Nur weg! Weg von diesem Auto, das gleich brennen wird, rennen, der Straße nach, blind in die norddeutsche Dunkelheit, die doch bei weitem nicht so undurchdringlich schwarz ist wie die Nacht, die sie von zuhause kennt. Eben noch waren sie einer Verkehrskontrolle entkommen. Seitdem war der Fahrer, dieser hellhäutige Riese, der sich Frank Müller nannte, gerast wie ein Irrer. Einmal hatte der Tacho, auf den sie verstohlen guckte, mehr als 240 km/h angezeigt! Und jetzt, kaum dass sie die Autobahn verlassen hatten, war Müller kurz hinter „Totensen” – so hatte sie es auf dem rot durchgestrichenen Ortsschild stolz entziffert – in der erstbesten Kurve ins Schleudern geraten und gegen den verfluchten Baum geknallt. Zurück zu ihren Pateneltern hatte er sie bringen sollen, hatte er gesagt. Paul und Rita, mit denen sie am Montag erst aus dem Flugzeug gestiegen war. Die letzten beiden Tage hatte sie bei einem Arzt auf einem Bauernhof zwei Stunden südlich verbracht. Der Mann hatte sie „vor ihrem neuen Leben einmal richtig durchchecken” sollen. Große Ställe, Pferde, Kühe, Schweine, alle drinnen, Angst einflößende Schäferhunde, zwei riesige Traktoren, so groß, wie sie noch nie welche gesehen hatte, doch nur ein paar Arbeiter und nirgends Erntefrauen: Ein bisschen seltsam war ihr das vorgekommen, und kalt war es auch da schon sehr.
2. Kurz vor dem Ziel
3. Einige Wochen zuvor
4. Von Hamburg nach Moshi (in Tansania)
5. Zwischen Moshi und Dar es Salaam
6. Abendgymnastik
7. Vertragsverhandlung
8. Hannes allein in Dar
9. Ambi mit dem Hut
10. Lehrstunde in Sachen Honorar
11. Reisevorbereitung
12. Unterwegs zu den Tieren
13. Hannes trifft einen Bekannten
14. Ein Sonntag am Meer
15. Die Stiftung
16. Im Gästehaus
17. Das Waisenhaus
18. Entdeckungen
19. Gaudency
20. Tischgespräch
21. Snoopy hört ab
22. Auf nach Malawi!
23. Verfolgungsjagd
24. Fährverkehr
25. Hannes findet einen Assistenten
26. Entwicklungshilfe
27. Am Ende der Welt
28. Auf See
29. Ende Gelände
30. Stich ins Wespennest
31. Rettungseinsatz
32. Liebesdienst
33. Müller hat Scheiße gebaut (fünf Tage zuvor)
34. Kundengespräch
35. Gewalt? Keine Frage!
36. Entnahme jederzeit möglich
37. Übersetzungsarbeit
38. Oliver
39. Petermann bekommt Wind vom Ausmaß der Sache
40. Fotosession mit Honni
41. Bereitschaftsdienst
42. Frust im Revier
43. Perspektivenwechsel
44. Nestbeschmutzer
45. Fantasie und Mut
46. Großeinsatz um 15 Uhr
47. Scheine für Makaïdi
Epilog
Glossar
Dossier
Nach ihren Vornamen sortiert:
Ally Raza – Leiterin des Waisenheims Mlakizi Alphonce Edward Danda – Chef der Mlakizi-Stiftung Ambi Maregesi – Journalistin aus Mwanza, stationiert in Dar Gaudency Mario Kiongo* – Bewohnerin Mlakizis, alias Maria Gaudência Gerhard von Seitlitz, Prof. Dr. – Angestellter von Jo Mahler Gregor Schiman – Kriminalhauptkommissar in Hamburg Hannes Wabaye – Detektiv aus Moshi am Kilimanjaro, alias Ephraim Chirwa Heike Schmidt – Kriminaloberkommissarin unter Gregor Schiman Honorata Rwebusoya – Hannes junge Tante, lebt in Dar Jens Petermann – Architekt aus Rosengarten bei Hamburg, Bekannter Hannes’ Jo Mahler – alias Paul Schäfer Joél Nziku – Stellvertreter Razas, Sicherheitschef in Mlakizi Joy Lyabandi – Lehrerin und Erzieherin in Mlakizi Kito Kuhenga – Liebhaber und Begleiter von Rebecca Schilling Makaïdi – Chef der Verkehrspolizei in Tukuyu Oliver Raphaeli Ng'aala* – Geburtsname von Rahel Cherio Malekela* Paul Schäfer – Patenonkel Olivers/Rahels, Drahtzieher, alias Jo Mahler Rebeca Schilling – deutsche Handelsreisende Rudolph Herrlich – Komplize Jo Mahlers Sabine Kortweit, Dr. – Landesbeauftragte der Konrad-Adenauer-Stiftung in Hamburg
Prolog
Im Süden Tansanias
Das Bild wird Juma Kapeta nie vergessen. Nie. Die verschrumpelte, von blutigen Rissen überzogene helle Haut, dunkle Flecken hinter jeder Falte, den aufgeblähten Torso mit der tiefen, offenen Wunde unter den Rippen, bedeckt von braunem, modrigem Blattwerk. Schwarze Stümpfe dort, wo Arme und Beine sein sollten. Fliegen und Ameisen allüberall. Der Kopf des Jungen lag leicht abgewinkelt, die hellen Brauen kaum sichtbar über den aufgerissenen, ausgestochenen Augen in einem abstrus friedlichen Gesicht unter kurzen weißen Kraushaarlocken – ein Kindheitstrauma.
Wegschaffen sollten sie sie, die kleine Leiche, ab in den Fluss, hatte der „Fährmann” befohlen. Ally Raza, die Heimleiterin ,hatte ihm Bescheid gesagt. Um alles Weitere werde er sich kümmern.
Wer hatte es gewagt, den kleinen Körper ausgerechnet hier abzulegen? Zog der Wahnsinn denn so weite Kreise?
„Fährmann” Alphonce Edward Danda ist weit herumgekommen und sieht sich selbst als Kapitän. Er befehligt ein großes Schiff, sein Unternehmen, die Stiftung, das Waisenhaus Mlakizi direkt am idyllischen Songwe River, der schon vor über hundert Jahren Nordrhodesien und Nyasa-Land von Deutsch-Ostafrika trennte. Der Kapitän residiert in einem alten Gutsverwalterhaus auf einem Hügel hoch über Tabakfeldern und dem Fluss, spricht vier Sprachen und ist stolz auf seine Übersicht.
Seit acht Jahren herrscht er hier und leistet Aufbauarbeit. Von der Zucht bis zur Ernte, so das Programm, das jetzt endlich Mal wieder den vollen Ertrag einbringen soll. Zum Wohle aller: der Kinder, denen es hier so unendlich viel besser geht als dort, wo seine Mitarbeiter sie aufgelesen haben. Zum Wohl der Angestellten drüben im Heim, die gar nicht wissen, dass er sie bezahlt. Zum Wohle auch der Dorfbewohner, deren Kinder kostenlos seine Schule besuchen dürfen und die nie wissen müssen, wer er wirklich ist. Er, der alle paar Wochen mit seinem Außenborder aus Malawi über den Fluss herüberrauscht und die Heimleiterin besucht. Und natürlich zum Wohle seiner kleinen Kapitalgesellschaft und all der Geber, die Mlakizi unterstützen, darunter echte Philanthropen. Die sehen in seinem Heim die Zukunft.
Nun aber kommen ihm, der die öffentliche Wahrnehmung Mlakizis stets scharf zu kontrollieren wusste, diese Hexer in die Quere. Ausgerechnet hier, in der allerletzten Ecke Tansanias oder auch Malawis, je nachdem, von welcher Seite des Flusses man die Sache sieht. Abgedrehte Heiler mit ihrem verqueren Quatsch von heilsbringenden Albinoteilen ziehen Aufmerksamkeit auf die Region, falsche Publicity, die das ganze Projekt gefährdet. Manche Eltern der toten Kinder haben ihre Kinder doch noch nicht einmal vermisst!
1. Schluss mit lustig (bei Hamburg)
Dem Mann war nicht mehr zu helfen. Sein Rumpf klebt zerquetscht im Lenkrad, der Kopf hat ein formidables Spinnennetz in die Windschutzscheibe des Chryslers geschlagen. Airbag und Gurtstraffer hatten, anders als auf der Beifahrerseite, gleichzeitig versagt – ein Phänomen, das in letzter Zeit öfter vorkam. „Fuck off!”, hatte der Fahrer dem jungen Mädchen noch zugeröchelt, die sich jetzt panisch hinter ihrem zusammenfallenden Luftsack aus dem Gurt wickelt und gegen die Tür stemmt, um aus dem qualmenden Wrack herauszukommen.
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