„Aber du weißt auch, was wir ihr zumuten. Immerhin ist sie noch ziemlich jung!“
„Ja, das ist sie, aber an Mut und Klugheit kann sie es mit allen aufnehmen, die hier in Fasolanda große Reden schwingen!“
„Wir bringen sie in Lebensgefahr!“
„Ich hoffe, es lässt sich vermeiden, aber du hast natürlich recht – dass wird kein Spaziergang. Der Unerhörte lässt nicht mit sich spaßen.“
Plötzlich zuckte der Spitzhutträger zusammen. Aufmerksam lauschte er einen Moment lang in die dunkle, verregnete Nacht. Dann griff er, ohne ein weiteres Wort, ins Innere seines Mantels und warf mit einer schnellen Bewegung etwas in die Luft, das wie ein schwarzes Pulver aussah. Trotz des heftigen Regens begann die Pulverwolke, zu rotieren, verdichtete sich zu einem dunklen Klumpen. Der Klumpen bekam einen Kopf, einen Körper und wurde innerhalb weniger Augenblicke zu einem Tier, einer Fledermaus, die, auf ein Zeichen des Zauberers hin, mit hektischen Flügelschlägen davonstob.
„Lass‘ den Unfug, Magus“, zischte der Große, „du weißt, ich mag diesen Hokuspokus nicht!“
„Ja, ich weiß, aber ich muss etwas überprüfen. Ich habe das Gefühl, wir sind nicht alleine!“
Einige Augenblicke später kam die Fledermaus von ihrem Erkundungsflug zurück. Sie stürzte sich steil auf die beiden Männer hinunter, landete, unruhig flatternd auf der Handfläche des Magus und gab einige hohe, leise Pfeifgeräusche von sich. So schnell, wie er sie hervorgeholt hatte, zerrieb der Magus sie in der Hand wieder zu schwarzem Staub und ließ diesen in der Innentasche seines Mantels verschwinden.
„Hast du das gehört? Ich wusste es! Sie sind in der Nähe. Wir sind auch hier nicht sicher!“
„Er wagt es, dieser….?“
„Wie du siehst! Niemand hat damit gerechnet, dass er sich von seiner Niederlage jemals erholen würde, schon gar nicht so schnell. Aber wie es scheint, ist er zurück, oder deutest du die Zeichen anders?“
„Nein, ich sehe das wie du. Es ist vieles in Unordnung geraten in letzter Zeit.“
„…und er wird auf jeden Fall eines wollen….“
„Rache!“
„Das meinte ich, als ich sagte, wir würden Sinja in Gefahr bringen, wenn wir sie nach Fasolanda holen.“
„Ich weiß. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Wir müssen es tun!“
2 Erster Akt Zu Hülfe, zu Hülfe!
Es-Dur! Der letzte Akkord des Finales, den das Orchester gerade in den riesigen Opernsaal hinausgeschmettert hatte, verhallte. Tamino und Pamina standen vor dem Chor und verbeugten sich lange und tief vor dem Publikum. Applaus prasselte auf die Bühne wie ein warmer Sommerregen und erfüllte den ganzen Saal. Einzelne Bravo! -Rufe waren zu hören.
Sinja rieb sich die Augen und schüttelte sich, als würde sie allmählich aus einem Traum erwachen. Dann begann auch sie, begeistert in die Hände zu klatschen. Noch einmal wurde der Vorhang gehoben. Der Dirigent, das Orchester, noch einmal Tamino, Pamina, Sarastro, die Königin der Nacht, noch einmal Papageno, Papagena, mit großem Getöse des Publikums - der Chor. Dann fiel der Vorhang und beendete die Vorstellung endgültig. Die Saalbeleuchtung ging an. Mozarts Märchenwelt verblasste.
„Muss das immer so ätzend hell sein?“, beschwerte sich Pauline, „das tut brutal weh in den Augen!“ „Vielleicht wollen sie uns dran erinnern, dass morgen früh Schule ist. Da kann ein bisschen
Schmerz nicht schaden“, antwortete Sinja und zog die Mundwinkel nach unten, „komm, lass uns gehen. Wir müssen unsere Bahn kriegen.“
„Sollten wir nicht abgeholt werden?“
„Ja, sollten wir, aber das klappt nicht. Meine Mutter hat noch einen Termin am Abend. Wir müssen alleine nach Hause fahren.“
„So ´n Mist, ich mag das nicht, so spät alleine in der U-Bahn. Auch wenn es nur drei Stationen sind.“
„Keine Panik, Paulchen! Du hast doch mich!“ Sinja legte ihrer Freundin den Arm um die Schulter.
„Na prima! Das beruhigt mich jetzt aber sehr!“
„Wir kriegen das schon hin. Und jetzt lass uns gehen. Wir sind mal wieder die Letzten.“
Sie verließen den Opernsaal, vorbei an einem, ganz in schwarz und weiß gekleideten Pförtner. Im Foyer blieben sie einen Moment stehen und beobachteten die feine Gesellschaft beim Ausführen ihrer Abendgarderobe. Wenige waren im Gehen begriffen, einige ließen sich gerade von der Garderobiere ihre Mäntel reichen. Die meisten jedoch standen noch mit einem Glas Sekt oder Wein in der Hand an den Stehtischen und redeten, zumeist blasiertes, dummes Zeug. Gelegentlich zerteilte ein Satzfetzen das allgemeine Gemurmel.
„Also dieser Mozart, dieser Mozart!“, war eine Übergewichtige, schrecklich Überschminkte in dunkelrotem Abendkleid mit Nerzstola und Perlenkette zu hören, „lässt die Königin einfach abservieren, wo die doch sooo schön gesungen hat!“
„Ja, kein Wunder, dass der ermordet wurde“, antwortete ein hageres, silbergraues Kleid mit Hakennase und weißem Baumwollumhang.
„Wer, was? Der Mozart? Der ist tot? Auch noch ermordet?“, empörte sich die Dicke.
„Ja“, antwortete der Mann der Hageren, „traurige Geschichte, ganz schrecklich. Sein bester Freund soll´s angeblich gewesen sein, ein gewisser Salieri.“
Er nippte überlegen an seinem Sektglas, sonnte sich in seinem Wissen und genoss die achtungsvollen Blicke der Damen.
„Ach, schlimm ist das heutzutage! Keiner ist mehr sicher. Nicht mal die Musiker. Und wer hat dann den `Fliegenden Holländer´ komponiert, der nächsten Monat hier gespielt wird, wenn doch der Mozart tot sein soll?“
„Der Holländer? Also, auf keinen Fall Mozart. Das war doch, glaube ich, der Herr Wagner! Sehen sie, hier steht es in der Vorankündigung.“ Er hielt der Dicken einen der Hochglanzprospekte unter die Nase, die überall, auf den Tischen verteilt, herumlagen.
„Ach ja, der Wagner? Natürlich! Jetzt, wo sie´s sagen. Ach, ich Dummerchen. Das hätte ich aber auch wissen müssen. Der wurde aber nicht umgebracht, oder? Der lebt doch noch?“
„Nein!“, antwortete der Mann, schnaufte tief und musterte sein Gegenüber abschätzig. „Der ist achtzehnhundertdreiundachtzig gestorben! An Herzversagen!“
„Was?“, rief die Dicke viel zu laut, „der ist auch tot? Und schon so lange?!“
Vernichtende Blicke der Umstehenden richteten sich auf das Trio. Die drei ließen sich davon jedoch in keiner Weise beeindrucken.
„Man kriegt ja überhaupt nichts mehr mit!“, krähte die Dicke weiter, „wie gut, dass ich die Dauerkarte von meinem Seligen geerbt habe. Da kann ich meinen Klatsch wenigstens einmal im Monat auf den neuesten Stand bringen! Der Herr Wagner, auch schon von uns gegangen, ts, ts, ts, sowas! Der Arme. Aber der `Fliegende Holländer´ wird doch trotzdem gespielt, oder?“
„So steht es hier“, gackerte die Hagere und zeigte auf den Prospekt. „Januar – Mozart. Februar – Wagner. März – Beethoven!“
„Jetzt muss ich aber weg hier“, sagte Sinja, „sonst platz ich. Schüler-Abo zum Opern hören ist ja schön, aber die Leute sind leider komplett nervig. Nichts wie raus hier! Komm schnell!“
Sie zog Pauline am Ärmel Richtung Ausgang - viel zu heftig. Die rempelte im Vorbeirennen einen
Mann in dunkelgrauem Anzug an, der ihr um ein Haar ein Glas Wein übergekippt hätte. Pauline wich soeben noch geschickt aus und zischte im Weiterstolpern ein tonloses `Schulligung´ durch ihre zusammengepressten Zähne. Als sie das Gebäude durch den Haupteingang verlassen wollten, nahm Sinja aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr, die dort nicht hingehörte. Nicht in den Eingangsbereich eines Opernhauses. Nicht an diesem kühlen Januarabend. Nicht in diese Dunkelheit. Etwas war falsch. Dieses Flattern war verkehrt. Es gehörte hier einfach nicht hin. Sinja drehte sich um, wollte nachsehen, was da war. Doch da war nichts. Jedenfalls jetzt nicht mehr! Sie kam ins Grübeln.
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