Wegen seiner ausgeprägten Vorliebe für Whisky, hatten sich seine Freunde für ihn den Spitznamen Johnny Walker, abgekürzt J.W. ausgedacht. Allgemein nannte man ihn einfach Johnny.
Ja, Johnny Walker war ein Mann, der das hundertprozentige Leben verkörperte: Voll leben, einfach leben, als ob die Welt heute noch zu Ende gehen würde. Monsieur la vie (Mister Life), wie man ihn in allen angesagten Kneipen und Diskotheken der Stadt nannte, mochte das Leben und dabei vor allem das gute, feine Leben. Er sah zwar nicht schlecht aus, aber auch nicht besonders gut. Man fragte sich, warum J.W. so erfolgreich bei Frauen war, obwohl sein Portemonnaie fast immer leer war.
J.W. war 32 Jahre alt, aber wann genau er geboren wurde wusste niemand. Er spielte gerne damit. Zu dieser Frage sagte er einfach: „Ich wurde 1981 geboren, während der großen Mais-Erntezeit.“ Maisernte ist in Kamerun immer gegen Juni, vor dem großen Winter. Winter in Kamerun bedeutet Kälte und Regen. Besonders in Westkamerun wird es in dieser Zeit abends und frühmorgens sehr kalt.
Johnny war in dem schönen bergigen Land Westkameruns, im Bamileké Land, genau gesagt in Banganté, dem NDE Departement geboren. Das NDE ist das „Departement des gens nobles, dignes et elegants“ (Land von adeligen Menschen voller Würde und Eleganz) und er tat auch alles, um diesen Slogan aufrecht zu erhalten.
Er stammte eigentlich aus einer gut situierten Familie. Sein Vater war Arzt,seine Mutter Lehrerin. Als er 10 Jahre alt war, wurden seine Eltern beruflich bedingt nach Bafoussam geschickt. Bafoussam ist die Hauptstadt der Bamileké Region,as Land der roten Erden. In Kamerun ist es so, dass staatliche Beamte ständig von Stadt zu Stadt kommandiert werden, damit ihre Dienste das ganze Volk erreichen. Somit will das Land Einheit und Zusammengehörigkeitsgefühl stärken.
Er hatte 6 Geschwister, 2 Brüder und 4 Schwestern und war der Jüngste der Familie. Dementsprechend wurde er sehr verwöhnt, als Chou-Chou (Liebling) der Familie. Er hatte nie gelernt, durch eigene Anstrengungen etwas zu erreichen. Alles wurde ihm zu Füßen gelegt und er genoss diesen Zustand sehr.
Seine Geschwister, die nach dem Abitur alle (bis auf eine Schwester) in Europa und Amerika studierten, schickten ihm immer wunderschöne Kleidung, Spielzeug und ähnliches nach Hause. Deswegen wollten alle Kinder der Stadt - Jungs wie Mädchen - mit ihm befreundet sein. Zu der Zeit, zu der er zwischen 15 und 19 war, wurde er ‚chaud gars‘ (Hot Guy) genannt.
Eine Schulparty ohne den ‚chaud gars‘ wäre ein Reinfall gewesen. Er war das Zentrum des Geschehens in der Stadt.
Jeden Mittwochnachmittag sowie Samstag und Sonntag verbrachten die Jugendlichen die Zeit am Sportplatz „La Pelouse“ hinter dem Rathaus in Bafoussam. An diesen Tagen versammelten sich dort Schüler von verschiedenen Schulen und taten so, als ob sie Sport treiben würden. Tatsächlich ging es dabei mehr um Show und darum, Frauen anzubaggern. Wer hatte die neuesten Schuhe, den neuesten Walkman, wer hatte was an?
Hot Guy trug immer die beste Kleidung, er hatte immer etwas Neues dabei und auch oft viele Leckereien aus Europa.
Erstaunlich aber war, dass Hot Guy nicht arrogant oder hochnäsig war. Er war immer gut gelaunt und hatte immer ein Lächeln auf dem Gesicht. Er brüskierte nie seine Freunde und war sehr hilfsbereit. Er konnte auch gut geben, ohne kleinlich zu sein.
Schon damals merkte man, dass er sehr intelligent war. Wenn er sich etwas in seinen Kopf gesetzt hatte, konnte ihn nichts daran hindern, das auch zu erreichen.
Von Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit hatte er mehr als genug. Er strahlte schon als Schüler eine unwiderstehliche Persönlichkeit aus, obwohl er nicht der Hübscheste war.
Die Schule absolvierte er mit Erfolg. Nach seinem Abitur mit Bestnoten ging er in die Wirtschaftsstadt Douala, um dort zu studieren.
Ein Jahr später starb sein Vater bei einem mysteriösen Unfall. Alle sprachen von Magie, weil sein Vater angeblich Mitglied einer satanischen Sekte gewesen war. Als er dann nicht bereit war, ein Opfer für seine erfolgreiche Karrierezu bringen, hätte man ihn umgebracht. Der Unfall schien aber auch unabhängig dieser Gerüchte seltsam zu sein. Sein Vater war unterwegs von Bafoussam nach Douala, auf der schönsten Landstraße Kameruns, die sich zwischen Bergen durch eine wunderschöne Landschaft hindurch schlängelte. Man sah später das Auto mitten auf der Straße stehen, der Motor lief noch und man konnte den Mann hinter dem Lenkrad sitzen sehen, man könnte meinen, dass er gerade eine Pause machte. Er war tot. Das Einzige, was als Unfallursache dienen konnte, war ein Panther, ein für die Region sehr seltenes Tier, das man tot unter den Vorderreifen fand.
Ein Panther? Am helllichten Tag? Es reichte, um die Fantasie der Menschen zu anzukurbeln: „C´est un sectaire.“ (Er ist ein Mitglied eines Geheimbundes) „Nun verstehen wir, warum er so viel Geld hatte“, sagt der eine. „Ja, und alle seine Kinder sind in Europa“, sagten die anderen. „Oh ja, und sein Bruder, der vor 5 Jahren gestorben ist...“ Damit stand eindeutig fest: Der Mann war ein ‚Sectaire‘.
Als die Gerichtsvollzieher nach seinem Tod all sein Hab und Gut konfiszierten, angeblich wegen hoher Schulden, waren es nicht mehr nur Gerüchte, nein, es waren nun bewiesene Tatsachen. Dieser Mann gehört einem magischen Bund an, der den Teufel anbetet. Du bekommst alles, was du willst: Ruhm, Geld, Erfolg - aber irgendwann musst du es zurückzahlen und nach deinem Tod ist all dein Reichtum einfach verschwunden.
Solche Menschen sind zwar physisch tot, leben aber in einer anderen Welt weiter und müssen sich all das verdienen, was sie im Leben bekommen hatten. Das ist die Strafe, wie es auf jeden Fall wie in Kamerun erzählt wird.
Sowieso sind in der afrikanischen Kultur und Glauben die Toten nicht endgültig tot. Sie leben weiter. Deswegen ist auch der Kult um die Toten sehr wichtig. Sie befinden sich dort in einer anderen Dimension, sehen aber alles, was wir hier machen und man kann sogar mit ihnen in Kontakt treten, wenn man über bestimmte Gaben verfügt. Deswegen hört man oft Geschichten von Leuten, die bei einem afrikanischen Geistlichen ihre verstorbenen Verwandten gesehen und mit ihnen geredet haben. So kann man unter anderem auch etwas über die Todesursache erfahren. In Afrika sagt man oft, Menschen sterben nicht umsonst, egal wie alt sie waren.
Inzwischen wurde aus Hot Guy in Douala nun Johnny Walker. Nach dem Tod seines Vaters war auf einmal seine heile reiche Welt zusammengebrochen. Der Luxus und das schöne Leben konnte er so einfach nicht mehr finanzieren. Seine Geschwister in Europa und Amerika hatten alle nun auch eigene Familien und konnten und wollten sich nicht mehr um ihn kümmern.
Die Zeit verging und Johnny war inzwischen 32 Jahre alt geworden. Alt genug, um allein durch die Welt zu gehen. Er hatte mit 27 das Studium der Psychologie abgeschlossen, aber was konnte man damit in Kamerun anfangen? Als Lehrer arbeiten und dafür 200€ im Monat bekommen? Nein, das war für den einfallsreichen Mann zu wenig. Er lebte deswegen von kleinen Vermittlungsgeschäften und von verheiraten Frauen reicher Männer, die sich sehr gerne mit jüngeren Männern vergnügten.
Es war wieder sehr erstaunlich, wie Johnny Walker sich der neuen Realität angepasst hatte. Er hatte nie gejammert. Von seiner Würde und Eleganz hatte er nichts, aber auch gar nichts verloren. Er entwickelte Strategien, um zu leben. Andere würden das ‚überleben‘ nennen, aber Johnny Walker war kein Mensch, der sich anmerken ließ, dass es ihm nicht gut ging. Sein Stolz war dafür zu ausgeprägt.
Er kaufte sich in Second Hand Shops gebrauchte Markenkleidungen aus Europa, die die afrikanischen Märkte überflutet hatte. Diese ließ er in den modernen Reinigungen waschen, wonach sie wie neu waren und er immer genauso top gekleidet aussehen konnte wie früher.
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