„Einen Lernkursus?“ fragt Bernhard, einigermaßen erstaunt darüber, dass seine Frau sich in Sachen Roboter offensichtlich schon kundig gemacht hat.
„So nennt man das bei ´World Robotics` das ist so ein…so ein … also die beschäftigen sich hauptsächlich mit Roboter Technik in der näheren der Zukunft, soweit ich weiß“, bestätigt Monika Bernhards Gedanken und nimmt ihm zugleich das Schnippeln der Möhren ab. „Und wenn sie dann den Kurs bestanden hat, dient sie uns kostenfrei im Haus: putzt die Fenster, macht die Regenrinne sauber, mäht den Rasen, reinigt das Schwimmbad.“ „Berniiiiie! Wir haben kein Schwimmbad!“ „Vielleicht baut sie uns ja eines, wenn wir lieb zu ihr sind!“ „Warum nicht? Mit dem richtigen Programm kriegt sie das hin, bin ich ganz sicher. So ein Mädchen ist eine Bereicherung für die menschliche Gemeinschaft!“ Das regt Bernhard den Choleriker, der sich vorgenommen hat mehr relaxt durchs Leben zu gehen, noch mehr auf. „Ja, hauptsächlich für die Gutmenschen, die nicht mit dem Problem tagtäglich konfrontiert sind. T a g t ä g l i c h!! Und wir holen uns freiwillig so was ins Haus. Eine Schaufensterpuppe, gesteuert durch ein uns unbekanntes Computerprogramm! D a s g e h t n i c h t , Moni! Weil, weil … vielleicht können humanoide Roboter Bewegungsabläufe und Sprache durch Nachmachen erlernen, möglich. Will ich gar nicht bestreiten. So wie kleine Kinder halt. Und wie erklären wir das den Nachbarn, bitte?“
„Wir könnten sagen, dass „I“ eine Asylsuchende ist, dem Tod im Mittelmeer entronnen, oder so ähnlich.“ Fast sieht es so aus, als ob Monikas Argument Bernhard gänzlich die Sprache verschlagen hat. Soweit sind wir also, denkt er, seine eigene Frau, offensichtlich manipuliert von diesen rituellen Aufwallungen der Öffentlichkeit, die mit ihren sinnfreien Parolen die eigene Befindlichkeit zu beruhigen suchen! Hat sie Schuldgefühle und will sich ihrer auf diese Weise entledigen? Die eigene Ehefrau, das unbekannte Wesen?! „Das ist jetzt dein Ernst, ja? Die Puppe ist diesem Assad Mörder unter Lebensgefahr entkommen und bei uns untergetaucht nach dem Motto: ´Kein Mensch ist illegal!` Und dann beantragen wir das ´Bleiberecht für alle!` oder was? Abgesehen davon, was uns das vielleicht kostet.“ „Heute erst mal ein Abendessen“, sagt Monika so cool wie möglich und erwartet nun erst recht einen neuen Gefühlsausbruch von Bernhard. Aber Glück - denn in diesem Augenblick kommt Amelie in die Küche und fragt scheinheilig und für die Eltern ungewohnt „Kann ich was helfen?“„Ui, das sind ja ganz neue Töne, Schatz! Wo ist sie?“ „Bei Mick. Guckt Fernsehen. Irgendwas muss sie ja machen.“ Bernhard kann und will sich nicht zurückhalten und faucht, während sein Messer erneut beginnt Möhren zu schnippeln, „Darüber reden wir gerade, deine Mutter und ich.“ „Ja und?“, stellt sich Amelie harmlos. „Papa meint, sie kann nicht bleiben.“ „Wieso nicht?“
„Weil man bei uns hier in Deutschland nicht einfach so ein … so ein Teil bei sich aufnehmen und behalten kann.“ „Ein Teil?!“ fragt Amelie empört um sich gleich darauf aufzuregen „I“ ist doch kein Teil, Papa. Sie ist ein ... eine …“
Bernhard, auf ´s höchste alarmiert, geht unhöflich dazwischen, lässt seine Tochter nicht ausreden. „Ach ja! Eine bitte was?“ „Eine Asylantin!“ behauptet Amelie und steigert sich weiter rein. „Das sieht man doch, oder?! Auf jeden Fall eine Bereicherung für unser eingerostetes Familienleben. So, musst du das sehen, Papa!“ Jetzt holt Bernhard tief Luft, der große Krach ist anscheinend nicht mehr aufzuhalten. Aber Monika geht nun doch mutig dazwischen um zu verhindern, was dann zwar aufgeschoben aber nicht aufgehoben ist. Sie nimmt Bernhard das Messer und die Möhren aus der Hand und lobt ihn, das haben alle Männer gern. „Schatz, ganz prima gemacht. Und wenn du jetzt noch das besorgst was wir vorhin besprochen haben, nämlich das Waschpulver, dann versprech‘ ich dir, wir klären das ganz demokratisch in der Familie.“
„Jaja, so wie immer“ mault Bernhard, „über meinen Kopf weg!“ Aber auch Amelie weiß schon, wie mit störrischen Männern umgegangen werden muss und hängt sich deshalb bei ihrem Vater ein. „Dafür bist du aber auch unser Lieblings-Papa, Papa!“
*
Im Gartenteil, hinter dem Haus der Schnurres, brennt ein Lagerfeuer. Große Sonnenschirme sind aufgestellt. Es regnet wieder mal in Strömen. Aber das ist auch der einzige, wenn auch ziemlich große und nasse ´Wermutstropfen` der die Planung von Monikas Party für die speziellen Gäste ein wenig verwässert.
Endlich kann sie es allen zeigen, nämlich dass die ewige Hausfrau und aus ihrer Sicht alleinerziehende Mutter mehr drauf hat als nur Gemüse für den Eintopf zu schnippeln, das Haus sauber zu halten und hin und wieder (viel zu oft, nach Bernhards Meinung) die gesamte Wäsche zu waschen, mit einem Wort, der Dienstbote, die Angestellte, ach was, die Sklavin für alle in der Familie zu sein. Eine Familie, wo anscheinend jeder glaubt er könne sein Leben so vor sich hin leben wie es ihm gefällt ohne jegliche Verpflichtung den anderen gegenüber.
Monika hat in dieser Hinsicht einen Komplex. Sie fühlt sich nicht nur häufig unbeachtet und ausgenutzt, nein, sie muss immer wieder darüber nachdenken, ob es nicht an der Zeit ist sich selbst zu verwirklichen, eigenständiger zu werden, selbstbestimmter. So wie ihre Mutter, die sich überraschend für alle zügig über Nacht aus dem familiären Staub gemacht hatte und ihre Kinder beim Erzeuger zurückließ, dem Inhaber von ´Schnurres Modelädchen`, einem spießigen Geschäftsmann eben, der einer ehemaligen Künstlerin nichts zu bieten hatte, außer vielleicht eine gewisse finanzielle Sicherheit in den wunderbaren Nachkriegsjahren des ewigen Aufschwungs. Ihr Abgang war leise und unauffällig, ganz gegen ihre Natur und sonstigen Gewohnheiten. Bis zu diesem Zeitpunkt aber war die Stimme von Monikas ´Mammeli` nie zu überhören. Als Schauspielerin hat sie in ihren jungen Jahren bühnentechnisch perfekt sprechen gelernt, die Stimmbänder gedehnt, geformt und gebildet. Zuerst die Technik mit dem „Kleinen Hey“: ´Jetzt wetzt der Letzt gehetzt entsetzt des Messers flitzge Spitz` um danach, im Rollenstudium, schrill und kräftig zu schreien, hasserfüllt zu schimpfen, herzerweichend zu weinen, das war Übung und Pflicht zugleich. Einen Ausbruch hinlegen, nennt man das. Einen Ausbruch in einer bestimmten Rolle auf einer großen Theaterbühne perfekt hinzulegen und danach den Jubel des Publikums einkassieren: Das sind ´Die Bretter, die die Welt bedeuten`! Die bürgerliche Regel dafür lautet, je größer der Schauspieler auf der Bühne, umso mehr bringt er oder sie Theater und Privatleben durcheinander. Es soll Mimen geben, die im Kreis der Familie absolut glaubwürdige Ausbrüche hinlegen, auf der Bühne hingegen eher bescheiden ´rüberkommen` und von gehässigen Kollegen, hinter vorgehaltener Hand natürlich, als Garderoben Clown bezeichnet werden. Mutter Mammelie gehörte nicht in diese Kategorie, sie war streng zu sich selbst, Disziplin war lange Zeit ein wichtiger Punkt in ihrem Leben, ausreichend hatte sie in Kindheit und Jugend davon erfahren müssen. Streng ging man damals um mit dem Nachwuchs, insbesondere wenn er aus gutem Hause kam. Und Mammelie kam aus gutem Hause. Ihr Vater Mathias Edlig war ein tüchtiger und beliebter Oberkellner in einem angesagten Münchener Bierkeller. Dort lernte er Rosa, die Tochter der Pächterin kennen, die beiden heirateten und das Ergebnis war Monikas Mammelie, zwei Jahre davor ihre Schwester Gretl und später, sehr viel später das Nesthäkchen Kurt. Die Familiengründung verlief ruhig, ohne Komplikationen und alles in allem sehr diszipliniert. Das Geschäft brummte, gesoffen wird immer, viel Bier bringt viel Geld und viel Geld schafft Macht und damit die Möglichkeit gesellschaftlich aufzusteigen, durch den Erwerb eines Hotels in bester Lage zum Beispiel. Alles eine Frage der Disziplin! Der mahnend erhobene Zeigefinger unterstreicht die mahnend erhobene Stimme des gestrengen Papas. Jawoll! Und Disziplin ist Stärke! Das muss der Herr Vater wenig später von seiner jüngsten Tochter erfahren, als ihm Mammelie eröffnet, dass sie vorhabe Schauspielerin zu werden und deshalb beabsichtige eine dafür geeignete Schule zu besuchen. Energischer väterlicher Widerstand – viel diskutiert und schließlich gebrochen von einer disziplinierten, emanzipierten, sehr engagierten jungen Frau, die sich fortan Lola nennt und nach Abschluss der Schauspielschule ihr erstes Theater Engagement im österreichischen Brünn antritt; Würzburg, Stuttgart und schließlich Berlin folgen. Wer ist der geschäftstüchtige junge Mann, der gerade noch rechtzeitig vor der 1. Hauptprobe die vom Theater in Auftrag gegebenen Trachtenkostüme liefert. Edeltraut, die brave Garderobiere, klärt auf: Alphons Schnurre heißt er und besitzt ein kleines Modegeschäft, das exakt die Kleider auf Lager hat, die für das dramatische Bauernstück, das in einem entlegenen Dorf im öden Niederbayern spielt, kostengünstig gebraucht werden. Mammelie war immer schon neugierig auf das Leben, auf neue Rollen, auf die Menschen hinter den Rollen und nun auch auf den Menschen, der die original bayerische Bekleidung für diese Rollen zu liefern hatte. Und Monika, ihre doch leibliche Tochter, wenn auch irgendwie aus der Art geschlagen, fühlt manchmal ganz ähnlich wie Lola, nur sie kommt einfach nicht dazu so zu sein wie Mammelie war. Warum eigentlich nicht? Fuck! Verdammt noch mal, ehrlich! Mit ihrem Bernhard kann sie diese Gedanken sowieso nicht teilen, nicht darüber reden, ihre Gefühle und Ängste nicht artikulieren. Als Macho der alten Schule nimmt er seine Frau und ihre selbstgemachten Problemchen nicht ernst, würde grinsend ironische Bemerkungen vom Stapel lassen und darauf hinweisen, dass es anderen erheblich schlechter geht. Dass andere auf diesem Globus echte, wirkliche, lebensbedrohende Gründe für Klagen haben. Nicht nur Hunger und Durst, nicht nur Krankheit und keine medizinische Versorgung, nein, Mord und Totschlag durch korrupte Regierungen und religiöse Fanatiker sind weltweit an der Tagesordnung, davor darf man die Augen doch nicht verschließen, auch wenn sich gelegentlich die künstlerische Ader ihrer Mammelie zu Wort meldet, richtig? Aber wenn sie meint, dass die Welt schön und heil ist nur für die Schnurres nicht, dann soll sie doch einfach mal ihren Blick in die Ost-EU-Länder richten, würde er sagen, oder nach Afrika, und warum denn so viele Menschen zu ´uns` rüber wollen? Und die Antwort hätte er auch gleich parat: Weil wir für diese Leute vergleichsweise das Paradies sind, hier in Good Old Germany keinen Hunger kennen, jede Menge (viel zu viel) trinken können, ein Dach über dem Kopf und was zum Anziehen (viel zu viel) im Schrank haben und das seit Jahren, seit Jahrzehnten, seit dem 2. Weltkrieg und den verdammten Nazis. Und obwohl er ja das Glück der späten Geburt hatte (um mit Altkanzler Kohl zu reden), also in den späten Nach-Ludwig- Erhard Wirtschaftswunder-Jahren aufwuchs, müsse er doch eines heute mal feststellen dürfen ohne gleich in die rechte Ecke gedrängt zu werden: Bei den Nationalsozialisten herrschte Ordnung und Ruhe und mal abgesehen von den dummen Sprüchen, dass Hitler die Autobahn gebaut hat von der wir heute angeblich noch profitieren, also abgesehen davon, wären solche Exzesse und Schandtaten, wie sie täglich in allen Medien verbreitet werden, nicht möglich gewesen. Diesen Dreck wie zum Beispiel: Deutschland sucht die supermäßigen Models, die geilen Sänger, die armen Bauern suchen Frauen, die auch das Vieh lieben und diesen ganzen Scheiß! Nee, das hätte es damals alles nicht gegeben, abgesehen davon natürlich, dass es so richtig noch kein Fernsehen gab und schon gar nicht Internet und Spyware und Cyber Attacken. Und schon deshalb, würde Bernhard sein Referat dann abschließen, schon deshalb kann er nur zu äußerster Vorsicht raten! Nicht nur wegen der computergesteuerten Schaufensterpuppe, die immer mehr menschliche Züge annimmt, nein, auch wegen dem Schwager, dem japanisch-amerikanischen. Denn heutzutage kann man niemandem trauen, wer weiß weshalb der Ami plötzlich hier auftaucht und ob er nicht mit irgendwas von irgendwem beauftragt worden ist, oder noch schlimmer, ob er vielleicht „umgedreht“ ist, wie die Spionage Fachleute das nennen, und für die Chinesen oder Russen Geheimnisse rauskriegen soll an die man durch Abhören von Telefongesprächen oder dem abfangen vom E-Mails einfach nicht dran kommt.
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