ja auch seine patente Tante Honorata was rauskriegen, die lebt in Dar, oder? Die hat doch mal für diesen Karsten Härtling gearbeitet, von ‚Safety First’, der Sicherheitsfirma.”
„Ja, stimmt. Mal gucken, was das bringt … Wollen wir jetzt tanzen?”
Nein, die Party war noch lange nicht zu Ende.
4. Von Hamburg nach Moshi (in Tansania)
Der Kater dröhnte gehörig. Als Jens Petermann am nächsten Morgen, der eher ein früher Mittag ist, im luxuriösen Zimmer des Louis C. Jacob erwacht, plagt ihn der Schmerz im Kopf ähnlich wie die Übelkeit. Das Zimmer hatte er noch in der Nacht angemietet. Er war doch tatsächlich mit Sabine, dieser alten Schrappnelle, im Bett gelandet. Gut, er hatte es drauf angelegt. Und war’s zufrieden. Das mit dem „endlich mal wieder anziehend sein” hatte wunderbar geklappt. Begehrt sogar, na sowas. Ob ihm das allerdings bei der Bereinigung seiner Beziehung mit Frieda helfen wird, bezweifelt sein benebeltes Hirn schon bevor es überhaupt zu Denken anfängt.
Die andere Seite des ausladenden Doppelbetts ist leer und kalt. Frau Doktorin ist bereits verschwunden. Was hatte er ihr verflixt nochmal versprochen? Was hatte die Kortweit eigentlich gewollt?
Erst nach dem dritten Kaffee, den er sich aufs Zimmer bringen lässt, fällt es ihm wieder ein. Hannes anrufen, nach irgendeinem Waisenhaus befragen. Liegt da nicht irgendwo ein Flyer? Den Sabine ihm zugesteckt hatte? „Mlakizi – meet the future!” steht vorne drauf.
Klein und fein, der Prospekt, Hochglanz, schönes Landschaftsfoto unter strahlend blauem, afrikanischem Himmel. Eine grüne Oase mit einem Dutzend Gebäuden direkt an irgendeinem braunen Fluss, lachende Kinder rundherum. Nur das Grün kommt etwas unecht rüber, könnten Reisfelder sein. Der Text auf Englisch, gedruckt aber offenkundig bei „flyerpower” im deutschen Internet.
Innen ist von „vintage breeding conditions” die Rede, was Petermann leicht irritiert, aber wohlwollend mit „erstklassiger Erziehung” übersetzt. Auch mit „top-quality medical supervision” – erstklassiger medizinischer Betreuung? – wirbt der Prospekt. Am Ende nennt er ein Spendenkonto für die „Mlakizi Orphanage Foundation”, seltsamerweise nicht bei einer tansanischen, sondern bei einer südafrikanischen Bank, die einen „easy transfer” ermögliche. Die Adresse der Anlage ist kryptisch wie so oft in Tansania: Postbox Mbeya, nicht Tukuyu, als Kontakt nur eine Mailadresse und Handynummer. Gibt es das Haus überhaupt?
Google Maps kennt in der Gegend tatsächlich einen ähnlich klingenden Ort, nur ohne das zweite i. Okay, das wird es sein. Weder Google noch Open Street Maps allerdings verzeichnen dort viele Straßen. Für genauere Recherchen ist der Bildschirm von Petermanns Smartphone ohnehin zu klein.
Stattdessen öffnet der Architekt seinen WhatsApp-Account und beginnt einen englischen Text an seinen „Meisterdetektiv” Hannes Wabaye in Moshi zu schreiben, mit dem er seit ihrem letzten gemeinsamen Abenteuer locker in Kontakt geblieben ist. Damals hatten sie Diamanten für mehr als 100.000 € aus dem Wrack der MV Bukoba im Victoriasee geborgen und eine internationale Verschwörung rund um den Untergang des Fährschiffs aufgedeckt, bei dem 1996 fast 1.000 Menschen ertrunken waren.
„Hallo, Hannes! Ich hoffe es geht Ihnen, Honney und allen anderen aus der Familie prächtig und die Geschäfte laufen gut. Bei mir alles roger. Eine gute Bekannte von mir, Dr. Sabine Kortweit, die für eine politische Stiftung hier arbeitet, hat mich gebeten, ein paar Informationen über ein Waisenheim im Süden Tansanias einzuholen. Wird betrieben von der Mlakizi Foundation, das Gelände liegt anscheinend an der tansanisch-malawischen Grenze südwestlich von Tukuyu am Songwe River. Dr. Kortweit will wissen, ob da alles mit rechten Dingen zugeht, wie die mit den Kindern umgehen, ob die Stiftung hinter dem Heim seriös ist. Einer ihrer Klienten will da eventuell Geld reinstecken. Könnten Sie sich wohl mal umhören? Kennen Sie vielleicht jemanden da unten?”
Bevor Petermann die Nachricht abschickt, überlegt er länger, ob und wie viel Geld er Hannes für diesen Gefallen anbieten soll. Klar ist, dass solche Recherchen etwas kosten. Doch wie viel? Einen Tagessatz, der in seinem Beruf als Architekt leicht bei 1.000 € liegt? Oder nur ein paar Arbeitsstunden, bezahlt in tansanischen Shillingen nach lokalem Tarif?
Lieber belässt er es erst mal bei einem Gefallen. Der kostet auch in Tansania nichts. So bleibt diese erste Mail ohne jedes konkrete Angebot. Eine vernünftige Antwort kann er ja später immer noch vergüten.
5. Zwischen Moshi und Dar es Salaam
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