1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Petermann denkt einen Moment nach, bevor er antwortet. Tatsächlich hatte er erst gestern noch einmal mit Sabine über Mlakizi gesprochen, die das Waisenhaus zum Vorwand genommen hatte, ihn schon wieder anzurufen. Dabei hatte Jens ihr erzählt, dass er sich ziere, Dienstleistungen in Tansania kostenlos einzufordern – eine Überlegung, die Sabine offenbar nie angestellt hatte. Für sie, die seit Jahren gut von staatlichen Apanagen für die Stiftungen ihrer Arbeitgeber lebt, stand nie infrage, dass die Arbeit des Detektivs zu bezahlen sei. Allerdings nach lokalen Tarifen. Daraufhin hatte Jens ihr einen kleinen Vortrag über gerechte Löhne gehalten und darauf bestanden, dass man einem Mann wie Hannes ein angemessenes, eher westliches Honorar anzubieten habe. Genau an diesem Punkt sieht er sich jetzt.
„Dar es Salaam, nicht Moshi, gut. Aber muss denn fliegen sein? Macht es das nicht unnötig teuer?”
„Jens, wann waren Sie zuletzt in Tansania? Auch hier ist Zeit wertvoll geworden! Auf der Straße brauche ich je einen vollen Tag, einen hin, einen zurück, am Ende wäre ich vier Tage unterwegs. Da kommt der Flieger deutlich billiger, vom Kili-Airport, ist nur eine Stunde weit weg.”
„Okay, sorry. Wo liegt denn mittlerweile ihr Tagessatz, Hannes?”
„500.000”, platzt Hannes heraus. Darauf hatte er die ganze Zeit gewartet. Honnis Aufstockung, die auf 800.000 hinausgelaufen wäre, traut er sich einfach nicht anzubringen.
„Das sind?”
„Ungefähr 200 Dollar. Plus Spesen natürlich.”
„200 Euro also”, bestätigt Petermann, dem der Preis zwar nicht astronomisch, aber doch erheblich höher vorkommt als beim letzten Mal. „Wo lagen wir damals am Victoriasee?”, versucht er wie gewohnt zu handeln. Doch diesmal stößt er auf einen vorbereiteten Hannes und muss sich rasch geschlagen geben.
„Weiß ich nicht mehr genau. Interessiert mich ehrlich gesagt auch nicht, Jens. Die Zeiten ändern sich, meine Kosten und Preise auch.”
„Okay, Hannes, abgemacht. Zwei Tage Recherchereise plus Flug und Tagesspesen, macht ungefähr ...?”
„600 Dollar insgesamt, ziemlich exakt.”
Es dauert eine halbe Woche, bevor sich Hannes auf den Weg machen kann. So schnell waren Tickets, deren Preis sich innerhalb des „exakt” beschriebenen Spesenkorridors bewegte, nicht zu bekommen. Am Donnerstag aber steht der Detektiv aus Moshi dann tatsächlich bereits zwei Stunden nach Sonnenaufgang in der prallen Sonne vor dem erst kürzlich eröffneten Terminal 3 des Julius-Nyerere-Flughafens von Dar es Salaam, gelandet mit der Morgenmaschine von Air Tansania auf den „Flügeln des Kilimanjaro” nach kaum sechzig Minuten Direktflug vom Kilmanjaro. Zwar hatte er zuvor seine Tante informiert, die ihm versprochen hatte, ihren „persönlichen Chauffeur” zum Flughafen zu schicken. Honnis Leonardo aber war weit und breit nicht zu sehen.
Hannes war Leonardo bisher noch nie begegnet, sie kannten sich nur vom Handybildschirm. So hatte er von Leonardos Antlitz eher ein kleinteiliges, zerknautschtes Bild. Dessen Statur changierte inHannes Vorstellung zwischen Mahatma Gandhi und Danny de Vito. Auf der brandneuen Zufahrt vor dem modernsten Airport Ostafrikas konnte er nichts von dem entdecken, was er mit Honnis Freund verband: Kein hübscher Taxifahrer, kein passables Taxi. Stattdessen fällt ihm beim dritten suchenden Rundblick am äußersten Rand des Parkplatzes mehrere hundert Meter entfernt ein Mann vom Format Muhammed Alis auf, der wie wild mit den Armen winkt und offenkundig ihn und nur Hannes meint. Als der Mann dann auch noch quer über den Platz nach „Hannes!” zu schreien scheint, ist das Eis gebrochen.
Richtig hören kann Hannes seinen Namen auf die Entfernung zwar nicht, doch das muss Leonardo sein. Einen solchen Schrank als Freund hätte er seiner Tante in seinen kühnsten Träumen zwar gewünscht, aber nie zugetraut. Besser konnte sie niemand in diesem Moloch von Stadt beschützen. Und ihn ruhig gleich mit.
Wer 1.500 Meter überm Meeresspiegel am Kilimanjaro lebt und aufgewachsen ist, den schockt die feuchte tropische Hitze im äquatorialen Tiefland am Indischen Ozean immer wieder. So hat Hannes, als er nach einigen Minuten endlich den viel zu groß scheinenden Parkplatz überquert hat und Leonardos „Taxi” erreicht, kaum noch ein trockenes Tuch am Leib. Strahlend und mit weit geöffneten Armen empfängt ihn Honnis Liebster.
„ Karibu, Hannes! Habari za asubuhi! ”
„ Habari yako? Hujambo? ”
„ Sijambo !”
„Und wie geht es meiner Tante?”
„Ebenfalls gut, da bin ich mir sicher. Habe sie gerade erst beim Supermarkt abgesetzt ...”
„Und der Familie?”
„Alles wunderbar, danke. Und denen in Moshi?”
„Sind alle gesund. Aber sag: Warum parkt denn der Partner meiner allerliebsten Tante so weit entfernt vom Terminal? Ist deine Rostlaube hier etwa nicht zugelassen?”
„Bitte lass meinen Wagen aus dem Spiel, der fährt, das reicht. Wollte die Gebühren sparen ...” Jetzt erst sieht Hannes die Schranke und den Ticketautomaten, die die Zufahrt zum Gelände sichern.
„Leo – ich darf dich doch so nennen? Ich muss in die Innenstadt, bin zum Tee mit einem Freund verabredet. Kannst Du mich unten bei der Fähre am Sokoine Drive rauslassen? Wir sehen uns dann heute Abend in Honnis neuer Wohnung, oder?”
Auf der Fahrt in die Stadt hinein staunt Hannes nicht schlecht: Hinter den Häusern zu seiner Linken zieht sich auf gigantischen Beton-Stelzen die neue Eisenbahn ins Hinterland, die kilometerweit als Hochbahn aus der Innenstadt hinausgeführt wird und die flachen Vorstädte überragt. Dar es Salaam, diese stetig wuchernde Metropole mit vielleicht sechs Millionen Bewohnern, deren rasantes Wachstum nahezu jede andere Stadt Afrikas in den Schatten stellt, hat sich seit Hannes letztem Besuch vor zwei Jahren weiter neu erfunden. Die Skyline des Central Business Districts ist längst spektakulärer als die viel berühmtere im kenianischen Nairobi. Die Türme der beiden kolonialen Kirchen am Wasser sind zwischen den Hochhäusern der Hotels, Banken, staatlicher Rentenfonds und Versicherungen kaum mehr auszumachen. Ausufernde getönte Spiegelflächen, nie zuvor gesehene Überführungen, Wolkenkratzer, neue Busspuren und umbenannte Haltestellen machen Hannes jedes Mal die Orientierung schwer.
Als sie gerade die vielspurige Nelson Mandela Road überqueren, gerät sein Fahrer ins Schwärmen. „Dass die tatsächlich fertig wurden! Auf so einem ,Flighover´ hoch oben über eine Kreuzung zu fahren, fühlt sich an als wäre ich in New York. Kennst du ,Das fünfte Element’?” „Klar, mit Denzel Washington, oder?”, antwortet Hannes, der es mit US-Spielfilmen nicht so hat. „Quatsch, Bruce Willis und Tiny Lister! Jedenfalls gibt es jetzt endlich nicht mehr so fürchterliche Staus wie früher. Kann meine Fahrtzeiten fast vorausberechnen!”, berichtet Leonardo. „Für uns Taxifahrer ein echter Segen!”
„Für Leute, die zur Tazara oder zum Flieger wollen, sicher auch”, bestätigt Hannes müde.
Noch oberhalb der Promenade mit ihren roten Flammenbäumen, in unmittelbarer Nähe zum stark frequentierten Hafen, stockt dem Detektiv beinahe der Atem. In kürzester Zeit ist auf dem Gelände vor der alten, abgewrackten Central Station, wo bei seinem letzten Besuch noch Baracken und dutzende Hütten von Squattern standen, der neue Zentralbahnhof für den Hochgeschwindigkeitszug ins Hinterland hochgezogen worden: ein spaciges, mehrgeschossiges Stationsgebäude unmittelbar hinter der hundert Jahre alten Central Station, dessen wildwinkelige blaue Glasfassade das Trugbild eines gigantischen Edelsteins erzeugt. Die futuristische, dem einzigartigen Tanzanit huldigende Architektur nötigt dem Provinzler Hannes ein gehöriges „Whow!” ab.
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