Marie fühlte sich, als hätte sie gerade etwas schlechtes gegessen. Noch wohlauf, aber in dem Wissen, dass die Vergiftung unausweichlich sein würde. Das beschrieb ihre Gefühle wohl am besten. Sie hatte gelernt ihre Gefühle kontrollieren zu können. Vermutlich manipulierte sie sich gar selbst, indem sie sich – bewusst, oder unbewusst – stets Kerle aussuchte, bei denen gewährleistet war, dass man mit ihnen Spaß haben könnte, die jedoch derart farblos waren, dass sie nicht Gefahr laufen würde sich in sie zu verlieben. Sie wusste, dass sie sich in Robert geirrt hatte ebenso wie sie wusste, dass er sich bereits in ihrem Kopf, oder schlimmer in ihrem Herzen niedergelassen hatte. Zunächst hatte sie ihn dafür gehasst, dann sich selbst, schließlich die Welt als ganzes und am Ende war sie schlicht verwirrt gewesen.
Der Schlaf lies eine gefühlte Ewigkeit auf sich warten und der neue Tag, Samstag, begann mit Regen. Sie duschte sich und gab die sinnlosen Versuche sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren auf. Sie musste ihn sehen. Sie musste herausfinden, ob hinter dieser unsicheren Fassade tatsächlich mehr war. Als sie wachgelegen hatte, war ihr klar geworden, warum sie ihn so gleich wieder verlassen hatte, als sie das erste mal in seiner Wohnung gestanden hatte. Auch war es ihr nun ersichtlich, warum sie ihn derart wutentbrannt davon gescheucht hatte, als er sie wiederum besucht hatte. Sie war von ihm fasziniert, mehr noch, sie hatte sich wohl oder übel in ihn verliebt. Das war ein großes Problem.
Die Haustür stand offen. Es war ein Samstag und in dem Haus in dem er wohnte ging es laut zu. Der Geruch von Gerichten verschiedenster Kulturkreise, die zu Mittag verspeist worden waren hing im Treppenhaus. Niemand öffnete. Die Ungewissheit bezüglich ihrer Gefühle nagte an ihr. Sie drückte die Klinke nach unten und die Tür öffnete sich. Das Erste, was ihr von der Wohnung des Jungen in den sie sich vermutlich verliebt hatte entgegen kam, war ein widerlicher Gestank. Auf dem Boden lagen die verkrusteten Reste von Erbrochenem. Daneben lagen die Scherben einer Bierflasche. Sie stieg darüber hinweg und öffnete das einzige Fenster. Unentschlossen, was sie nun hier sollte holte sie Luft. Die ganze Bude war heruntergekommen, das wusste sie ja bereits. In seinem Bad stapelte sich die Schmutzwäsche und die Duschkabine war in fester Hand von Kalk und Schimmel. Neben dem CD Regal, aus dem sie sich ja bereits bedient hatte, gab es noch ein weiteres Regal in dem einige Bücher und Schuhkartons zu finden waren. Bücher hatten sie nie interessiert. Was jedoch ihr Interesse weckte waren einige zusammengeheftete Manuskripte. 'Die Sache mit dem Sinn'. Sie nahm sich den etwa hundert Seiten starken Text heraus und blätterte darin. Es hatte ganz den Anschein, als hätte er so etwas wie ein Tagebuch geführt. Mehr hätte sie wohl kaum erreichen können. Ihr war klar, dass eine Beziehung, an deren Anfang ein derartiger Vertrauensbruch stünde, keinen Bestand haben würde, doch sie musste so viel wie möglich über ihn in Erfahrung bringen. Daran führte kein Weg vorbei, es war ihr ein Grauen, wenn sie Situationen ausgeliefert war. Ihre Gefühle ihm gegenüber nicht kontrollieren zu können bedeutete für sie einen schweren Kampf mit sich selbst auszutragen. Da er sie demnach in so große Schwierigkeiten gebracht hatte, war es durchaus legitim, dass sie in seine intimsten Gedanken eindrang. Zumal er diese einfach in einem verstaubten Regal aufzubewahren schien. So fuhr sie nach Hause, kochte Kaffee und begann zu lesen.
Es waren Dokumente aus der Zeit, in der er wohl noch mit seinem Studium beschäftigt war. Episoden voller Selbstzweifel folgten Anekdoten aus seinem Liebesleben und Trinkgeschichten. Trinkgeschichten gab es reichlich. Zwischen all den Abstürzen, den gestürmten Hausparties und vom billigen Schnaps verursachten Katern fanden sich immer wieder Zeilen, die auf einen zutiefst sensiblen Charakter schließen ließen. Sie, die immer rational dachte und sich Gefühlen nur insofern stellte, als dass sie sie möglichst zu unterdrücken, oder besser noch gar nicht erst aufkommen lassen suchte, war seltsam bewegt von dem, was sie da las. Er war ein Grübler. Seitenlang reflektierte er über Dinge, die Marie so selbstverständlich vorkamen, wie das abendliche Zähneputzen. Noch nie war sie mit derart komischen Gedankengängen konfrontiert gewesen. Nachdem sie die 111 Seiten überflogen hatte, war sie zunächst verwirrt. Es fiel ihr schwer ihn anhand des Textes einschätzen zu können, womit sie natürlich nicht gerechnet hatte. Er schien hin und her zu pendeln, zwischen Momenten des größten Glücks und tiefster Depression. Alles hatte den Anschein, als sei er äußerst sprunghaft. Den Eindruck hatte sie von dem Menschen, der in Fleisch und Blut stöhnend über ihr gelegen hatte nicht gehabt. Dagegen sprach zudem, dass immer wieder eine Freundin erwähnt wurde, die ihn schon lange begleitet hatte. Ordnung war, wie man auch an dem Zustand seiner Wohnung sehen konnte, nichts worauf er Wert zu legen schien. Sie jedoch versuchte das Manuskript zu ordnen.
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