Petermann denkt bereits in Flug- und Hotelpreisen. „Das kann teuer werden ...”
„Nicht unbedingt. Vielleicht haben Sie das noch nicht so drauf nach ihren letzten Besuchen hier im Land. Liegen ja ein paar Jahre zurück. Die Straßenverhältnisse haben sich seither dramatisch verbessert, man braucht lange nicht mehr überall einen Four-Wheeler und nur noch sechs Stunden zum Beispiel bis nach Lindi, wohin man früher Tage lang unterwegs war.” Petermann erinnert sich, dass er einmal bis nach Kilwa, das noch 200 Kilometer vor Lindi liegt, zwei volle Tage gebraucht hatte und ohne Polizeihubschrauber fast nicht mehr zurückgekommen wäre.
Ambi fährt fort: „Das hatte einen Effekt, den Sie, lieber Jens, kaum gewärtigen dürften: Die Autovermieter sind viel billiger geworden. Hier in Dar bekomme ich heute für weniger als 50 $ pro Tag einen fahrbaren Untersatz ...”
„Oh, das kostete früher glatt das Vierfache!” Petermann ist beeindruckt.
Je länger das zum Glück kostenlose WhatsApp-Gespräch dauert, desto unruhiger wird Hannes auf seinem Stuhl: Kriegt er seinen Flieger noch? Er kann nicht mehr lange warten. „Ambi, ich muss los!”, flüstert er seiner Begleiterin ins freie Ohr und tippt auf sein nacktes Handgelenk.
Ambi aber beruhigt ihn mit federnder Hand und fährt ungerührt fort: „Ich habe mit Hannes vorhin intensiv darüber nachgedacht, was sich für Sie noch machen ließe, Herr Petermann. Ich schlage Ihnen jetzt einen Deal vor. Sie übernehmen Leihgebühren und Versicherung für den Wagen von, sagen wir, 50 $ am Tag, für sieben Tage. Sprit und Extrakilometer kosten bei der Entfernung – hin und zurück immerhin gut 2.000 Kilometer! – zusätzlich 750 $. Obendrauf legen Sie nochmal 300 $ für Unterkunft und Verpflegung und versprechen uns ein Erfolgshonorar, falls wir belastbare Informationen beschaffen können. Was halten Sie davon?”
„Mehr als tausend Dollar, um sich Mlakizi einmal anzuschauen? Käme da Fliegen nicht billiger?”
„Sie meinen, das würde Zeit sparen?”
„Ja, und Kilometer.”
„Aber ein Auto bräuchte man auch, wenn man Mlakizi von Mbeya aus, dem nächstgelegenen Flugplatz, erkunden wollte. Und da kosten Leihwagen immer noch mehr als doppelt so viel wie hier in Dar. Schneller wäre man auch nicht unbedingt. Bringt also eher nichts.”
Petermann hat inzwischen mitgezählt. „Das wären dann 1.400 Dollar für eine Woche, richtig?”
„Machen Sie Euro draus, und wir fahren los!”, ruft Hannes ungeduldig ins Telefon.
„Wie das jetzt? Noch zehn Prozent Aufschlag?”
Sofort übernimmt wieder Ambi. „Entschuldigung, das war Mister Wabaye, der kennt sich mit Devisen aus. Halten wir uns doch nicht länger mit Peanuts auf. Den Unterschied merken Sie gar nicht. Kommt Sie am Ende sogar billiger, wenn Sie in Euro statt Dollar bezahlen. Denken Sie nur an die Umtauschgebühren! Wie sieht´s mit dem Erfolgshonorar aus?”
„Auf Zweitausend würden wir wohl aufrunden können...”
Hannes, der das „round up” weder gut hören konnte noch viel damit anzufangen wüsste, versteht „two thousands” und will jubilieren. Ambi hält ihn zurück. „Okay, Jens, dann haben wir einen Deal: Wir fahren für Sie in den Süden und Sie übernehmen 1.400 Euro der Kosten. Sollte die Reise aus landestypischen Gründen nicht in einer Woche beendet werden können, müssten Sie allerdings die Leihgebühren fürs Auto noch ein paar Tage weiter bezahlen.”
„Aber nur die Miete!”
„Abgemacht.”
„Meinetwegen.”, willigt auch Petermann ein. „Ich hab´s ja mit ehrlichen Leuten zu tun.”
Als die WhatsApp-Verbindung ausgeschaltet ist, sagt Ambi: „So, Hannes: So macht man das. Jetzt, mein Lieber, jetzt darfst du jubeln. Und mitkommen ...”
Den Rückflug konnte er vergessen.
Das Haus in der Kipenga Street in Mwenge, einem voll erschlossenen, gut angebundenen Wohnviertel im Norden der Stadt, liegt auf halber Strecke zwischen der Nation Group und dem Meer. Ambi bewohnt es gemeinsam mit einer Kollegin. Hier lebt die winzige Mittelschicht. Um dort hinzukommen, besteigen Hannes und Ambi das erstbeste Daladala , das stadtauswärts fährt. Nach kaum zwanzig Minuten sind sie an der Mlimani-Busstation.
„Seit es die neuen Schnellbusse gibt, brauche ich von hier aus sogar zur Rushhour keine halbe Stunde mehr bis Kariakoo”, schwärmt Ambi ihrem Begleiter vor, wie schnell sie seit neustem zum größten Markt mitten in der Stadt gelangt.
Die Straßen Mwenges sind netzartig im Halbrund angelegt, Ambis Straße liegt nah am Mittelpunkt. Aus einer provisorischen Bar am meterhoch zugemauerten Wegrand dröhnen tansanischer Rumba und hipper Bongo Flava-Sound um die Wette. Mehrmals wird die Journalistin freundlich gegrüßt – man kennt sich. Nach wenigen Minuten stehen die beiden vor einem massiven Stahltor. Ambi schlägt laut dagegen, grüßt mit dem traditionellen „ Hodi? ”, und wird kurz darauf von einer runzligen Alten eingelassen. Hinter dem Tor führt ein schmaler Pfad durch einen vertrockneten Vorgarten zu einem massiven, zweigeschossigen Gebäude: Ambis Haus. Hannes ist beeindruckt.
„Wer wohnt denn alles hier?”
„Nur ich und meine Kollegin Salma”, antwortet die Hausherrin, die sich in der Tür lässig ihrer Highheels und des Huts entledigt. „Und hinten im Hof noch Paradis mit den Kindern ...”
„Kinder? Deine?”, schreckt der Detektiv auf.
„Mach dich locker, kleiner Mchagga ! Gehören zu Paradis ...”
„Nur Frauen? Darf ich denn da überhaupt mit rein?”
„Nun sei mal kein Angsthase, Hannes! Klar gibt’s hier auch mal Männer. Sonst schläfst du eben im Hof. Da passen die Kids dann auf dich auf ... Zieh die Schuhe aus!”
Als Ambi in die Küche tritt, wird sie von der älteren Frau abgepasst, die ihnen das Tor öffnete. „Missis, so gut, dass Sie endlich da sind! Mabula! Er klagt schon den ganzen Tag über schreckliche Bauchschmerzen. Sie haben doch bestimmt Medikamente. In dem großen blauen Sack unterm Bett, oder? Können Sie bitte gleich mal gucken, ja?” Ambi stellt Hannes die kleine grauhaarige Frau kurz vor – „Paradis Masibo, unsere Hausmutter!” –, die sich vor ihr aufbaut und umgehend Ambis Hilfe erwartet. Wer Hannes ist, interessiert sie nicht.
Erst nachdem Ambi aus einem der hinteren Zimmer eine Packung 200er Ibuprofen geholt und Paradis eine Pille aus dem Blister in die Hand gedrückt hat, klärt sie Hannes ein bisschen auf. „So geht das hier oft. Paradis ist Oma, Hilfs-Oma oder auch nur Tante, weiß ich nicht so genau, von fünf schulpflichtigen Rotzlümmeln, die alle bei ihr untergekommen sind, nachdem die Väter durchgebrannt oder die Mütter an Aids gestorben sind. Du kennst die Geschichten. Paradis gehört zum Haus, putzt, wäscht, kocht und wacht, seit sie denken kann. Salma und ich sind natürlich für sie da. Und mit den Kids werden wir schon fertig, sind eigentlich ganz zahm. Auch wenn deren Respekt mit zunehmendem Alter abnimmt.”
„Von wessen Alter sprichst du, Ambi? Doch nicht von deinem!” Hannes glaubt zu wissen, wie man Frauen mittleren Alters Komplimente macht.
Dann braucht es keine Stunde, bis Ambi über einen Bekannten einen Suzuki Escudo angemietet hat, der ihnen morgen früh vors Tor gebracht werden würde.
„Hannes, bei Sonnenaufgang geht´s los! Ich schätze, wir brauchen mindestens fünf Tage, drei zum Fahren und je einen in Njombe und Mlakizi. Auf dem Rückweg setz ich dich dann in Chalinze ab, von dort kannste mit dem Bus zurück an deinen Berg, okay?”
Die Vorstellung, tagelang neben einer faszinierenden Frau wie Ambi zu verbringen, macht den Detektiv zunehmend nervös. Was, wenn der Reiz zu heftig würde und er um seine Contenance zu fürchten hätte? Sich gar verlieben sollte? Das kann er sich doch überhaupt nicht leisten! Brächte seine bequeme Lebensführung ernsthaft in Gefahr! Hat er alles schon erlebt, auch hier, in dieser schrecklich großen, lauten Stadt. Damals das mit Majorie. Und am Ende nichts als Ärger.
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