Bajo konnte seine Augen nicht öffnen, sie waren von Erbrochenem und Dreck verklebt. Ein ekelhafter Gestank umnebelte ihn und er wusste, dass er wohl noch leben musste, denn wenn dies das Jenseits war, so hätte es doch arge Ähnlichkeit mit einem Jauchegraben. Bajo begann, sich vorsichtig die Augen frei zu machen und spürte gleich einen Schmerz, als er nach oben blickte. Die Sonne stand schon hoch und schien ihm zwischen zwei Bäumen hindurch direkt ins Gesicht. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich aufgerappelt und seine Gedanken sortiert hatte. Sein Hals brannte wie Feuer und er hatte mächtigen Durst. Bajo kramte die Feldflasche hervor und spülte sich zunächst den Mund aus. Dann nahm er vorsichtig ein paar Schlucke und räusperte sich. Er musterte die Umgebung mit seinen verquollenen Augen, aber außer Bäumen und Gestrüpp konnte er nichts Bedeutendes erkennen. Nur außerhalb der beiden Stämme sah er aufgewühlten Boden, eindeutig eine Art von Spuren. „Da war also wirklich was, ich habe schon gedacht, ich drehe durch“, ging es Bajo durch den Kopf. „Uahh, was für ein grauenhafter Gestank, das hält ja nicht einmal ein thalarischer Gaul aus!“, bemerkte er sogleich und hielt sich die Nase zu. Als Bajo endlich mühsam aufgestanden war, rutschen ihm noch ein paar Reste aus der Hose, sodass er förmlich gezwungen war, von diesem besudelten Schlafplatz zu flüchten. Seinem nordöstlichen Ziel folgend schleppte er sich voran. Der üble Geruch stieg ihm bei jeder Bewegung in die Nase und seine nasse, von Fäkalien verdreckte Hose scheuerte ihm die Beine wund. Langsam hielt er es nicht mehr aus und wollte sich schon die Kleider vom Leib reißen, da nahm er ein leises Plätschern wahr. Der erste Lichtblick an diesem Tage, abgesehen von dem schmerzhaften am Morgen.
Bajos Gang wurde schneller und schon kurze Zeit später sah er tatsächlich einen kleinen Bach. Ohne anzuhalten, schritt er weiter in das ersehnte Nass und ließ sich dort fallen, doch das Wasser war eiskalt und so musste er gleich wieder raus. Er zog seine Kleider aus und wagte sich erneut in das nicht besonders tiefe Gewässer. Schnell griff er vom Grund eine Handvoll Kies und rieb damit seinen Körper ab, um dann gleich wieder die Flucht aus dem Eiswasser zu ergreifen. Dieses wiederholte er so oft, bis er sich einigermaßen gereinigt fühlte. Zum Schluss tauchte Bajo mehrfach den Kopf unter und wuschelte dabei durch seine Haare. Nun war ihm jedoch endgültig kalt und er holte die frischen Klamotten aus dem Rucksack, welche tatsächlich einigermaßen verschont und trocken geblieben waren. Die Haare zurückgekämmt setzte er sich auf einen Felsen am Ufer und verschnaufte erst einmal erleichtert. Dann wollte er seine Kleider säubern, die er besudelt hatte. Doch als Bajo den nassen, zerrissenen und stinkenden Haufen sah, wollte er sie nur noch beseitigen. Mit einem kleinen Stock wühlte er eine schon vorhandene Kuhle auf und schaufelte mit einem dickeren Ast die Erde beiseite. Mit zwei weiteren Stöcken nahm er die Dreckslappen auf und stopfte sie in das Loch, welches er danach gleich wieder mit Erde bedeckte, denn er wollte so wenig Spuren hinterlassen wie möglich. Er klopfte seinen Rucksack gründlich aus, verstaute die restlichen Sachen samt Stulle, denn zum Essen war ihm noch nicht wieder, und füllte seine Flasche ein Stückchen flussaufwärts wieder auf. Zum Schluss widmete er sich in einer gründlichen Prozedur seinen Schuhen, denn er hatte nur ein Paar, und stülpte diese dann zum Trocknen über zwei in den Boden gerammte Äste.
Mit dem Rücken an einen Felsen gelehnt saß Bajo da und versuchte nun auch Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Es war schon Nachmittag geworden und erneut kam ein frischer Wind auf. „Was mache ich bloß hier?“, fragte sich Bajo selbst. „Vielleicht war es doch nicht so schlau, in diesen Wald zu gehen“, begann er an sich zu zweifeln. Er dachte an Tante Nele und was sie wohl jetzt machen würde. Und an seinen Vater. „Der wird kochen vor Wut, wenn ich am nächsten freien Tag nicht auftauche!“, sagte Bajo schelmisch grinsend. Er starrte in den langsam fließenden Bach und wurde immer müder. Die letzten Tage hatten ihn wirklich ausgemergelt, alles tat ihm weh und doch war er froh, wenigstens frisch gewaschen und in trockener Kleidung dazusitzen.
Ein Heulen weckte ihn. Er musste wieder eingenickt sein. Und wieder ein lautes Heulen. Bajo dachte sofort an einen Wolf, obwohl es doch noch ein wenig anders klang. Unter Schmerzen und mit knackenden Gelenken sprang er hoch und beeilte sich, seine noch feuchten Schuhe anzuziehen. Kaum hatte er diese über seine Füße gestreift, hörte er das Heulen wieder, jetzt nur viel näher. Seinen Rucksack schnappend lief Bajo los, doch die Laute kamen aus der Richtung, in die er eigentlich wollte. „Nicht schon wieder“, fluchte er und wich nach Südosten aus, „dieses Mal überlebe ich das nicht!“. Er überlegte sich, in der neuen Richtung wieder aus dem Wald heraus zu flüchten. Das Heulen war weiter in der Ferne und er trabte voran. Mehr und mehr Büsche versperrten seinen Weg und diese waren auch noch voller Dornen. Immer wieder verfing er sich darin und zerriss in der Hektik ein ums andere Mal seine frischen Kleider. Nun hörte er auch noch ein gewaltiges, eigenartiges Bellen, welches einem Wolf nicht ähnlich war. Bajo versuchte, die Geschwindigkeit zu erhöhen, aber durch die vielen Dornenbüsche wurde eher langsamer und schlussendlich zappelte er wie eine Fliege im Spinnennetz darin.
Den Kopf hochreckend suchte er die Umgebung ab und erkannte einen schmalen Pfad, der allerdings wieder in seine ursprüngliche Richtung führte. Bajo hielt inne und lauschte, doch da er im Moment nichts Bedrohliches mehr ausmachen konnte, entschloss er sich, erst einmal dem Pfad folgend dem plagenden Gestrüpp zu entkommen. Mit sehr viel Mühe und etlichen Kratzern gelangte er schließlich wieder auf freien Waldboden. Blut lief ihm an Armen und Beinen herunter, so tief waren die Wunden. Doch das war sein geringstes Problem, denn nun vernahm er, nicht mehr weit entfernt, knackende Äste gepaart mit einem dumpfen Grollen. Bajo hatte nur eine einzige Chance: schräg am nahenden Untier vorbei und dann rennen, bis er zusammenbrechen würde. Und tatsächlich, trotz glitschender Schuhe legte er einen Lauf hin, mit dem er die Meisterschaft der alljährlichen Stadtumrundung Kontorias gewonnen hätte. Die Beschaffenheit des Bodens war gut, nur merkte er jetzt doch einen leichten Anstieg. Sich einigermaßen in Sicherheit wiegend, machte er eine Atempause. „Langsam müsste ich mich der Mitte des Grauenwaldes nähern…“, überlegte er, „…und ich lebe noch!“. Kaum allerdings hatte er diesen Gedanken verinnerlicht, war ihm der Jäger schon wieder auf den Fersen. Und das nicht mehr alleine. Aus zwei Richtungen hörte Bajo sie, als er wieder loshastete: „Die haben mein Blut geleckt, jetzt bin ich geliefert“. Und auch die Nacht kündigte sich schon wieder an. Das konnte kein gutes Ende für den armen Bajo nehmen. Voller Schmerzen setzte er zu einem letzten Lauf an. Immer mehr nach Luft japsend, immer wieder stolpernd und mehr und mehr mit schwindenden Sinnen quälte sich Bajo voran in die Dunkelheit. Er hörte nur noch sein eigenes Stöhnen und Hecheln, als er zusammenbrach, kopfüber in die Tiefe stürzte und einen letzten harten Schlag spürte.
2.2 Eine bedeutende Begegnung
Irgendetwas piesackte Bajo. Er öffnete die Augen ein wenig und sah gerade noch einen Kieselstein auf sein Gesicht zu kullern und gegen die Nasenspitze ploppen. Sein Kopf schmerzte stark. Als er die Augen endlich ganz geöffnet hatte, bemerkte er, dass er offensichtlich in einer kleinen Grube oder Höhle lag, die Füße gen Eingang gestreckt. Sein Kopf lehnte eingeknickt an etwas Hartem. Bajo fasste sich mit der Hand an den brummenden Schädel und spürte eine dicke Beule mit Blutkruste. Der harte Gegenstand entpuppte sich als Baumwurzel, er musste wohl in einem alten Bau unter einem großen Baum liegen. „Plopp, plopp“, wieder trafen ihn zwei hinabkullernde Kiesel im Gesicht. „Moment mal, da ist doch jemand“, dachte Bajo und alleine das Denken bereitete ihm schon Kopfschmerzen. Er versuchte seinen geschundenen Körper in eine sitzende Position zu bringen und tatsächlich war die Höhle dafür groß genug. Er befreite sich von seinem Rucksack und krabbelte zum Eingang, um nachzusehen, was da oben los war. In diesem Moment traf ihn ein größerer Kiesel am Kopf und er schrie vor Schmerz kurz auf.
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