1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 Deshalb springt Amelie ein und übernimmt souverän die Vorstellungsarie. Sie räuspert sich und fragt dann die Puppe freundlich und direkt. „Und du bist …? Wie heißt du?“ Darauf rasselt DAS ETWAS - das die Kinder ab sofort „I“ nennen - alles herunter, was sie bis jetzt an Sprache gelernt hat. „Is‘ n Scheißspiel! Wenn möglich, bitte wenden. Volltreffer! Verarschen kann ich mich selber. Telefonieren! Bravissimo Idiota! Telefonieren!“ Während der Redeschwall bei Monika und Bernhard ein ungläubiges Staunen auslöst, können sich Amelie und Mick das Lachen nicht verkneifen. Beide prusten los. Der amerikanische Japaner tut es ihnen nach. Jedenfalls sieht es so aus wenn man für einen Augenblick vergisst, dass Onkel Henry offensichtlich mit einem Lächeln im Gesicht geboren ist. Monika gibt sich jetzt einen Ruck, reißt sich zusammen und geht auf das Mädchen zu, will sie umarmen mit einem fröhlichen
„Herzlich willkommen, Kleine! Aber erstmal brauchst du was Anderes zum Anziehen. Berniiiiie …?“ Doch anstatt auf das freundliche Angebot erfreut zu reagieren, tritt die Puppe zwei Schritte zurück und sagt mit unbewegtem Gesicht. „Pfoten weg, ihr Arschlöcher! Wie wär‘ s mit einem Danke.“
Monika ist erneut stark verunsichert, fast wäre ihr wieder ein Hilferuf Marke ´Ameliiiie` rausgerutscht. Aber sie fasst sich, ein kleines bisschen beleidigt.
„Entschuldigung, dann eben nicht.“ Crash scheint ihr zuzustimmen und stößt deshalb ein deutliches „Wuff!“ aus. DAS ETWAS, das jetzt „I“ heißt, beugt sich hinunter zum Hund, der sie gerade noch einmal schwanzwedelnd beschnüffelt – und beschnüffelt nun ihrerseits den Golden Retriever, dabei ist deutlich ein
„Dida dadadadidadaaa“ zu hören. „I“ hat den Hund abgespeichert und für kompatibel befunden.
*
Auf dem Großbildfernsehgerät, das mit dem i-Pad verbunden ist, kann man sehen wie die Tür zu Amelies Zimmer geöffnet wird, Amelie und Mick kommen herein, drehen sich um und winken „I“ nachzukommen. Im Nachthemd betritt die Puppe das Zimmer und hört, falls sie im menschlichen Sinne hören kann, was zu diesem Zeitpunkt niemand genau weiß, wie Amelie voll Stolz und mit großer, den Raum umfassender Geste sagt. „Das ist meins! Komm nur, musst keine Angst haben.“ Und dann zeigt sie mit spitzem Finger auf ihre Puppen, Plüschtiere, das kleine Piano, das i-Pad. „Meine Spielsachen. Bücher. Meine CDs. Das Klavier. Das i-Pad.“ Und über alle Backen grinsend unter bricht Mick und fährt fort. „Da ist dein Programm drin, Puppa. Alle deine Top Secrets. Aber das rocken wir noch.“„Dida dadadadidadaaa“ ertönt es aus dem Mädchen und gleichzeitig ist auf dem Großbildschirm zu sehen, dass sie das i-Pad fixiert. Im Ticker-Tape am unteren Bildrand laufen Daten auf. Dann richtet sich der Blick auf das Fernsehgerät, während Amelie um Eindruck zu schinden flüstert.
„Wir haben vierundfünfzig Programme!“ Um das zu beweisen schaltet Mick ein paar Kanäle durch und bleibt dann bei einer Werbung hängen: Auf dem Schirm sieht man, wie Kinder ein Müsli löffeln, ihre Gesichter sind mit Joghurt verschmiert. Und eine Frauen-Fernsehstimme sagt lachend dazu „Lieber lecker, lieber leichter! Ein Mayer-Joghurt! Naturfrisch auf den Tisch – auch für unsere Kleinsten!“ „Dida dadadadidadaaa“ tönt es aus der Puppe und Amelie beeilt sich zu sagen „Ich mag lieber Pizza!“ Was „I“ jetzt wiederholt zur Überraschung der Kinder. „Pizza. Pizza?“ Und Amelie erklärt wie eine Kindergärtnerin aus der Kita. „Pizza ist Pizza! Ist hamm, hamm! Essen!“ „Dida dadadadidadaaa!“
macht „I“ und speichert das Gehörte und Gesehene ab. Mick muss an sich halten, um nicht laut loszulachen. Er drückt wahllos die Fernbedienung um die Puppe zu weiteren Reaktionen zu ermutigen: ein Nachrichtensender mit aktuellen Börsendaten. „Fernsehprogramme vom Allerfeinsten!“, belehrt Mick die beiden Mädchen.„Dida dadadadidadaaa!“ Auch die Börsendaten speichert die Puppe ab, sie scheint unersättlich darin zu sein Informationen aller Art zu sammeln. Amelie findet Micks Versuche wiederum gar nicht lustig. „Lass den Blödsinn, Mick. Was ist denn schon fein an Aktien?“ „Das merkst du erst, wenn du welche hast“, vermeldet der Spezialist für Börsenkurse und Anlagen. Amelie kontert. „Aber nur wenn sie steigen! Wirtschaftskunde! Unterrichtsgebiet im Curriculum der Schulbildung, Herr Oberlehrer!“ „Genau, Frau Doktor!“ Und dann flüstert er übertrieben laut ins Ohr von „I“ „Das ist immer noch besser als der Shit, den sie sonst immer guckt: ´Mein Name ist Liebling`! Boah, gleich muss ich kotzen!“ „I“ kann vermutlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht unterscheiden was ein Scherz ist und was für sie wichtig ist zu lernen. Vorsorglich speichert sie erstmal alles ab und spricht es nach, wenn auch ohne Begeisterung „Mein …Name ist …Liebling!“ „Jetzt hat sie das gelernt, Schwachkopf!“ Amelie regt sich auf über Mick muss aber zugleich lernen, dass sie selbst in ihrer Wortwahl vorsichtig sein muss, denn „I“ wiederholt ohne zu zögern. „Boah! Gleich muss ich … kotzen, Schwachkopf!“ Mick hält es nicht länger, er prustet los, will sich ausschütten vor Lachen. Amelie stimmt ein und nach kurzer Zeit übernimmt „I“ das Gelächter ebenfalls. Man weiß allerdings nicht, ob sie sich wirklich amüsiert oder das Lachen nur in ihrem Speicher ablegt.
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In der Küche des Schnurre Hauses geht es hoch her. Monika ist nämlich gerade dabei das Abendessen vorzubereiten. Für die Familie und die Gäste, alle wollen ja gesund leben, braucht es nach ihrer Meinung ungeheure Mengen von frischem Salat. Bernhard, hilfsbereit wie sonst nur selten, versucht seiner Frau zur Hand zu gehen und gleichzeitig ein Problem loszuwerden. Monika weiß, wo ihn der Schuh drückt, tut aber harmlos mit ihrer Frage „Also, Schatz, worum geht‘ s?“
Bernhard wiederum weiß, dass seine Frau genau weiß worum es ihm geht, sie sind immerhin schon über 15 Jahre verheiratet und da kennt man sich (glauben viele Ehepaare), weshalb ihn das Versteckspiel ärgert und er entsprechend aggressiv reagiert. „Worum, worum schon, he? Unser Auswärtsbesuch! Mann, Mann, was machen wir bloß.“ „Es wird sich schon irgendwie irgendwas ergeben.“ Monika taktiert ein bisschen herum obwohl sie genau weiß, dass Bernhard sich mit dieser ´politischen` Art‚ wie er es nennt, nämlich nicht konkret auf eine konkret gestellte Frage zu antworten, niemals zufrieden geben wird. Das bringt ihr Mann aus sogleich zum Ausdruck. „Hör mal, wir kennen die doch gar nicht! Was ist das überhaupt für eine? Wo kommt sie her? Wird sie vielleicht ferngesteuert? Vielleicht kommt sie von einem anderen Stern, ist gefährlich? Eine die so extrem anders ist. Vielleicht steckt sogar ein Dienst dahinter …“ Monika unter bricht den Redeschwall und versucht gleichzeitig die Aufregung zu dämpfen. „Ein Service?“ „So ein NSA ´Prism` Programm …“
„ …das Edward Snowden nicht verraten wollte!“ kichert Monika. „Du hast gut lachen. Du hast keine Ahnung, was da alles dranhängen kann“, regt sich Bernhard auf. „Man hat doch eine Verantwortung für die Familie! Und dazu noch der Ami …“„Ein Schwager, Bernie, ist ein Verwandter! Der gehört auch zur Familie!“ „Was heißt a u c h“, schreit der Choleriker plötzlich los, „ist die … das Etwas, ist die jetzt auch schon eine Verwandte, oder was?“ „Schatz, wir sollten das vielleicht nicht so eng sehen, wo doch alle Welt andauernd von Integration redet.“ Bernhard ist ob dieser Argumentation sprachlos. Er versucht die Mohrrüben mit der Geschwindigkeit eines Profikochs zu schnippeln. Es gelingt nur mäßig, was Monika zu der Bemerkung veranlasst „Vielleicht kann sie ja bald einfache Tätigkeiten im Haushalt übernehmen? Dazu müsste sie einen Lernkursus machen und sich dabei ihre neue Umgebung einprägen.“
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