„Eigentlich will er nur eine Frage beantwortet haben. Er glaubt, dass ich das von hier aus in Moshi besser könnte als er aus Hamburg. Geht um irgendein Waisenheim im Süden, noch hinter Mbeya ...”
„Was sollst du denn beantworten?”
„Ob die seriös arbeiten da unten.”
„Oh.” Dass Honni ein Dehnwort für eine Denkpause braucht, kommt selten vor. Doch sofort darauf rasselt es bei ihr. „Da geht’s bestimmt um richtig Geld. Vielleicht will so ein reicher M zungu was investieren, ‚social investment’ ist bei den Wazungu schwer in Mode!”
„Was soll das denn bringen? Mit `nem Waisenhaus kannst du doch kein Geld verdienen. Die verlieren doch in jedem Fall ...”
„Ja, aber sie tun was Gutes, das lange wirkt und ihnen ein tolles Image sichert. Das glaubt ihnen auch ihr Finanzamt. Da gibt’s dann Geld zurück. Auch für Verluste. Und wer was Gutes tut, fühlt sich einfach gut. Besser als du dich, Neffe, jeden Morgen beim Aufstehen!”
Wenn Honorata Hannes mit seinem Familienstatus als untergeordneter Neffe aufzieht, weiß er, dass sie das Handeln übernommen hat. Gewehrt hat er sich dagegen nie. Das Geschäftliche liegt ihr nun mal im Blut.
„Wer für einen anderen tanzt, wird bezahlt! Lass den Deutschen mal ein bisschen schmoren. Meld dich erst nächste Woche bei ihm zurück, tu so, als wärst du schwer beschäftigt. Dann fragste ihn, wie viel Zeit du denn in die Beantwortung der Frage stecken darfst, schließlich lebst du ja nicht von der Luft und auch nicht gerade um die Ecke von dem Heim und hast deine Zeit nicht gestohlen. Und dann hältst du dich an Petermanns Vorgabe. Also, du arbeitest keine Minute länger, als er dich bezahlt.”
„Klasse Tipp. Doch woher weiß ich, was der bereit ist, für meine Zeit zu zahlen? Er kennt ja höchstens alte Tagessätze ...”
„Hey, Neffe, mal Prozentrechnung gehabt? Hast du oder hast du nicht? Ein Tag hat wie viele Stunden? Arbeitsstunden natürlich, wewe mjinga wewe ! Wie viele also? Und was kostet dann wohl eine Stunde bei einem Tagessatz von einer Million?”
„Eine Million? Bis du verrückt? Das nehmen vielleicht Wirtschaftsberater, aber das bin ich ja schon lange nicht mehr. Petermann kennt mich, der weiß das. Letztes Mal, als der hier war, hab’ ich mich mit ihm auf 300.000 Shilling geeinigt.”
„Da war der Shilling aber auch noch mehr wert! Und du warst ein unterbeschäftigter Detektiv in einem abgetakelten Provinzkaff! Seitdem ist Moshi täglich gewachsen und du wurdest berühmt, denk an die Bukoba-Diamanten. Hast das korrupte Arschloch Makaïdi und die Staatssekretärin Okurut zu Fall gebracht! Heute kennt dich jeder hier, oder? Das hebt deinen Satz doch ganz erheblich!”
„Honni, eine Million pro Tag, das ist mehr als doppelt so viel wie jede Lehrerin im Monat verdient!”
„Außerdem wird eh immer alles teurer ...”
Klischees haben Hannes noch nie überzeugt. „Was kriegst du denn bei Shrijee?”
„45.000 die Woche, aber das zählt nicht. Ist ja nur ein Halbtagsjob.”
„Oh, so wenig?” Die eigene Tante in die Ecke treiben, das hatte er nicht gewollt. In Wirklichkeit war er ihr ja dankbar für diese geschäftstüchtige Anhebung seines ökonomischen Selbstwerts. „Okay, also 500.000 pro Tag, 25 $ die Stunde, right?” Hörbar stolz möchte Hannes das Gespräch hier gern beenden.
Das letzte Wort jedoch gebührt der Tante: „Nimm vierzig, dann weiß er, was er an dir hat! Und schick mir mal rüber, was der M zungu dir geschrieben hat, dann guck ich mir das in Ruhe an. Ruf bald wieder an!”
Am gleichen Abend trifft sich Honorata in Dar zu ihrem wöchentlichen Bauch-Beine-Po-Workout mit Freundinnen an der Coco Beach. Die Sonne brennt nur noch schräg von hinten. In einer Viertelstunde wird es dunkel an Dar´s Stadtstrand, bekannt für seinen traubenzuckerfeinen, blendend weißen Sand unter dem unfassbar gleichgültig herumliegenden Dreck der Millionenstadt.
Jedem zufälligen Besucher bietet sich ein prächtiges Bild: Zwei Dutzend Frauen mittleren Alters, nur eine von ihnen in Gefahr, grazil genannt zu werden, stehen an der Wasserkante des azurblauen Indischen Ozeans und tanzen sich zur Musik aus einem Ghettoblaster in Trance. Eine einzelne ragt lang und groß aus der Menge heraus, unübersehbar auch wegen ihres riesigen bunten Huts. Nackte Füße stampfen auf und ab, als wollten sie dem glühend heißen Sand entkommen, der oberhalb der Wellen droht. Eine Kursleiterin ist weit und breit nicht in Sicht.
Viele der Frauen verdecken ihren Ganzkörper-Badeanzug unter einem farbenprächtig wallenden Kanga, dem tansanischen Allzwecktuch. Plötzlich stoppt die psychodelische Melodie und wird übergangslos ersetzt von einem schnellen, nackten Trommelrhythmus. Die Frauengruppe löst sich auf, lässt Hut und Kangas fallen und stürzt sich als geschlossene Meute in die sanft an den Strand plätschernden Wellen des Meeres.
Es ist flach hier. Nur wenige Frauen trauen sich tiefer hinein ins Nass, nur wenige dürften schwimmen können. Abkühlung bringt ein solches Bad im 33 Grad warmen Ozean auch keine. Doch Spaß scheint es zu machen, zweifellos.
Fünf Minuten später sind die Badeanzüge wieder trocken. Die Sonne ist weg, und damit auch das Licht am Strand. Erste kleine Feuer lodern auf dem noch warmen Sand. Nur wenige Hauptstraßen sind jetzt noch beleuchtet, Straßenlaternen scheinen oft fast aus Prinzip defekt. Licht spenden dann Werbetafeln, Schaufenster, Fassaden oder Autoscheinwerfer. Tansanias größte Stadt verdüstert sich, kommt aber noch lange nicht zur Ruhe. Sie brodelt und rumort und wird mit jeder Minute mehr zur Stadt der Männer.
Am Rand des Strands warten vorbestellt vertrauenswürdige Fahrer mit ihren Bajajs , diesen genialen, überdachten Dreiradrikschas aus Pune in Indien, um die Frauen in die benachbarten Stadtteile zurückzubringen. Nicht viele Frauen trauen sich, derart öffentlich Sport zu treiben, selbst nicht in einer guten Gegend wie Oyster Bay, wo die Coco Beach liegt. Geschweige denn fahren sie danach freiwillig im Dunkeln im Kleinbus allein nach Hause. Ganze zwei der Bauch-Beine-Po-Athletinnen werden nicht abgeholt.
Auf Honorata wartet sogar ein Auto. Leonardo, ihr Liebster, ist verlässlich zur Stelle. „Honney, mein Honigtäubchen, jetzt machen wir uns einen richtig netten Abend, haki!? ”
„Erst fährst du bitte Nyanjige, Ambi, Christine und Rhobi nach Hause, das kennst du doch. Die Straßen sind nun Mal nachts nicht für uns gemacht.”
„Ja, wenn du nur nicht so wunderbar zarte Knöchel hättest ...”, neckt Leonardo.
„Wenn´s nur die Schlaglöcher wären ... Du weißt genau, was ich meine.”
Mit Leonardos Schrottkarre, die ihm seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer sichert, steht nun eine kleine Rundreise an. Jede Woche dauert sie ein bisschen länger. Ambis mit bunten Federn geschmückter Hut, groß wie ein Toilettendeckel, landet zur Sicherheit im Kofferraum. „Überall Baustellen, immer mehr Autos!”, klagt Honoratas Freund jedes Mal. „Nur gut, dass die Regenzeit auf sich warten lässt!” Manche Stadtteile sind dann tagelang nur über riesige Umwege zu erreichen. Aber Honnis Freundinnen sicher nach Hause zu bringen, lässt sich Leonardo auch dann nie nehmen.
So sitzen die fünf Frauen und Leonardo noch eine ganze Zeit zusammen. „Diese Fahrt ist mehr wert als jedes After-Work-Meeting in einer Bar”, verkündet Nyanjige behaglich. Als lokale Fachkraft einer britischen NGO verdient sie zwar nur einen Bruchteil des Gehalts ihrer europäischen Kolleginnen, geht aber trotzdem ab und zu nach Feierabend mit zu deren Treffen.
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