Sie waren nun in einer Banlieue nordwestlich von Paris angekommen und alle stiegen aus. Sie mussten noch etwa 100 Meter laufen, bis sie ihren Wohnblock erreicht hatten.
Johnny und einer der Freunde trugen Roger nach oben in den siebten Stock, ohne Aufzug, dieser redete dabei weiter wie am Fließband.
„Wir sind hier in Paris, Johnny. Verstehst du, Rita, wir sind hier in Paris und nicht in Douala. Ha ha ha, ha ha ha. Johnny, du wusstest nicht, dass es hier auch Schimmel gibt, oder? Du wusstest nicht, dass es in den Treppen hier so schmutzig und stinkig ist, oder? Du wusstest nicht, dass es hier auch Löcher in den Straßen gibt, oder? Du wusstest nicht, dass du hier Kinder und Menschen treffen wirst, die Löcher in den Kleidern haben, oder? Du wusstest nicht, dass hier geklaut und geschlagen wird, um an ein Stück Brot zu kommen, oder? Du wusstest nicht, dass Menschen hier sagen könnten, sie hätten Hunger, oder? Du wusstest nicht, dass man Speiseöl auf der Straße löffelweise verkauft, weil es sich manche nicht leisten können, eine ganze Flasche davon zu kaufen, oder?“
Sie waren nun mit Mühe in ihrer runtergekommenen Wohnung angekommen. Seit zwei Tagen hatten sie keinen Strom mehr gehabt, weil die Rechnung nicht bezahlt worden war. Mit der Taschenlampe des Handys beleuchteten sie den Raum und brachten Roger in das Bett, in welchem sie zu dritt schliefen.
„Wusstest du, Johnny, dass Menschen in Europa auch Strom weggenommen bekommen, weil sie nicht gezahlt haben? Genau wie bei uns in Kamerun? Ja, Bruder. Dieser hässliche Teil von Europa hatte sich vor uns versteckt. Nein, das hätte uns erschrecken und uns entmutigen können, die Reise ins Paradies anzutreten. Ich bin mir sicher, dass ich nicht hierhergekommen wäre, wenn ich all das/ das alles gewusst hätte. Wenn ich all das/das alles im Fernsehen gesehen hätte, wenn nur alle diese Europäer, die ich in Kamerun kennengelernt habe, nicht so getan hätten, als ob es bei ihnen keine Armut gäbe. Europa hat uns nicht die ganze Wahrheit über sich gezeigt. Es wollte und will es nicht. Es hat Angst, dadurch seinen Wert zu verlieren. Ja, womit würde es noch angeben? Womit kann es noch seinen Kindern Stolz geben, wenn niemand mehr an ihm Interesse zeigt und es sich selbst überlässt? Sie kämpfen mit Milliarden gegen Einwanderer, dabei wäre es so viel einfacher, diese Bilder hier der Welt zu zeigen. Schau mal hier. Schau dir mal die Treppen des Hauses an, schau mal, wo wir schlafen! Dafür mussten wir so ein Verbrechen begehen? Dafür mussten wir zu diesem Mädchen ungerecht sein? Wir müssen nun weitere Verbrechen begehen und das Ungerechte gerecht machen. Aber hier ist das nicht so schlimm. Europa hat doch genug Geld, oder? Ein klein wenig aus Paris zu stehlen und nach Kamerun zurückzubringen, macht Paris nicht arm, oder Johnny? Jetzt musst du zeigen, dass du wirklich Johnny Fuck Me Walker bist, der Reiche, der aus New York kommt. Du bist jetzt - the rich black man from New York – aber diesmal in Europa. Jetzt fangen wir an, der Illusion eine Realität zu geben. Von der Illusion des Geldes zum wahren Geld. Jetzt wirst du diese Frau im Labyrinth stellen. Sie wird nicht mehr wegrennen können. Aber jetzt wirst du nicht mit ihr schlafen und sie somit dafür bestrafen, dass du so leiden musstest, um sie zu fangen. Europa hat uns mit Geld hierhergelockt. Dieses Geld müssen wir jetzt mitnehmen und dem Mädchen in Afrika und ihrem ganzen Dorf helfen. Wir müssen die Ungerechtigkeit reparieren. 500.000€ wird Europa dafür büßen müssen, dass es uns eine Illusion vorgespielt hat. Jetzt fühle ich mich wieder glücklich, Johnny. Jetzt geht es mir gut und ich weiß, dir geht’s jetzt auch gut. Gute Nacht, Bruder. Schlaf gut. Wir sind dort angekommen, wo wir uns das Geld nehmen werden.“
Johnny deckte seinen Freund zu und sagte: „Danke Bruder, ja, es geht mir auch wieder gut. Echt gut: Das erste Mal, seitdem ich hier in Frankreich bin. Ja, wir sind angekommen. Wir werden alles wiedergutmachen. Ich bin Johnny Fuck Me Walker. Schlafe du auch gut.“
4. Oktober 2013
Johnnys neuer Plan
„Guten Appetit, Roger. Hat es dir geschmeckt?“, fragte Johnny seinen besten Freund Roger.
„Willst du mich provozieren, Mann? Kann so ein Essen jemandem nicht gut schmecken?“, antwortete Roger und leckte seine Finger ab.
„Was ist los mit dir, Mann? He, ist Essen für dich so viel wert wie dein Leben? Ich habe nur eine Frage gestellt und du greifst mich sofort an, wie ein Schäferhund“, protestierte Johnny.
„Essen ist mein Leben, weil ich das Leben liebe. Lass mich in Ruhe essen. Wo ist dein Problem? Ich sage dir nicht, ob es mir geschmeckt hat oder nicht. Mach, was du willst. Von mir aus kannst du wieder aufstehen und gehen. Nein, andersrum, ich werde nach meinem Essen aufstehen und gehen. Du hast mich hierher bestellt“, griff Roger ihn an.
„Wenn du mir das Geld für das Essen zurückgibst, kannst du aufstehen und gehen. Sonst wirst du da sitzen bleiben, damit wir darüber reden, weswegen ich dich sehen wollte“, entgegnete Johnny.
„Siehst du? Du brauchst mich und ich dich nicht. Ich habe mich entschieden, nicht mit dir zu reden. Ja, ich bin beleidigt und deswegen rede ich nicht mit dir. Punkt, Schluss, aus“, sagte Roger.
„Warum beleidigt? Beleidigt, wegen dem leckeren gerillten Fisch mit frischen frittierten Kochbananen?“
„Haja. Du wusstest genau, dass es lecker ist und fragst mich trotzdem, ob es mir geschmeckt hat? Das war nur pure Provokation. Zu deiner Information, nicht der Fisch und die Kochbanane waren das Leckerste. Nein, der Dip, der scharfe Dip war es und das Problem ist, dass man danach Durst bekommt. Anstatt dass du die richtigen Fragen stellst, verwirrst du Leute mit unsinnigen Dingen“, argumentierte Roger.
Johnny kannte seinen Freund sehr gut. Der hatte wie immer kaum was in der Tasche, dafür aber so ein Großmaul. Er wusste genau, worauf Roger hinauswollte. Wenn er etwas essen oder trinken wollte, griff er immer an, tat so, als ob er sauer wäre. Besonders dann, wenn Johnny ihn brauchte. Johnny kannte seine erpresserische Art, aber Roger schaffte es trotzdem immer irgendwie, ihn damit unter Druck zu setzen.
„Was wäre dann deiner Meinung nach die richtige Frage gewesen?“, fragte Johnny.
„Willst du noch ein Bier haben? Ja, das wäre die richtige Frage gewesen. Nicht, dass ich ein Bier tatsächlich möchte. Aber das wäre die richtige Frage gewesen“, antwortete Roger und schaute dabei in eine andere Richtung, um Johnny nicht ins Gesicht sehen zu müssen.
„Ich wusste es. Ich war mir sicher, dass du etwas zu trinken willst. Es gibt nichts. Du hast sowieso schon gesagt, dass du keines willst“, sagte Johnny.
„Jetzt will ich es aber, denn wenn ich dabei bleibe, dass ich es nicht will, wie es wirklich auch war, wirst du glauben, du hättest Recht gehabt. Ich will jetzt dieses Bier oder ich gehe“, drohte Roger.
„(Dann) steh doch auf und geh. Dann kannst du sehen, wo du dein Bier herbekommst“, antwortete Johnny, diesmal entschieden, sich die Erpressung von Roger nicht zu beugen.
„Okay, das hast du dann davon. Ich werde auch später nicht mit dir über deinen Plan reden“, versuchte Roger sich mit Johnny zu messen.
„Wenn du nicht gehst, dann gehe ich“, warnte Johnny.
„Okay, bleib stehen, ich gehe schon. Und erwarte nicht, dass ich dir für das Essen danken werde!“ Roger wollte austesten, wie ernst Johnny es wirklich meinte.
Er tat so, als ob er wirklich gehen wollte. Er stand auf, durchsuchte seine Tasche, räumte den Tisch auf und trieb sich weiter so rum, ohne wirklich zu gehen, in der Hoffnung, dass Johnny ihn doch noch bitten würde zu bleiben.
„Du, nur ein Bier, Mann. Ich brauche nur ein Bier, um das gute Essen nachzuspülen und mir dabei deinen Plan anzuhören. Nur ein Bier, Johnny.“
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